Cooper hatte sich mit blindwütiger Energie in die Suche nach diesem Goldnugget gestürzt. Hätte er seine Abteilung nicht gehabt, er würde wohl kaum überlebt haben. Hinzu kam noch, daß er an seine Arbeit glaubte; er und Mallory ähnelten sich in diesem und anderen Punkten. Beide hatten sie anfangs die Idee der Sezession verabscheut – zu Beginn des Krieges. Mallorys Worte waren häufig zitiert worden: »Für mich ist das lediglich ein anderer Name für Revolution«, aber nun waren sie beide Falken geworden.
Als der Wagen auf die von Lampen erhellten Hügel zuratterte, fragte sich Cooper, wie spät es wohl sein mochte. Er würde ziemlich spät nach Hause kommen. Judith würde ärgerlich sein. Wieder einmal. Nun, ihm war es egal.
Der Wagenfahrer ließ ihn vor dem Mechanics Institute aussteigen und wünschte ihm mit mürrischer Stimme eine gute Nacht. Cooper störte sich nicht an der Mißbilligung; der Kerl kapierte nichts vom verzweifelten Kampf der Konföderation oder von den Problemen des Ministeriums, die Mallory in zwei Worten zusammenfaßte: ›nie genug‹. Nie genug Zeit. Nie genug Geld. Nie genug Kooperation. Sie improvisierten und lebten von ihrem Geschick. Das erzeugte zwar einen gewissen Stolz, aber dafür brachte einen die Arbeit auch fast um. Cooper nahm an, daß sich Mallory noch in den Büros im zweiten Stock befand, und so war es auch. Alle waren schon gegangen bis auf den stets entgegenkommenden Mr. Tidball, einen der drei Assistenten des Ministers, der gerade seinen Schreibtisch absperrte, als Cooper eintrat.
»Guten Abend«, sagte Tidball und zog der Reihe nach an jeder Schreibtischschublade. Tidball besaß nicht die geringste Phantasie, dafür aber außerordentliche organisatorische Fähigkeiten. Er ergänzte die anderen beiden Mitglieder des Trios – Commodore Forrest, ein aufbrausender alter Fahrensmann, der viel von Seemannskunst verstand, und Cooper, der eine Art Verlängerung von Mallorys eigener erfinderischer Natur darstellte. Diese beiden Männer zogen ein ›Versuchen wir’s‹ einem ›Aus diesem oder jenem Grund können wir das nicht‹ jederzeit vor.
»Er wartet auf Sie«, sagte Tidball mit einem Nicken zum inneren Büro. Tidball ging hinaus, und Cooper betrat das Büro, in dem der Minister beim Schein einer Lampe mit grünem Glasschirm Ingenieurszeichnungen betrachtete.
»Hallo, Cooper«, sagte Mallory. Er war ein rundlicher Mann von fünfzig, in Trinidad geboren und größtenteils in Key West von einer irischen Mutter und einem Yankeevater aus Connecticut aufgezogen. Er besaß eine schiefe Nase, dicke Backen und helle, blaue Augen, die oft vor Erregung funkelten.
»Glück gehabt?«
Cooper nieste. »Nicht die Spur. Das Hauptproblem haben wir ja bereits bei der ersten Untersuchung der Pläne festgestellt. Ein Torpedo, an Treibholz befestigt, tut nur eines mit Sicherheit – treiben. Ohne Führung brennt das Ding eher ein Loch in Fort Sumter, als daß es einen Yankee versenkt. Die Wahrscheinlichkeit, daß es Wochen und Monate im Hafen von Charleston rumtreibt, stets eine potentielle Gefahr, ist am größten. Wird alles in meinem Bericht stehen.«
»Sie empfehlen, wir sollen die Sache vergessen?« Cooper fiel auf, daß der Minister heute abend ungemein erschöpft wirkte.
