Sechzehnter Tag . Liege nach Art der alten Römer auf meiner Couch und schaue hinaus durch die hochgeschlagene Zelttür, sehe Fahd müde und mürrisch mit seinen Kochtöpfen hantieren, aus denen silbriger Dampf vor einem pistaziengrünen Dämmerlicht aufsteigt. Am Himmel über uns verlieren sich platinfarbene und zartviolette Wolkenschnörkel. Der barfüßige Ali geht langsam hinter dem Feuer vorbei, führt ein verirrtes Kamel heim. Er, der beste unserer Kameltreiber, ist wie eine Buche gebaut, sagt nie ein Wort und bewegt sich unglaublich majestätisch.
Es war eine lange, wunderbare Tagesreise. Gazellen wurden gesichtet. Wir kamen an Dornbüschen voller Lerchen vorbei, manchmal schreckte ein Karnickel vor einem Kamel auf, blieb eine Sekunde mit bebender Nase sitzen, bevor es wieder im blauen Ruetha-Kraut verschwand. Weißes Tafelland im Norden, das am Nachmittag einen rosa-amethystfarbenen Ton annahm. Und nun das abendliche kapalluaaap-kapalluaaap der Treiber, die die Kamele von der Weide zurückrufen.
Nach acht Stunden im Sattel schliefen mir langsam die Beine ein.
Im Nedschd wird anscheinend nicht mehr gekämpft. Ibn Saud hat Ha’il und Ibn Raschid mit all seinen Frauen und Anhängern eingenommen und ist nun oberster Herrscher von Zentralarabien. In unserer Karawane ist ein Schammar, ein schlanker Mann mit irren Augen, der sich jeden Abend nach dem Gebet neben seinem Lagerfeuer hinstellt und alle Männer, die Feinde seines Stammes sind, zum Kampf herausfordert. Jeden Abend erhebt sich seine Stimme zu einem Ruf, der sich wie ein Spruchband über der Geschäftigkeit und dem Kamellärm des Lagers entfaltet.
Siebzehnter Tag . Noch immer in nordwestlicher Richtung, durch Schluchten und kahles Tafelland. Nachmittags in der Nähe einer Wasserstelle in einem trockenen Bett eines Shaib das Lager aufgeschlagen. Südlich von uns liegen hohe Mesetas wie die zwischen Madrid und Toledo. Warmer, sonniger Nachmittag. Die Leute ziehen sich zum Waschen und Umkleiden schamhaft hinter Felsen zurück. Wanderte über eine Anhöhe und lag auf einem breiten Stein in der Sonne und las Martial. Ich bin noch nie so glücklich gewesen. Saß abends an Jassems Lagerfeuer lange Zeit neben Hassun, sah das brennende Ruetha, lauschte den Gesprächen, die ich nicht verstand, und schaute durch den aromatischen dunkelgrünen Rauch zum Mond. Trank endlose Tässchen Kaffee, den schwarzen ungesüßten Kaffee der Wüste, dreimal aufgekocht, mit einem Gewürz versetzt, das ihm einen chininbitteren Geschmack gibt, so kraftvoll wie ein mächtiger Wagnerscher Akkord, so beruhigend für den windgepeinigten Körper wie morgendlicher Schlaf. Diese Männer aus dem Nedschd, Jassem und Hassun und Ali und die beiden kleinen schwarzen Männer mit den Kameljungen sind die feinsten Leute der Welt. Später lag ich wach da und schaute hinaus in das Mondlicht, hörte das Mahlen der wiederkäuenden Kamele und das leise Blubbern von Fahds Wasserpfeife. Wenn ich halbwegs bei Verstand wäre, würde ich bei Nawwaf in El Gharra bleiben. Es ist mir egal, wenn es bis nach Damaskus tausend Jahre dauert.
Achtzehnter Tag . Heute sind Nawwaf und sein Freund auf ihren großen weißen Dromedaren losgeritten. Tagelang war darüber debattiert worden, ob die Karawane den Weg über El Gharra nehmen sollte. Ich nehme an, Nawwaf wollte ein fettes Schutzgeld kassieren. Jedenfalls geht es weiter in Richtung Norden, wahrscheinlich nach Aleppo statt nach Damaskus. Die beiden zogen wütend los, ohne etwas gegessen zu haben. Ich hätte mit ihnen gehen können. Ich sah die beiden weißen Punkte in der zerklüfteten Hügellandschaft sich immer weiter entfernen und bedauerte meine Entscheidung außerordentlich. Es war während der Mittagsrast. Ich saß mit dem Sajjid und Saleh inmitten von Schih-Büschen und aß Reis aus der Schüssel des Sajjid. Unsere drei angebundenen Kamele standen über uns, grüner Geifer tropfte ihnen von den Lippen, während sie die saftigen Schih-Triebe kauten.
Am Nachmittag hielten wir mehr nach Westen, einem Wind entgegen, der kalt wie eisige Rasierklingen war. Wir durchqueren eine flache rostrote, feuersteinübersäte Ebene, auf der sich die Trampelpfade schnurgerade dahinziehen wie ein Schiff auf dem Meer. Am Abend vergnügte ich mich mit einem Anflug dieses verdammten Teheraner Fiebers. Zum Abendessen gab es Chinin in rauhen Mengen.
