Constance und die Kinder kamen gut an. Sie brachten haufenweise Gepäck mit und ein Eßpaket und Lesestoff von Brett für Billy.
Patricia war ganz aufgeregt beim Anblick der Stadt; der Gedanke, im Herbst hier die Schule zu besuchen, versetzte sie in beschwingte Stimmung. Ihr Bruder, um genau zehn Monate älter, teilte ihre Begeisterung, streckte ihr aber nichtsdestoweniger die Zunge heraus, was ihm einen Klaps von seiner Mutter einbrachte.
George meinte, im Herbst könnten sie vielleicht alle schon wieder zu Hause sein. Die kommende Schlacht würde jedenfalls einen Hinweis darauf geben. Die Mietpreise für Pferde und Wagen waren in den letzten Tagen in die Höhe geschossen; Hunderte von Leuten wollten nach Virginia fahren, um die aufregenden Ereignisse von einem sicheren Aussichtspunkt aus zu genießen. Obwohl George die wahre Natur des Krieges kannte, war auch er dieser Sucht erlegen; falls sie davon Gebrauch machen wollten, hatten sie eine Kutsche zur Verfügung.
»Wenn ich dir den Preis dafür sagen würde, Constance, dann hältst du mich vielleicht für verrückt.«
Am Mittwochabend kehrte George in die Hotel-Suite zurück, nachdem er stundenlang das Chaos in Ripleys Abteilung zu bewältigen versucht hatte. Mit grimmiger Miene reichte ihm Constance eine Visitenkarte.
»Das hat jemand abgegeben, als ich beim Einkaufen war. Ich dachte, wir hätten vielleicht das Glück, von Stanley und Isabel geschnitten zu werden.«
Voller Widerwillen las er auf der Rückseite der Karte in Isabels Handschrift die Einladung zum Dinner am nächsten Abend. »Gehen wir dies eine Mal hin. damit wir’s hinter uns haben. Ansonsten laden sie uns weiterhin ein, und wir schieben das wie eine Verabredung beim Zahnarzt vor uns her.«
Constance seufzte. »Wenn du’s ertragen kannst, dann kann ich’s auch.«
George kratzte sich am Kinn. »Möchte mal wissen, womit sie diesmal angeben will?«
Mit einer ganzen Liste, wie sich herausstellte. Als Appetitanreger diente das gemietete Haus in der I-Street. Fünfzehn Minuten lang mußten sie es besichtigen. Isabel lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die wertvolle Einrichtung und sagte mitfühlend: »Ich bedaure euch wirklich, so eng, wie ihr’s im Willard habt. Wir hatten solch ein Glück, dem National zu entrinnen und dieses Haus hier zu bekommen, nicht wahr?«
»Oh, ja.« Constance befleißigte sich einer makellosen Höflichkeit. »Es war nett von dir. uns einzuladen, Isabel.«
»Vergangenes sollte vergangen bleiben – vor allem in Zeiten wie diesen.« Isabel warf den Brocken George zu, der ihn jedoch nicht schlucken mochte. Plötzlich fühlte er sich müde, künstlich und herausgeputzt – ein Spielzeugsoldat.
Beim Dinner kamen dann langsam die gewetzten Messer zum Vorschein. Stanley und Isabel ließen die Namen wichtiger Persönlichkeiten in ihr Gespräch einfließen, taten so, als wären sie mit allen sehr vertraut – Chase, Stevens, Welles, General McDowell und natürlich Cameron.
»Hast du seinen letzten Monatsbericht gesehen, George?«
»Ich bin nicht in der Position, den Bericht zu sehen. Ich lese darüber, Stanley.«
»Die Bemerkungen über die Akademie?«
»Ja.« Allein das zuzugeben erforderte Beherrschung.
»Was genau hat er denn gesagt. Lieber?« fragte Isabel.
George hörte eine Phantomtür zuknallen; er saß in ihrer Falle. »Nun, er sagte lediglich, daß die Rebellion nicht möglich gewesen wäre – zumindest nicht in diesem Ausmaß –, ohne den Verrat von Offizieren, die in West Point auf Kosten der Öffentlichkeit ausgebildet worden waren.«
Kosten der Öffentlichkeit. Verrat. »Geschwätz«, sagte er, sich nach einem kräftigeren Ausdruck sehnend.
»Erlaube mir zu widersprechen, George«, sagte Isabel. »Die gleiche Ansicht hab’ ich von vielen Frauen von Kongreß- und Kabinettsmitgliedern gehört. Selbst der Präsident brachte es in seiner Botschaft am 4. Juli zum Ausdruck.«
Stanley täuschte eine bekümmerte Miene vor, schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, deiner Schule stehen harte Zeiten bevor.«
Über die Terrine mit Schildkrötensuppe hinweg schoß George seiner Frau einen funkelnden Blick zu. Ihre Augen spiegelten seine Empfindungen, baten aber um Geduld.