»Auf jeden Fall.«
»Na, wenigstens das ist eindeutig. Ich weiß es zu schätzen, daß Sie den Test durchgeführt haben.«
»General Rains hat den Wert von Torpedos bei Landoperationen nachgewiesen«, sagte Cooper und setzte sich auf einen harten Stuhl. »Die Yankees mögen das für unmenschlich halten, aber es funktioniert. Wir können sie einsetzen, wenn wir die richtige Methode finden, sie ins Ziel zu bringen, und wenn wir dafür sorgen, daß sie explodieren.«
»Stimmt alles. Aber wir kommen damit verdammt langsam voran.«
»Die Abteilung ist überfordert, Stephen. Vielleicht benötigen wir eine Extra-Gruppe zur Weiterentwicklung auf systematischer Basis.«
»Eine Torpedo-Abteilung?«
Cooper nickte. »Captain Maury wäre der ideale Leiter dafür.«
»Ausgezeichneter Gedanke. Vielleicht kann ich die nötigen Mittel auftreiben.« Cooper schniefte, und Mallory fügte hinzu: »Hört sich ja schrecklich an.«
»Ich habe eine Erkältung, das ist alles.«
Mallory schaute skeptisch drein. Schweiß glänzte auf Coopers Stirn. »Zeit für Sie, heimzugehen und eine warme Mahlzeit zu essen. Dabei fällt mir ein, Angela drängt darauf, daß Sie und Judith endlich mal mit uns zusammen zu Abend essen.«
Cooper sackte noch tiefer auf seinem Stuhl zusammen. »Wir haben schon drei Einladungen von meinem Bruder ausgeschlagen.«
»Ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen. Aber Sie müssen sich auch etwas Freizeit gönnen. Sie können nicht ständig arbeiten.«
»Warum nicht? Ich habe offene Rechnungen zu begleichen.«
Mallory räusperte sich. »Also gut. Ich wollte Ihnen noch was anderes zeigen, aber das kann bis morgen warten.«
Cooper schob seinen langen Körper in die Höhe. »Es geht jetzt auch.« Er ging um den Schreibtisch und betrachtete die oberste Zeichnung, die ein seltsames Schiff mit einer Länge von vierzig Fuß zeigte; Heck und Bug waren wie eine Zigarre geformt. »Was zum Teufel soll das sein? Schon wieder ein Tauchboot?«
»Ja«, sagte Mallory und deutete auf einen dekorativen Streifen in der unteren rechten Ecke, wo in Zierschrift H. L. Hunley stand. »Das ist der Name des Schiffes. Im Begleitbrief steht, daß Mr. Hunley, ein gutsituierter Zuckermakler, für das Konzept und einen Teil des Konstruktionsgeldes verantwortlich zeichnet. Sie wurde in New Orleans gebaut. Ihre Konstrukteure transportierten sie nach Mobile, bevor die Stadt fiel. Diese Gentlemen hier machen die Sache fertig.« Er tippte auf eine Zeile darunter: McClintock & Watson, Marine Engineers.
»Sie nennen sie das Fisch-Schiff«, fuhr der Minister fort. »Sie soll wasserdicht und in der Lage sein, mit einem Torpedo im Schlepp unter einem feindlichen Schiff hindurchzutauchen. Der Torpedo detoniert, wenn das Fisch-Schiff sicher auf der anderen Seite angelangt ist.«
»Ah«, sagte Cooper, »darin unterscheidet sie sich von der David.« Das Ministerium mühte sich seit längerem damit ab, ein Tauchschiff für Küsten- und Hafenoperationen zu entwickeln. Das eben erwähnte kleine Torpedoboot trug seine Explosivladung vor sich her, an einem langen Bugausleger.
Nach einem Moment des Zögerns sagte Cooper: »Ich denke, nur die Tests werden uns zeigen, welcher Entwurf der beste ist.«
»Richtig. Wir müssen die Vollendung dieses Schiffes ermutigen. Ich beabsichtige, den Gentlemen in Mobile einen herzlichen und begeisterten Brief zu schreiben – und Kopien der gesamten Korrespondenz an General Beauregard nach Charleston zu schicken. Und jetzt gehen Sie heim und ruhen sich aus.«
»Ich würde gern noch ein bißchen mehr sehen von – «
»Morgen. Gehen Sie heim. Und seien Sie vorsichtig. Ich nehme an, Sie haben ebenfalls von all den Morden und Raubüberfällen in letzter Zeit gelesen.« Cooper nickte ernst. Die Zeiten waren schwer, die Leute verzweifelt.
Er wünschte Mallory eine gute Nacht und hatte das Glück, auf der Main Street eine Kutsche zu erwischen. Judith saß mit einem Buch im Schoß da und hob den Kopf, als er eintrat. Halb mitfühlend, halb verärgert sagte sie: »Du schaust elend aus.«
»Wir haben den ganzen Tag im James herumgeplantscht. Ohne Ergebnis.«
»Der Torpedo – «
»Taugt nichts. Gibt’s was zu essen?«
»Kalbsleber. Du würdest nicht glauben, was das kostet. Ich fürchte, es wird kalt und fettig sein. Ich habe dich schon längst erwartet.«
»Oh, um Himmels willen, Judith, du weißt doch, daß ich eine Menge Arbeit habe.« Er schniefte. »Wo ist Marie-Louise?«
»Wo soll sie zu dieser Stunde sein? Im Bett natürlich. Cooper – «
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