Die Vordertür ging auf. Orry rammte mit der Schulter dagegen, erwartete, Huntoons Gesicht vor sich zu sehen. Statt dessen stand Homer da, von der erhobenen Lampe teilweise beleuchtet.
»Sag ihnen, ich will sie sehen, Homer. Beide.«
»Mr. Orry, Sir, sie sind nicht – «
Er ignorierte den alten Mann und ging zur Treppe. »Ashton? Huntoon? Kommt runter, verdammt noch mal.«
Das wilde Echo zeigte ihm, wie dicht er daran war, erneut die Beherrschung zu verlieren. Oben tauchte ein Lichtschein auf. Huntoon näherte sich vorsichtig dem Treppenabsatz, gefolgt von Ashton, die die Lampe trug. Keiner von beiden war fürs Bett gekleidet.
Orry blickte auf; es war einer der seltenen Momente, in denen er eine verängstigte Ashton vor sich hatte.
»Eine alte Szene wiederholt sich, nicht wahr, Ashton? Ich habe dich einmal in South Carolina fortgeschickt, und jetzt tue ich es in Virginia. Diesmal allerdings sind die Einsätze höher. Du riskierst nicht nur meinen Zorn, wenn du bleibst. Du wirst verhaftet werden.«
Huntoon gab einen kleinen, würgenden Laut von sich und trat von der obersten Stufe zurück. Ashton packte ihn am Ärmel. »Bleib stehen, du verdammter Feigling. Ich sagte, bleib stehen!«
Sie beugte sich über das Geländer und spuckte die Worte förmlich aus: »Erzähl den Rest, lieber Bruder.«
Ein kaltes Achselzucken. »Einfach genug. Ich habe Mr. Seddon Beweise übergeben, die ausreichen, euch beide zu hängen. Ich beziehe mich auf die Kohlebombe und den markierten Plan mit den Büroräumen des Präsidenten. Dazu die Reste der Gewehre, Powells persönliche Habseligkeiten und Israel Quincys Leiche. Euer Informant, der sich Bellingham nannte – er ist ebenfalls tot. Im Fluß ertrunken.«
»Das hast du getan?« flüsterte Huntoon.
Orry nickte. »Lediglich euch beide habe ich noch nicht genannt. Ich weiß nicht, weshalb ich euch schonen sollte, bloß weil wir verwandt sind, aber ich tue es, wenn auch nicht für lange. Ihr habt eine Stunde, um die Stadt zu verlassen. Tut Ihr es nicht, dann klage ich euch bei Seddon des Verrates und des versuchten Mordes an. Viertel vor fünf bin ich wieder da.«
Er ging hinaus.
Um halb fünf fuhr er zurück zur Grace Street. Die Haustür war verschlossen, alles lag dunkel da. Er zerbrach ein Fenster und streifte durch sämtliche Räume. Leer.
In ihren Schlafzimmern – getrennte Zimmer, wie ihm auffiel – standen Schubladen offen, lag Kleidung verstreut. Merkwürdigerweise empfand er keine Befriedigung, nur Müdigkeit und Melancholie.
Welcher Dämon mochte Ashton besessen haben? Er würde es nie erfahren. Irgendwie war er dankbar dafür.
Er verließ das Haus, als die große Uhr Viertel vor fünf schlug.
Am folgenden Nachmittag kursierten mehrere Versionen der Geschichte in den Büros um den Capitol Square herum. Gegen vier Uhr kam Seddon auf Orrys Schreibtisch zu.
Er räusperte sich, lächelte und sagte: »Orry, ich habe wunderbare Nachrichten. Ich habe eben mit dem Präsidenten gesprochen, der Ihnen ein schriftliches Lob ausstellen möchte. Es ist das Äquivalent zu einer Auszeichnung für Tapferkeit im Kampf und wird auch ebenso behandelt. Veröffentlichung in zumindest einer Zeitung Ihres Heimatstaates und – «
Seddon zögerte. Orrys Gesicht drückte derart heftigen Abscheu aus, daß der Minister erschrak. Orrys Blick ausweichend, fuhr er weniger herzlich fort: »Mr. Davis möchte Ihnen morgen in seinem Büro die Belobigung verleihen. Können wir einen passenden Zeitpunkt vereinbaren?«
»Ich will diese verfluchte Belobigung nicht. Er hat meine Frau aus Richmond vertrieben.«
Seddon schluckte. »Wollen Sie damit sagen, Colonel, Sie wollen – die Ehre ablehnen?«
»Genau das. Was sicherlich einen weiteren Skandal verursachen wird, nicht wahr? Meine Frau und ich haben uns bereits daran gewöhnt.«
»Ihre Bitterkeit ist verständlich, aber – «
Orry unterbrach ihn. »Ich lehne ab, außer Sie und Mr. Davis versprechen mir sofortige Versetzung zum Stab von General Pickett. Ich habe dieses Büro satt, diese Arbeit, diesen Schweinestall von einer Regierung – «
Mit einer heftigen Armbewegung fegte er alle Papiere von seinem Schreibtisch. Während die Blätter zu Boden flatterten, stand er auf und ging hinaus.
