Zweifellos. Einige der Guards kicherten hämisch über Justins durchweichte Hosen und den darüber sichtbar werdenden Wanst. »Herr im Himmel, kannst du sie nicht disziplinieren?« flüsterte er Francis zu. »Muß ich immer alles machen?«
Diesmal würde er sich nicht opfern. Ein Lemke rammte seinen Kopf vor und biß den anderen so tief in die Schulter, daß Blut durch die Uniform sickerte. Nein danke, dachte Justin und entfernte sich; vier oder fünf Niggers sollten gefälligst das Risiko eingehen.
Ein Lemke änderte den Griff seiner Hände, während der andere den Lauf nach unten drückte. Die Männer in der Nähe der Mündung wichen zur Seite. Mit Rauch und Donner ging das Ding los.
Justin spürte einen schweren Schlag, der schon zu brennen begann, als er nach vorn zu Boden stürzte. Er schlug mit dem Kinn auf, und brüllte vor Schmerz und Wut. Eine große, rote Blume blühte auf den Feldern seines Hinterteils auf.
17
In Mont Royal, der großen Reisplantage am Westufer des Ashley River über Charleston, sah sich das gegenwärtige Oberhaupt der Mainfamilie einer ähnlichen Entscheidung wie sein Freund George Hazard gegenüber.
Von Kindheit an hatte Orry Main Soldat werden wollen. Er hatte mit der West-Point-Klasse von 1846 graduiert und an einigen der heißesten Gefechte des Mexikanischen Krieges teilgenommen. Bei Churubusco, außerhalb von Mexico City, hatte er seinen linken Arm verloren, teilweise wegen der Feigheit und Feindseligkeit von Elkanah Bent. Die Verwundung hatte Orry gezwungen, seinen Traum von einer militärischen Karriere aufzugeben.
Nach seiner Rückkehr nach South Carolina folgten schwierige Jahre. Er verliebte sich rettungslos in Justin LaMottes Frau, ebenso wie sie sich in ihn verliebte; Ehrgefühl beschränkte ihre Affäre auf gelegentliche heimliche Treffen, ohne die körperliche Vereinigung, die sie beide ersehnten.
Nun hatte der Wirrwarr der Ereignisse Madeline auf Dauer in sein Haus geführt. Ob sie legal heiraten konnten, war eine andere Frage. Das Scheidungsgesetz des Staates war komplex, und LaMotte würde alles in seiner Macht Stehende tun, um Madeline ihre Freiheit zu verweigern. Er tat das trotz eines Umstandes, der die meisten Südstaatenmänner entgegengesetzt hätte handeln lassen. Madelines Mutter war eine wunderschöne Viertelnegerin aus New Orleans gewesen. Madeline war zu einem Achtel schwarz, was für Orry ohne Bedeutung war. Obwohl die Wahrheit eine mächtige Waffe gegen Justin gewesen wäre, mangelte es ihr an der nötigen Grausamkeit, sie auch einzusetzen. Aber oft genug hatte sie sich die Enthüllungsszene, vor allem seine Reaktion darauf, vorgestellt.
In dem kleinen Bürogebäude, von dem aus sein Vater und der Vater seines Vaters die Plantage geleitet hatten, saß Orry an dem alten, überladenen Schreibtisch und sah sich vor ein weiteres Problem gestellt: Papiere, die er unterzeichnen mußte, wollte er seine Loyalität beweisen und die neue Regierung der Konföderation mit einem Teil seines Einkommens unterstützen.
Dunstiger Sonnenschein lag an diesem schwülen Nachmittag über den Fenstern des Büros. Die Luft roch nach Veilchen und dem Duft der süßen Olive, ein Geruch, an den er sich stets erinnern konnte, egal, wie weit er von Mont Royal entfernt war. Irritiert über sich selbst schüttelte er den Kopf, aber seine Stimmung wollte sich nicht ändern. Melancholische Zeiten brachten melancholische Gefühle mit sich.
Gesprächsfetzen, gelegentliches Gelächter oder Singen erreichten ihn aus dem nahegelegenen Küchengebäude. Er nahm nichts von dem auf was er hörte. Seine Gedanken wanderten von den Papieren zu dem Posten, der ihm angeboten worden war – Stabsdienst in Richmond im Büro von Bob Lee, dem verdienten Offizier, den die Loyalität zu seinem Geburtsstaat Virginia gezwungen hatte, die Bundesarmee zu verlassen. Lee war gegenwärtig der Sondermilitärberater von Jefferson Davis.
