Ahasver ist dumm.
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Der Panamakrach war’s, der mich zum Dichter machte!
Es ist fabelhaft
Allen aus meiner Generation ging es so
Junge Leute
Die die seltsamsten Schicksalsschläge erlitten haben
Wir spielen nicht mehr mit Möbeln
Wir spielen nicht mehr mit altem Kram
Wir zerschlagen, wo immer wir sind, weiterhin Geschirr
Wir schiffen uns ein
Wir jagen Wale
Töten Walrosse
Wir leben dauernd in Angst vor der Tsetsefliege
Denn wir schlafen nicht gern ...
Phantastische Männer, diese Onkel. Einer war ein Metzger in Galveston, der bei dem Wirbelsturm von 1895 umkam, ein Zweiter war Goldwäscher in Klondike. Ein Dritter wandte sich dem Buddhismus zu und wurde beim Versuch gefasst, Engländer in Bombay in die Luft zu jagen; der Vierte war Kammerdiener eines Generals im Burenkrieg; der Fünfte war Küchenchef in Grand Hotels; der Sechste verschwand in Patagonien mit einem Haufen elektromagnetischer Präzisionsinstrumente; was aus dem Siebten wurde ist unbekannt.
Es war der zweite Onkel, der Gedichte im Stil von Musset schrieb und in San Francisco die Geschichte von General Suter las, dem Mann, der Kalifornien für die Vereinigten Staaten eroberte und den die Entdeckung von Gold auf seiner Plantage in den Ruin stürzte. Dieser Onkel heiratete die Frau, die das beste Brot im Umkreis von tausend Meilen machte, und wurde eines Tages mit einer Kugel im Kopf aufgefunden. Die Frau verschwand. Sie heiratete wieder und ist nun die Frau eines reichen Marmeladefabrikanten.
Blaise Cendrars schreibt inzwischen Gold , die Geschichte von General Johann August Suter, einen Roman, der die rasanteste, konziseste Geschichte nachzeichnet, die ich je gelesen habe, und wie ein Messer durch die Seichtheiten der zeitgenössischen französischen Literatur mit ihren zitronengelben Handschuhen und dem Parfüm und dem Weihwasser und ihrer Vorliebe für den Policier-Gentleman schneidet. Weil Cendrars, anders als die Vertreter der Quai-d’Orsay-Schule das für sich behaupten, tatsächlich ein internationaler Vagabund ist, hat er die grandiosen Rhythmen Amerikas von vor fünfundsiebzig Jahren einfangen können, deren Mythen unsere Generation gerade erst zu erschaffen beginnt. (Als ob irgendjemand wirklich etwas war; er ist ein guter Schriftsteller, belassen wir es dabei.) In Gold macht er aus der tragischen und turbulenten Absurdität von 1849 ein Feuerwerk. Alles ist so schnell vorbei, dass man es gleich noch einmal lesen muss, weil man befürchtet, etwas übersehen zu haben.
Aber die sieben Onkel. Hier ist noch ein weiterer Gesang über das Reisen, der sein gesamtes Werk charakterisiert, Ausdruck der Qualen und Freuden einer Generation von Eisenbahnnarren, Schiffsnarren, Flugzeugnarren.
Ich habe Durst
Verflucht
Verflucht noch mal
Verflucht noch mal
Ich möchte das Feuille d’Avis de Neuchâtel oder den
Correo de Pamplona lesen
Mitten auf dem Atlantik fühlt man sich nicht wohler als in
einem Redaktionsbüro
Wie ein eingesperrtes Eichhörnchen drehe ich meine Runden im
Käfig der Meridiane
Da, schau mal, ein Russe, der sympathisch wirkt
Wohin soll’s denn gehen
Auch er weiß nicht, wo er mit seinem Gepäck einmal landen wird
In Léopoldville, in der Sedjerah bei Nazareth, bei
Mr Junod oder bei meinem alten Freund Perl
Im Kongo in Bessarabien auf Samoa
Ich kenne alle Fahrpläne
Alle Züge und ihre Anschlüsse
Ankunfts- und Abfahrtszeiten
Alle Dampfer alle Tarife und alle Gebühren
Egal wohin
Ich habe Adressen
Lebe von meiner Schreibmaschine
An Bord der Volturno reise ich von Amerika zurück,
für 35 Francs von New York nach Rotterdam
Für Blaise Cendrars spielt Amerika anscheinend eine besondere Rolle, in den USA zog er den entspannteren Süden und Westen den bibelschweren Bergen von Neu-England vor. Hier ist ein Gedicht über den Mississippi, für das Old Kentucky die vielen Krokodile geliefert haben muss, immer noch eine gute Ergänzung der wunderbaren alten Ansichten von Raddampfern, mit einem Neger am Sicherheitsventil.