Seddons Gesicht verlor seinen versöhnlichen, weichen Ausdruck. »Ich bin sicher, daß eine Versetzung möglich ist«, sagte er laut.
111
In der Folge des Falls Eamon Randolph begann sich Jasper Dills um sein Gehalt zu sorgen. Er hatte nichts mehr von oder über Elkanah Bent gehört. Er wußte, daß Starkwethers Sohn von Baker wegen Brutalität in der Randolph-Sache hinausgeworfen worden war. Das war alles.
Zur Zeit war Dills mit Arbeit überlastet. Obwohl einige seiner Klienten Demokraten waren, wünschte keiner, daß ein Friedenskandidat zum Präsidenten gewählt wurde; ein verkürzter Krieg bedeutete verminderte Profite. Nichtsdestoweniger beschloß er, dem Chef der Spezialabteilung einen Besuch abzustatten, was er dann auch Ende Juni tat. Bakers Antwort fiel knapp aus.
»Ich weiß nicht, was aus Dayton geworden ist. Es kümmert mich auch nicht. Ich folgte den Befehlen, entließ ihn und vergaß ihn dann.«
»Verdammt noch mal, Colonel, Sie müssen doch einige Informationen besitzen. Ist er noch in der Stadt? Wenn nicht, wo ist er dann? Wollen Sie mich zwingen, meine Fragen Mr. Stanton vorzulegen und ihm mitzuteilen, daß Sie mir Ihre Hilfe verweigert haben?«
Sofort zeigte sich Baker kooperativ. »Ich weiß aus sicherer Quelle, daß Dayton sich vor ungefähr einem Monat in Richmond aufhielt.«
»Richmond! Warum das?«
»Ich weiß nicht. Ich erfuhr lediglich, daß er gesehen wurde.«
»Hat er sich vielleicht auf die andere Seite geschlagen?«
Baker zuckte die Achseln. »Möglich. Er war ziemlich wütend, als ich ihn rauswarf. Ehrlich gesagt, ich wünschte, ich hätte ihn nie eingestellt. Ich kenne Ihren Ruf, Mr. Dills. Ich weiß, Sie haben eine Menge Freunde in dieser Regierung. Aber ich verstehe wirklich nicht, weshalb Sie sich so für Dayton interessieren. Was für eine Verbindung besteht da?«
Dills hatte mittlerweile entschieden, daß er sich an höhere Stellen wenden mußte. »Ich bin nicht in der Lage, Ihre Fragen zu beantworten, Colonel Baker. Guten Tag.«
Dills traf eine Verabredung mit Stantons Vertrautem, Stanley Hazard . Hazard war zwar nur Mittelmaß, aber er war reich und hatte sich irgendwie einen Kreis einflußreicher Freunde geschaffen; durch Kauf, wie Dills vermutete, was die übliche Art und Weise darstellte. Allein seine Fähigkeit, bei den wilden Schwankungen der Parteipolitik die Balance zu halten, zeichnete Hazard aus. Angesichts der Geschichten, die über ihn verbreitet wurden, war Stanley Hazards Überleben doppelt bemerkenswert, vor allem, wenn man das Gerücht berücksichtigte, daß er bereits morgens um halb zehn betrunken war.
Auf winzigen Füßen stieg der Anwalt die Stufen zu Stanleys Büro hoch. In einer Ecke stand ein Messinggefäß, in dem Weihrauchwürfel verbrannt wurden. Um den Alkoholduft zu maskieren?
Dills setzte sich. »Ich weiß, daß Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, Mr. Hazard, also lassen Sie mich gleich zur Sache kommen. Erinnern Sie sich an einen Mann, den Sie an Colonel Baker weiterempfahlen? Ein Mann namens Ezra Dayton?«
Stanley richtete sich etwas auf. »Das tue ich tatsächlich. Sie haben ihn empfohlen, aber er wurde entlassen. Höchst unzulänglich – «
»Das bedaure ich zutiefst. Ich konnte das nicht voraussehen. Was mich zu Ihnen führt, ist die Notwendigkeit, etwas über Daytons Aufenthaltsort zu erfahren. Als Gegenleistung wäre ich bereit, einem politischen Kandidaten Ihrer Wahl eine großzügige Spende zukommen zu lassen. Einem Mann der republikanischen Seite, wie ich hoffe.«
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