Fünfundzwanzigster Tag . Heute Morgen kamen wir gut voran, dem ewigen Westwind entgegen, als ein paar von Abdullahs lächerlichen Maultieren sich unbedingt in einem Labyrinth von trockenen Flussbetten verirren mussten. Also ließen wir uns an einer Wasserstelle nieder, in einem angenehm windgeschützten Tal, dem Sheib War, obwohl wir erst einen halben Tag geritten waren. Wusch mich zum ersten Mal seit einer Woche in einer schicken sonnenerfüllten Felshöhle, lag lange auf den warmen Steinen, während meine Sachen auslüfteten, las Juvenal, mit dem ich nicht recht warm werde, trotz seiner wunderbar empörungsschwülstig dahinfließenden Bilderwelt. Es ist mir zu gewollt. Hoffe, dass ich ein paar Flöhe in der Höhle zurückgelassen habe. Frieren und gleichzeitig von Flöhen gebissen zu werden, ist wirklich blöd. Die Maultiere sind wieder eingefangen worden und kommen die Schlucht heraufgetrappelt. Bukra inschallah werden wir die syrischen Berge und den Dschebel Druze sehen.
Sechsundzwanzigster Tag . Fühle mich wie der namenlose Weise, der mit Weihrauch und Myrrhe zu spät kam. Gottverdammt kalt, es können ruhig alle wissen. Habe noch nie in meinem Leben dermaßen gefroren. Den ganzen Tag in einem scharfen Wind geritten, unter klarem Himmel über eine atemberaubende Ebene, übersät mit scharfen, glitzernden Feuersteinen. Eigentlich zum ersten Mal richtige Wüste. Keinerlei Vegetation. Unsere Lagerfeuer sind aus Jelle, getrocknetem Kameldung, aufgelesen auf einem alten Rastplatz, an dem wir vorbeikamen. Wir sind hier unter einer Anhöhe am Eingang des Wadi Mia, bis Damaskus sollen es noch vier, nach anderen Angaben acht Tage sein. Frösteln und Beten zum Abendessen. Flöhe.
Siebenundzwanzigster Tag . Habe den Verdacht, dass heute Weihnachten ist, da ich aber nicht sicher bin, an welchem Tag ich aus Bagdad abgereist bin, habe ich mich vielleicht verrechnet. Zum Mittagessen gab es Kastowi, zum Abendessen Reis mit meinen letzten Zwiebeln. Höllisch kalt. Langer, trostloser Ritt über purpurrote Hügel, übersät mit scharfen Feuersteinen, in einem Wind, kälter und schärfer als alle Feuersteine von hier bis Jericho. Dies muss der höchste Teil des Bergkamms sein, denn manchmal geht der Regen in Schneeregen über. Bin heute Abend furchtbar ins Fettnäpfchen getreten. Vor dem Abendessen machte ich meinen üblichen kleinen Spaziergang, hinauf zur höchsten Erhebung in der Umgebung des Lagers, stand auf dem Gipfel und schaute durch graue Dunstfetzen in die weite gipsgraue Ödnis. Vor mir zwei kopulierende Kamele, die sich im letzten silbrigen Licht wie Monster aus einer Eozän-Welt abzeichneten, die geschmeidigen Hälse aneinandergelegt, mit sabbernden aufgeplusterten Lippen und durch gelbe Zähne stöhnend. Schwerfällig, vorsichtig wurde der Akt im aluminiumschimmernden Dämmerlicht vollendet. Ich war auf einen Felsen gestiegen, um noch weiter sehen zu können, als ich Jassem mit dem Fernglas in der Hand heranstürmen und heftig winken sah. Ich ging ihm entgegen und stellte fest, dass er fuchsteufelswild war. Den ganzen Tag hatte sich die Karawane außer Sichtweite der schwarzen Zelte bewegt, die im benachbarten Tal waren, und da stand ich wie ein Denkmal auf der Anhöhe, weithin in alle Richtungen sichtbar. Jassem zeigte seinen Ärger, und ich meine Zerknirschtheit, indem wir mit Steinen auf die Kamele warfen und sie zurück ins Lager trieben.