An dieser Stelle ist der Fluss fast so breit wie ein See
Zwischen zwei sumpfigen Böschungen wälzt er seine
gelblich schlammigen Wasser
Wasserpflanzen, die übergehen in Baumwollplantagen
Da und dort tauchen Städte auf oder Dörfer, die sich
mit ihren Fabriken in kleine Buchten verkrochen haben
Mit ihren hohen schwarzen Kaminen und langen Stegen
Mit ihren langen Stegen auf Pfählen
Die sich weit ins Wasser vorwagen
Drückende Hitze
Die Bordglocke läutet zum Lunch
Die Passagiere präsentieren sich in karierten Anzügen, mit
buntschreienden Krawatten und glitzernden Westen
Die zu den scharfen Cocktails und ätzenden Saucen passen
Es gibt viele Krokodile
Die jungen munter und quicklebendig
Die alten lassen sich mit ihren grünbemoosten Rücken treiben
Die üppige Vegetation verweist auf die Nähe der Tropen
Riesenbambus, Palmen, Tulpen- und Lorbeerbäume, Zedern
Der Fluss ist jetzt doppelt so breit
Gespickt mit schwimmenden Inseln, von denen, sobald sich das
Schiff ihnen nähert, ganze Schwärme von
Wasservögeln aufstieben
Dampfschiffe, Segelschiffe, Kähne, Wasserfahrzeuge aller
Art und riesige Floße
Gelber Dampf steigt aus den überhitzten Fluten des Stroms
Zu Hunderten tummeln sich nun die Krokodile um uns herum
Man hört das trockene Zuknallen ihres Gebisses und
erkennt ihr grimmiges Auge
Die Passagiere machen sich einen Spaß daraus,
mit Präzisionsgewehren auf sie zu schießen
Wenn einem erfahrenen Schützen das Kunststück gelingt,
ein Tier zu töten oder tödlich zu verwunden
Stürzen sich seine Artgenossen auf das Opfer und reißen es
Wild in Stücke
Mit leisen Schreien, die wie das Gewimmer eines
Neugeborenen klingen.
In Kodak (Dokumentarfilm) finden sich Gedichte über New York, Alaska, Florida, über die Jagd auf Wildenten und Auerhähne in Birkenwäldern bei Winnipeg, über eine neblige Nacht in Vancouver, über eine Dschunke in einem Pazifikhafen, die japanisches Porzellan und Schwalbennester, Bambussprossen und Ingwer geladen hat, über Sterne, die wie Zucker schmelzen am Himmel über einer Insel, an der Kapitän Cook vorbeikam, über Elefantenjagd in einem Dschungel, über den prasselnder Regen niedergeht, und am Ende eine Liste von Menüs, mit Leguan und grüner Schildkröte, Lachs und Haifischflossen, Spanferkel mit gebackenen Bananen, Flusskrebsen mit Chilipfeffer, Brotbaumfrüchten, gebratenen Austern und Guaven, datiert Auf Reisen 1887–1923 . 1887 ist Cendrars’ Geburtsjahr.
Neunzehn elastische Gedichte . Paris ist, ob wir wollen oder nicht, bis heute ein Zentrum von Unruhe, hier wird unser Jahrhundert aufgebaut und eingerissen. Von hier hat sich das Esperanto einer sich als «modern» begreifenden Kunst in alle Himmelsrichtungen ausgebreitet. Blaise Cendrars ist ein wandernder Pariser, dem diese und viele andere Dialekte sehr vertraut sind. Er ist so etwas wie ein Medizinmann, der die Dinge heraufbeschwört, die unsere grausamen Rachegötter sind. Turbinen, Dreifach-Expansionsdampfmaschinen, Dynamit, Hochspannungsleitungen. Navigation, Tempo, Flucht, Vernichtung. Gegen sie kommt keine Medizin an. Die Kubisten haben Fetische und Amulette erfunden, die vielen nützlich erscheinen. Hier ist das Bekenntnis eines enfant du siècle , eines wandernden Parisers:
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