Neunzehnter Tag . Kühler Morgen. Rauhreif auf den Feuersteinen, aber dann ein angenehm warmer Tag, ritt träge durch Schluchten und trockene Wasserläufe und über sanfte Geröllhügel. Haufenweise Karnickel, sobald es ein bisschen Vegetation gibt, und pingelig aussehende graubrüstige Vögel. Ob das Wiedehopfe sind? Heute Nachmittag erwischte es den Hadschi. Eines von Abdullahs Maultieren, die andauernd Ärger machen, biss dem Kamel in den Schwanz, das daraufhin einen großen Satz machte und sich in dreizehn Richtungen drehte, dass der Hadschi mitsamt Regenschirm und diversen kleinen Päckchen und Kochtöpfen in hohem Bogen aus dem Sattel flog. Der alte Herr stöhnte und rief «Hamdulillah», bis alle herbeikamen und ihm hochhalfen und Abdullah und seine Maultiere verfluchten und den verbogenen Regenschirm richteten. Dann rappelte er sich auf und stieg wieder auf sein Tier, als wäre nichts passiert.
Während wir das Lager errichteten, wurde ein hoffnungslos lahmendes Kamel getötet. Es schien zu wissen, was ihm drohte, stand torkelnd in der Mitte des Lagerplatzes und sah sich glubschäugig um. Einer der kleinen schwarzen Männer aus dem Nedschd, mit hochgekrempelten Ärmeln und straffgegürtetem Gewand, riss das Tier von den Beinen und schnitt ihm blitzschnell die Kehle durch. Noch ehe alles Leben aus dem Leib gewichen war, wurde das Tier gehäutet und mit viel Begeisterung und Gebrüll zerteilt. Fahd, blutig bis zu den Ellbogen, schleppte die Leber und mehrere Rippen an. Die Leber wurde sofort in der glühenden Asche gegrillt, das übrige Fleisch wurde gekocht. Ich las derweil von den grandiosen Idiotien des Amant Magnifique und nahm bei Sonnenuntergang ein exzellentes Dinner aus Porridge und Kamelfleischstücken mit gebratenen Zwiebeln ein. Die Zwiebeln sind tatsächlich aus meinen eigenen Beständen. Ging schlafen und träumte vom Sonnenkönig und von roten Absätzen, die sich zu langsamen Sarabanden bewegen.
Zwanzigster Tag . Als wir heute Morgen aufbrachen, ging hinter uns die Sonne auf, ein unglaubliches Feuerwerk aus Grau und Gummiguttagelb und Lachsrosa. Schläfrig schaukelte ich auf Malek dahin, Stunde um Stunde, unter einem so intensiven Himmel, dass es schien, als könne man durch das blaue Licht der Welt bis in das Schwarz des unendlichen Raums sehen. Abends kampierten wir in einer flachen Ebene voll Ruetha. Entfernte mich weit von der Karawane mit ihren lauten Geräuschen des Kochens und des Zeltaufschlagens, bis sogar die weidenden Kamele hinter den Hügeln verschwanden. Kein Wind wehte. Nur das gelegentliche Knirschen eines Steins unter meinen Füßen war zu hören. Plötzlich dachte ich an die Wüstendämonen, von denen Marco Polo erzählt, die dem Reisenden ins Ohr flüstern, ihn von den Zelten und der Karawane weglocken, über immer neue Hügel, bis er die Orientierung verliert und in der Leere umherirrt und schließlich stirbt. Es war fast dunkel. Dicke Kondorwolken türmten sich über dem blutenden Westen. Ein schwacher Wind kam auf und pfiff, wisperte leise zwischen den Flintsteinen. Fast war es, als flüsterte er meinen Namen. Ich raffte den Saum meiner Abaya und lief und lief, bis ich im letzten Dämmerlicht die Zelte sehen konnte und die Ballenstapel und den Kreis der Lagerfeuer und die vielen unruhigen langhalsigen Kamele, die für die Nacht angebunden wurden.
Manche Leute sprechen von acht, andere von fünfzehn Tagen bis Esch-Scham.
Einundzwanzigster Tag . Im Westen zwei kleine kegelförmige Berge. Ich glaube, der eine heißt Dschebel Suab. Die Gruppe der Granden, die weit vor der Karawane ritt, kam plötzlich über dem Kamm einer niedrigen Anhöhe in Sichtweite einer großen Herde von Gazellen. Eine ganze Weile sahen sie uns nicht. Jeder hatte sein Gewehr bereit. Doch dann sprangen die vordersten Gazellen hoch in die Luft wie Brecher an einem Meeresfelsen und stürmten davon. Im Nu war die ganze Herde verschwunden. Zu schade, denn meine Vorräte sind aufgebraucht, ich lebe von Reis und frittierten Datteln, die ich von Jassem bekomme. Auch mein Zigarettenvorrat ist aufgebraucht, was sich in der Karawane anscheinend herumgesprochen hat, denn diese feinen Leute sorgen dafür, dass ich immer etwas zu rauchen habe. Dauernd kommen Männer, denen ich nie freundschaftlich verbunden war, und bringen etwas, so dass ich, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, mehr rauchen muss, als mir lieb ist. Hassun beispielsweise will, dass ich zwei auf einmal rauche. Komisches Gefühl, die ganze Zeit hungrig zu sein. Habe stundenlang Visionen von Gänsebraten und Vallisneria-Ente und Horsd’œuvre im Bristol. Wenn ich aufwache, sehe ich lauter Mais-Muffins und Waffeln rings um mein Feldbett. Die Essensbeschreibungen in Martials Epigrammen treiben mir Tränen in die Augen.
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