Achtundzwanzigster Tag . Heftige Regenschauer aus grauen Wolken. Ein Nordseetag ohne ein bisschen Sonne. Ritt von frühmorgens bis spätabends durch eine heulende Steinwüste. Die Agail lachen über mich, wenn wir abends am Feuer sitzen, denn der beißende Jelle-Rauch treibt mir die Tränen in die Augen. Hassun kann, ohne mit der Wimper zu zucken, das Gesicht in den stärksten Qualm halten, fast bis in die Flammen. Hielt einen Vortrag über Amerika. Einige Agail waren anscheinend schon einmal in Amerika und haben bei ihrer Rückkehr erzählt, dass es ein Land voll fluus sei. Der Kaffee, den wir tranken, kam aus Santos, also glaubten sie, dass ich dort lebe. Alle wunderten sich über die großen eisernen Schiffe, die über das Meer fahren, und hier, in der Wüste, am Kameldungfeuer in unergründlich dunstschwarzer Nacht, spürten wir den Sog der großen Maschine, das Funkeln von Nickelmünzen, das Schimmern von Zelluloid und Emaille, das Knistern von Geldscheinen in Banken, das Rattern und Stampfen geölter Räder. Ich hielt eine große Ansprache und sagte, dass ich, wenn ich bei Verstand wäre, in der Wüste bei den Agail leben und nie mehr zurückkehren würde; das nahmen sie als Kompliment, sie verstanden es nicht. Jassem fragte dann, was für eine Art Hakim ich in meinem Land sei, ein bedeutender Mann wie Cokus? Nein, nicht ganz.
Der Hadschi hat kein Glück. Gestern schlief er in meinem Zelt, da es draußen ganz nass war, und natürlich wurde das Zelt umgeweht, und die Hälfte der Kamele brach in eine Stampede aus, niemand dachte mehr an den armen alten Herrn, alles trampelte auf ihm herum, bis er schließlich, auf dem Bauch liegend und stöhnend, unter dem umgekippten Bett hervorgezogen wurde. Und wieder war der Regenschirm beschädigt.
Meine Schuhe sind hinüber, und ich habe Frostbeulen.
Neunundzwanzigster Tag . Sitzen wieder fest. Fünfzehn Kamele humpeln nach den Anstrengungen der letzten Tage. Den ganzen Tag in nassen Zelten gefroren. Den ganzen Nachmittag im Zelt des Sajjid gesessen, während sein Koch Hadschi Mohammed Geschichten erzählte. Ich habe nicht alles mitbekommen, aber jede begann mit der geschmeidigen Verbindlichkeit des Es war einmal ... und entwickelte dann eine solche Spannung, dass alle Eywallah und Allah riefen und dreckig gackerten und unruhig hin und her rutschten und sich dermaßen amüsierten, dass mir fast war, als hätte ich die Worte verstanden. Dann sang der kleine Sohn des Damaszener Kaufmanns, und alle aßen Datteln und tranken Tee. Zwischen den Strophen romantischer Lieder ruft jeder Allah und seufzt überaus melancholisch.
Dreißigster Tag . Begann dunstverhangen und deprimierend. Dann Phantomberge im Westen, die Syrien und seine Fleischtöpfe zu versprechen schienen, die Sonne kam heraus, und die unendliche purpurrote Flintsteinebene leuchtete wie ein zersprungener Spiegel.
Einunddreißigster Tag . Herrlicher eiskalter Morgen. Immer weiter westwärts durch dieses Flintsteinmeer. Unentwegt hungrig. Stunden vor Mittag denke ich an den Geschmack von Kastowi, eine köstliche melassebraune Pampe aus Schafsbutter und gebratenen Datteln, und abends falle ich über Reis und Brot her, ohne viel zu schmecken. Letzte Nacht habe ich von einem Dinner im Bristol in Marseille geträumt, von dem Geschmack einer knusprig gebratenen Gans. Ich komme mir dann furchtbar verweichlicht vor. Entbehrungen scheinen den anderen nichts auszumachen. Die Araber sind die genügsamsten Leute, denen ich je begegnet bin.
Zweiunddreißigster Tag . Einen halben Tag weiter. Kamele schlecht gelaunt, da sie seit Tagen nichts zu fressen haben. Und wenn sie tausend Jahre bis Damaskus brauchen. Mir ist es egal. Nie wieder werde ich an so aromatischen Lagerfeuern sitzen, mit so feinen Leuten zusammen sein. Mein Gott, ich fühle mich gut, bärtig, vollblütig, die Wüste, dieses kalte purpurrote feuersteinerne Plätteisen, hat alles Gallige aus meinem Bauch, alles Runzelige aus meinen Gedanken weggebügelt.
Der Sajjid und Damaskus-Saleh hatten einen Streit, ich weiß nicht, worüber.
Dreiunddreißigster Tag . Ein neuer Wind ist aufgekommen, hawa esch-Scham, so heißt er, der Wind von Damaskus. Alles ist rosa und von warmer Farbe wie die Ohren eines Eselhasen, die man für einen kurzen Moment gegen die Sonne sieht. Wir haben auf einem schihbedeckten Hang unser Lager errichtet. Am Ende einer nach Nordwesten verlaufenden Rinne ragt ein Gebirgszug in die Wüste hinein, die Berge von Syrien. Dahinter liegt Palmyra, dessen Anblick mir nicht vergönnt sein wird – ach, Zenobia. Schuhe zerrissen, die Füße voller Frostbeulen, die Hände steif vor Kälte, aber ich bin munter wie eine Lerche. Hätte jetzt gern ein heißes Glas Punsch mit einer Zitronenscheibe und zwei Nelken.
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