Der Himmel ist eine riesige Sphäre aus mattem Glas, die auf der Teigkruste namens Erde ruht, heute hier und da mit rötlichen Tupfern der Wintersonne versehen.
Gegen Abend, in der Stunde, wenn die Beine schmerzen und der Magen vor Hunger wie ein Hund knurrt, kamen wir zu einem weiten Tal, das in nordsüdlicher Richtung verläuft. Gegenüber auf der anderen Seite zeichnete sich eine Reihe schwarzer käferartiger Objekte ab, die Zelte der Delaim.
Neunter Tag . Angenehmer Wind, klarer Himmel. Einige Agail mit einem Dutzend Lastkamele zogen, von Aleppo kommend, an uns vorbei. Es war wie die Begegnung zweier Schiffe auf See.
Wir saßen den ganzen Tag in unseren Zelten, o Israel.
Streifte rastlos umher, versuchte, mit Nawwaf ein Gespräch auf Arabisch zu führen, und las Molière. Es scheint ein Problem zu geben. Der dicke Scheich aus Kubaisa wirkt ziemlich bedrückt. Alle reden von einem Scheich Mohammed Turki von den Kubain, der eine unglaubliche Summe Schutzgeld verlangt.
Zehnter Tag . Noch immer am selben Ort. Ständig tauchen merkwürdige Leute im Lager auf, weißgekleidete Delaim, hochgewachsene, weiße Männer mit gewachsten Schnurrbärten, die Haare in Zöpfen über den Ohren. Sie sind mit den Agail befreundet, die Karawane steht mehr oder weniger unter ihrem Schutz.
Schon in aller Frühe begann am Lagerfeuer von Jassem er-Rawwaf ein lautstarkes Hin und Her, das den ganzen Tag andauerte; Männer springen hoch und brüllen und gestikulieren. Der dicke Scheich fungiert offenbar als Vermittler. Jassem er-Rawwaf ist groß, mit markanten Zähnen und einem ungleichmäßigen Bart wie der von Moses; er trägt zwei Kopftücher, die ihm weit über die Schulter fallen, das eine weiß, das andere purpurrot, und meistens sitzt er schweigend da, dirigiert mit knappen Bewegungen seiner langen Hände die Zubereitung von Kaffee oder lässt eine bernsteinfarbene Gebetskette durch die Finger gleiten. Einmal beugte er sich zornerfüllt über das Feuer und sprach so langsam und bedächtig, dass alle verstummten und nickten. Später fragte ich ihn, worum es bei dem Streit gegangen war. Er lächelte, zog die Schultern hoch und rieb dabei Daumen und Zeigefinger in dieser unglaublich semitischen Geste und sagte leise «Fluus», Geld.
Die ganze Wüste scheint gierig herumzustreichen und einen günstigen Moment abzuwarten, um sich auf die Ballen persischen Tabak und die verlockende Herde junger Kamele zu stürzen.
Nawwaf kam in mein Zelt und sprach lange darüber, dass die Ingliz sich vertragen und ihre Gewehre nur im Kampf gegen Fremde einsetzen, während die Araber immer streiten, zu Fremden aber sehr höflich sind. So zumindest verstand ich ihn. Ich stimmte ihm ausdrücklich zu.
Überall werden Gewehre gereinigt.
Elfter Tag . Gestern Abend war der erste große Tumult.
Ich war in mein Zelt gegangen, um bei Kerzenschein zu lesen, als sich im Lager großer Lärm erhob. Alle lief hin und her und stolperte über meine Zeltschnüre. Bagdad-Saleh kam hereingestürmt, um das Gewehr zu holen, das er sicherheitshalber bei mir deponiert hatte. Fahd schien ungeheuer erregt, er rief etwas, das sich wie «Alle Mann in die Boote» anhörte. Ich stand in der Zelttür, konnte aber nichts sehen, weil es stockdunkel war, doch Fahd schickte mich wieder hinein und schüttelte sorgenvoll den Kopf. Unterdessen war die Kerze umgefallen, so dass ich zunächst im Dunkeln auf meinem Feldbett saß und dem zunehmenden Lärm draußen lauschte. Dank der Horrorgeschichten, die mir in Bagdad reichlich vorgesetzt worden waren, stellte ich mir die Wachsfigur von Gordon Pascha [30] Gordon Pascha Charles George Gordon (1833–1885), britischer Gouverneur des Sudan, während des Mahdi-Aufstands in Khartum getötet
im Kabinett von Madame Tussaud vor. Ich erinnerte mich aus meiner Kindheit an Lithographien von Entdeckern mit Tropenhelm, die von Assegais durchbohrt werden. Der unglückliche Tod des Prinzen Napoleon. Gut, dass ich keinen Tropenhelm trug.