Das nächste Messer wurde gezückt, als die Diener Platten mit gekochtem Fisch und Wildbret anboten. Lächelnd sagte Isabel: »Wir haben noch eine gute Nachricht. Erzähl ihnen von der Fabrik, Stanley.«
Stanley tat es, wie ein Schuljunge, der eine auswendig gelernte Lektion aufsagt.
George sagte: »Armeestiefel, ja? Ich nehme an, ihr habt bereits einen Kontrakt?«
»Das haben wir«, sagte Isabel. »Profit ist jedoch nicht der Hauptgrund, weshalb wir Lashbrook’s gekauft haben. Wir wollten unseren Teil zu den Kriegsanstrengungen leisten. Außerdem ist Stanley damit nicht mehr ausschließlich auf Hazard angewiesen, um den Hungerlohn, den das Kriegsministerium zahlt, aufzubessern. Er wird nun auf eigenen Füßen stehen.«
Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird er in Boß Camerons Tasche stecken.
Isabel fuhr lächelnd fort: »Natürlich erwarten wir, daß Stanleys Gewinnanteil an Hazards weiterhin ausbezahlt wird.«
»Du brauchst keine Angst zu haben, daß dich irgendjemand betrügen will, Isabel.« Constance hörte das Grollen in der Stimme ihres Mannes und berührte sein Handgelenk.
»Wir dürfen nicht solange bleiben. Du sagtest, morgen wird ein anstrengender Tag.«
Falsche Höflichkeit legte sich wieder über die Tafel. Isabel war bester Stimmung, als hätte sie einen oder mehrere Trümpfe ausgespielt und gewonnen.
In der Mietkutsche, auf dem Rückweg zum Hotel, brach es aus George heraus: »Durch Stanleys Schuhkontrakt komme ich mir ebenfalls wie ein verdammter Profitgeier vor. Wir verkaufen Blech an die Navy und an das Kriegsministerium, für das ich arbeite.«
Constance tätschelte seine Hand. »Oh, ich glaube, da gibt es Unterschiede.«
Zweifelnd schüttelte George den Kopf. »Ich weiß nicht recht. Eines allerdings weiß ich mit Sicherheit. Unsere Kanonen sind ein ganzes Stück besser als Stanleys Schuhe.«
Constance lachte und umarmte ihn. »Das ist der Grund, weshalb sich Stanley möglicherweise in einen Profitgeier verwandelt, aber du wirst – immer und ewig – George Hazard bleiben.« Sie küßte ihn auf die Wange. »Wofür ich sehr dankbar bin.«
Im Hotel stellte sie mit Erleichterung fest, daß ihr Sohn sicher aus den Lagern drüben in Virginia zurückgekehrt war.
»McDowell ist auf dem Marsch«, erzählte er ihnen voller Begeisterung. »Onkel Billy sagt, wahrscheinlich werden wir Samstag oder Sonntag gegen die Rebs kämpfen.«
Stanley hatte angekündigt, hinauszufahren, um das Spektakel anzusehen. Während sie sich auszogen, besprachen George und Constance die möglichen Risiken eines solchen Ausflugs. Sie wollte fahren und hatte, sein Einverständnis voraussetzend, einen Lunchkorb bei Gautier’s bestellt.
»Also gut«, sagte er. »Wir fahren.«
In dieser Nacht schrieb Billy in sein Journal:
Heute kam mein Neffe und Namensvetter aus der Stadt herüber. Ich holte die Erlaubnis des Captains ein und nahm ihn mit zum Fairfax Courthouse, um den Anmarsch zu beobachten. Es war ein großartiger Anblick, wehende Fahnen, funkelnde Bajonette, dröhnende Trommeln. Unsere Kompanie bleibt zurück, zusammen mit den Distrikt-Truppen , was mich enttäuscht. Gleichzeitig muß ich ein gewisses Maß an Erleichterung eingestehen. Auf Schusters Rappen – diesmal fanden wir keinen Versorgungswagen – kehrten wir zum Lager zurück und kamen an Captain F.’s Zelt vorbei. Capt. F. lud William ein, unserer Messe beizuwohnen, und behandelte ihn sehr herzlich, machte ihm wegen seiner intelligenten Fragen Komplimente. William blieb, bis die Wachfeuer in der Landschaft aufleuchteten, dann bestieg er sein Mietpferd und ritt nach Washington zurück, wo, wie ich hörte, ebenfalls große Aufregung herrscht. Während ich schreibe, kann ich immer noch in der Ferne die Armee hören – Wagen, Kavallerie, singende Freiwillige und all das. Obwohl ich noch nicht in der Schlacht war und sicherlich Angst hätte, wünsch’ ich mir nun, wir wären auch dabei.
Читать дальше