Die Aussicht auf einen Schreibtischposten versetzte Orry nicht gerade in Erregung, obwohl es vermutlich alles andere als realistisch war, ein Kampfkommando zu erwarten. Allerdings bestand ein Funken Hoffnung, falls Richmond dem Beispiel des Feindes folgte. Ein Offizier namens Phil Kearny, von dem Orry gehört hatte, dem er aber nie in Mexiko begegnet war, hatte ebenfalls dort seinen linken Arm verloren und nun kommandierte er als Brigadier Unionsfreiwillige.
Trotz seines starken Pflichtgefühls zögerte er aus mehreren Gründen, das Angebot anzunehmen. Davis, so hieß es, war recht schwierig. Als tapferer Soldat – ein West-Point-Absolvent – war er dafür berüchtigt, daß er selbst Truppen führen oder jene, die das taten, unter strenger Kontrolle halten wollte.
Außerdem befanden sich Orrys Schwester Ashton und ihr Ehemann James Huntoon in Richmond, wo Huntoon irgendeinen Regierungsposten bekleidete. Als Orry hinter die üble Rolle gekommen war, die Ashton bei dem fast geglückten Mordversuch an Billy Hazard gespielt hatte, hatte er ihr und ihrem Mann befohlen, Mont Royal zu verlassen und niemals zurückzukehren. Der Gedanke, ihnen irgendwo nahe zu sein, stieß ihn ab. Dazu kam noch, daß er keinen Aufseher hatte. Und vor allem ging es seiner Mutter gesundheitlich schlecht. Und er haßte es, Madeline allein zu lassen. Das war nicht nur selbstsüchtig gedacht. Wenn er weg war, könnte Justin versuchen, Rache zu nehmen.
Auch die Sklaven konnten sich zu einer Bedrohung auswachsen. Er hatte mit Madeline nicht darüber gesprochen – er wollte sie nicht unnötig aufregen –, aber in letzter Zeit hatte er im Benehmen einiger Neger verschiedene, wenn auch vage Veränderungen bemerkt. In der Vergangenheit war auf Mont Royal harte Disziplin selten notwendig gewesen; in der gegenwärtigen Situation war Cousin Charles’ Jugendfreund Cuffey der auffälligste Rebell. Man mußte ein Auge auf ihn haben.
Widerstrebend richtete Orry seine Aufmerksamkeit wieder auf das umfangreiche, blaugebundene, mit einer Anzahl von Wachssiegeln verzierte Dokument. Unterschrieb er, so erklärte er sich damit einverstanden, einen beträchtlichen Teil seiner Reisprofite jährlich gegen Regierungsobligationen im gleichen Wert einzutauschen. Diese sogenannten Produktionsdarlehen waren ins Leben gerufen worden, um den Krieg finanzieren zu helfen, für den Orry genausowenig Begeisterung aufbrachte wie sein Freund George. Orry sah die Aussichtslosigkeit des militärischen Abenteuers der Südstaaten, weil ihm sein Bruder Cooper einige schlichte Zahlen vor Augen geführt hatte.
Ungefähr zweiundzwanzig Millionen lebten im Norden. Dort befand sich auch der größte Teil der Industrieunternehmen, der Telegraphenleitungen, der Bodenschätze und des Geldes der alten Union. Die elf Staaten der Konföderation besaßen eine Bevölkerung von ungefähr neun Millionen; ein Drittel davon, die Sklaven, brauchte man für den Krieg gar nicht mitzurechnen.
Zweifelhafte, um nicht zu sagen gefährliche Einstellungen zum Krieg waren jetzt überall zu finden. Narren wie die Brüder LaMotte lachten höhnisch über jede Andeutung, der Süden könnte angegriffen werden – oder, falls doch, daß dabei etwas anderes als ein glorreicher Südstaatensieg herauskommen könnte. Von den Aristokraten bis zu den freien Bauern besaßen die meisten Südstaatler einen stolzen Glauben an ihre eigenen Fähigkeiten, was sie zu der unrealistischen Überzeugung verleitete, ein guter Mann aus Dixie könnte zehn Yankeekrämer schlagen, jederzeit und überall auf der Welt. Amen.
In seinen seltenen chauvinistischen Momenten teilte Orry diese Überzeugung bis zu einem gewissen Grad. Sein jüngerer Cousin Charles konnte es mit jedem anderen Offizier aufnehmen. Den gleichen Mut sah er in Charles’ Kommandanten, Wade Hampton. Und er fand ein wenig Wahrheit in der Maxime, die sich ihm in seinen jungen, hoffnungsvollen Jahren ins Gedächtnis gebrannt hatte. Im Krieg, sagte Bonaparte, sind Männer gar nichts; ein Mann ist alles.
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