Ich stellte fest, dass ich zitterte und fror, ging wieder zur Zelttür und zündete mir eine Zigarette an. Sofort kam ein Unbekannter herbeigelaufen und rief mir etwas zu. Ich gab ihm die Zigarette. Er verschwand mit ihr, schien sehr ermutigt. Dann kam der Sajjid an, barhäuptig und erregt und atemlos und sagte etwas von einem Gewehr. Nein, ich hatte kein Gewehr, aber ich gab ihm eine Zigarette. Nachdem ich eine Handvoll Zigaretten verschenkt hatte, legte sich das Gebrüll in der Ferne. Ich fragte mich, wann die Schießerei beginnen würde, denn mir war nicht klar, dass die Araber im Umgang mit Feuerwaffen äußerst umsichtig sind. Dann kamen viele Leute und erklärten, was vorgefallen war, alles mehr oder weniger unverständlich. Gewann jedoch den Eindruck, dass der Streit angefangen hatte, weil einer von Ibn Kubains Männern das Gewehr des Sajjid hatte stehlen wollen. Das Gewehr war wieder da, aber es hatte einen Kampf gegeben, und der eine oder andere Schädel war eingeschlagen worden.
Doppelposten wurden aufgestellt, und jedermann legte sich heldenhaft schlafen.
Am Morgen zogen wir nordwärts über einen Hang voller Dornsträucher, in denen Lerchen großen Lärm veranstalteten, zu einem Lagerplatz in der Nähe einer Wasserstelle vor den Zelten der Delaim.
Ging mit dem dicken Scheich hinüber, um den Delaim einen Besuch abzustatten. Ihre Zelte sind sehr groß, offen an der windgeschützten Seite, in der Mitte ein Vorhang, hinter dem das Quartier der Frauen liegt. Für jeden, der in einer Kultur aufgewachsen ist, die den Besitz anbetet, sind diese Zelte unglaublich leer. Ein paar Teppiche, einige Sättel und Gewehre, Schaffelle, Kochtöpfe und die schwarzen schmucklosen Wände ihre Zelte – das ist alles, was die Delaim zwischen der nackten Erde und dem unvorstellbar weiten Himmel für sich haben. Wir saßen auf Teppichen, die für uns ausgebreitet worden waren, Kaffee wurde gebracht, ich blickte über die Ebene, die sich endlos weit nach Süden erstreckte, auf der große Schafherden weideten, dazwischen Männer in braunen Gewändern wie Figuren aus dem Alten Testament, während der dicke Scheich würdevoll mit den Leuten sprach, deren Gäste wir waren. Dann brachte eine Frau eine flache Holzschale mit einem ungesäuerten, noch warmen Fladenbrot, das in Schafsbutter schwamm. Muss die Art Butter gewesen sein, die Jael in einer herrlichen Schale auftrug. Ein kleiner Junge goss uns Wasser aus einem Kupferkrug über die Hände, und das Familienoberhaupt brach mit einem lauten Hamdulillah ein Stück Brot aus der Mitte des Tellers. Daraufhin streckten wir alle die rechte Hand aus und begannen zu essen.
Am Nachmittag ging ich umher, saß an verschiedenen Lagerfeuern und trank Kaffee und versuchte herauszufinden, wie lange wir in den Zelten der Delaim bleiben würden. Alle sagten, dass es bukra inschallah weitergeht, aber sie sagten so oft inschallah und rollten dabei so fürchterlich mit den Augen, dass sie die Entscheidung offenbar an Allah abgegeben haben und wir wohl noch eine Weile bleiben werden.
Zwölfter Tag . Eiskalter Wind. Es ist so kalt, dass man nur am Feuer sitzen kann und einem der Rauch in die Augen steigt.
Besuchte die Damaszener Kaufleute, die mir neulich das Gebäck geschenkt hatten. Der kleine Junge produzierte zum Stolz und Entzücken aller Anwesenden zwei, drei Sätze in exzellentem Englisch. Sein älterer Bruder kennt ungefähr fünf Wörter Französisch, so dass wir eine lebhafte Konversation führten. Der Vater schien unsere Chancen ausgesprochen düster zu beurteilen, er meinte, dass wir vermutlich nach Bagdad zurückkehren. Aber der Kleine, der nicht älter als zehn sein kann, ermutigte alle Anwesenden mit den Worten: «Wir werden Bedawi mit unseren Gewehren erschießen.»
Der Enthusiasmus, mit der die Delaim meine Sachen mustern, gefällt mir nicht unbedingt. Drei prächtige Halunken haben gerade mein Zelt verlassen. Lange saßen sie da, das Wort Bakschisch auf der Zungenspitze, fuhren mit den Fingern über die Leinwand und meine Abaya und meinen Koffer und fragten, was darin sei, und beim Anblick des silberbeschlagenen Sattels, den El-Suadi mir geliehen hat, funkelten ihre Augen vor Gier. Ich versuchte, sie mit Zigaretten abzuspeisen.
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