St. Clare war gerührt von dem Anblick, das Büchlein war mit einem schwarzen Kreppstreifen umwunden, den Topsy sich von einem Kranz abgerissen hatte.
»Warum hast du das darumgewickelt?« fragte St. Clare und hielt den Streifen in die Höhe.
»Weil — weil — weil es Fräulein Eva gehörte. Bitte, nicht wegnehmen!« flehte sie, und sich platt auf den Boden setzend, warf sie sich die Schürze über den Kopf und brach in lautes Schluchzen aus.
Lächerlich und rührend zugleich — der kleine alte Füßling — der schwarze Krepp — das Spruchbüchlein — die blonde, weiche Locke–und Topsys völlige Verzweiflung.
St. Clare lächelte; aber ihm standen die Tränen in den Augen, als er sagte:
»Komm, hör auf — weine nicht mehr; du sollst es wieder haben!«, und er legte ihr alles in den Schoß und zog Miß Ophelia mit sich ins Wohnzimmer.
»Ich bin überzeugt, aus soviel Treue läßt sich etwas herausholen«, sagte er, mit dem Daumen rückwärts über die Schulter deutend. »Ein Gemüt, das soviel Trauer empfindet, hat auch ein Organ für das Gute.«
»Das Kind hat gute Fortschritte gemacht«, erwiderte Miß Ophelia. »Ich habe jetzt große Hoffnung; aber, Augustin«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm, »eines möchte ich dich fragen: wessen Kind soll es eigentlich sein — deines oder meines?«
»Nun, ich hab sie dir geschenkt«, sagte Augustin.
»Aber nicht gesetzlich; ich möchte, daß sie mir dem Gesetz nach gehört«, sagte Miß Ophelia.
»Hoho, Kusine«, rief Augustin. »Was werden sie dann zu Hause denken? Sie werden einen Fastentag veranstalten, wenn du zum Sklavenhalter wirst.«
»Ach, Unsinn. Ich möchte sie haben, damit ich sie von Rechts wegen in die freien Staaten bringen und ihr die Freiheit geben kann, es soll doch nicht alles umsonst sein, was ich an ihr tue.«
»Ach, Kusine, wie entsetzlich, Böses zu tun, damit Gutes entsteht! Das darf ich nicht unterstützen.«
»Mach keine Späße, sei einmal vernünftig«, sagte Miß Ophelia. »Es hat keinen Zweck, wenn ich mich bemühe, eine Christin aus ihr zu machen, wenn ich sie nicht vor allen Zufällen und Nachteilen der Sklaverei bewahre. Wenn du sie mir wirklich überlassen willst, mußt du mir eine Erklärung oder irgendein Dokument ausstellen.«
»Na, gut«, antwortete St. Clare, »ich will es tun«, und er ließ sich nieder und faltete seine Zeitung auseinander.
»Ich möchte das jetzt gleich erledigt haben«, bestand Miß Ophelia.
»Warum so eilig?«
»Weil man eine Sache immer nur >jetzt< erledigen kann«, sagte Miß Ophelia. »Komm, hier ist Papier, Feder und Tinte, stell mir so ein Papier aus.«
Wie alle Männer seiner Gemütsart haßte St. Clare ganz allgemein jedes sofortige Handeln; er war daher sichtlich erbost über Miß Ophelias prompte Entschlossenheit.
»Was ist denn los?« fragte er; »genügt dir mein Wort nicht?« »Ich möchte gern sicher gehen«, erwiderte Miß Ophelia. »Du könntest sterben oder bankrott machen, und dann müßte Topsy zur Versteigerung, und ich könnte nichts dagegen tun.«
»Du bist wahrhaftig vorausschauend. Na, in den Händen eines Yankees gibt man besser nach«, und St. Clare schrieb geschwind eine Schenkungsurkunde aus, was ihm nicht schwerfiel, da er in allen Rechtssachen gut beschlagen war, und unterschrieb sie mit zügiger Hand und schwunghaftem Schnörkel.
»Also, hier, schwarz auf weiß, genügt das, Miß Vermont?« fragte er, als er sie ihr überreichte.
»Guter Junge«, antwortete Miß Ophelia lächelnd. »Aber muß sie nicht gegengezeichnet werden?«
»Ach, verflixt! — Natürlich. Hier«, sagte er, die Tür zu Maries Zimmer öffnend.
»Marie, die Kusine wünscht deine Unterschrift; setz doch hier eben deinen Namen hin.«
»Was ist das?« fragte Marie, als sie das Papier überflog. »Wie lächerlich! Ich dachte, die Kusine wäre für solch schreckliche Dinge zu fromm«, sagte sie hinzu, als sie nachlässig ihren Namen hinschrieb; »aber wenn sie diesen Artikel haben möchte, geben wir ihn gern.«
»Also, nun ist sie dein auf Gedeih und Verderb«, sagte St. Clare und händigte ihr das Papier ein!
»Nicht mehr als vorher«, entgegnete Miß Ophelia. »Niemand als der liebe Gott ist berechtigt, sie mir zu schenken, aber jetzt kann ich sie beschützen.«
»Dann ist sie also dein nach dem Gesetz«, meinte St. Clare, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte und seine Zeitung wieder aufnahm.
Miß Ophelia, die möglichst wenig in Maries Gesellschaft verweilte, folgte ihm nach drüben, nachdem sie vorher das Dokument sorgfältig verschlossen hatte.
»Augustin«, fragte sie plötzlich und ließ ihr Strickzeug sinken, »hast du eigentlich für den Fall deines Todes irgendwelche Vorkehrungen für deine Leute getroffen?«
»Nein«, sagte St. Clare, während er weiterlas.
»Dann kann deine Nachsicht sich am Ende noch als große Grausamkeit erweisen.«
St. Clare hatte schon oft dasselbe gedacht, aber er antwortete nachlässig:
»Ich werde schon Vorkehrungen treffen.«
»Wann?« fragte Miß Ophelia.
»Oh, eines Tages.«
»Und wenn du vorher stirbst?«
»Kusine, was ist denn los?« sagte St. Clare, seine Zeitung sinken lassend, und sah sie an. »Zeig ich denn schon Symptome des gelben Fiebers oder der Cholera, daß du mit solchem Eifer meine letztwilligen Verfügungen betreibst?«
»Mitten im Leben stehen wir im Tode«, antwortete Miß Ophelia.
St. Clare stand auf und legte die Zeitung hin, achtlos trat er unter die offene Verandatür, um die Unterhaltung abzubrechen, die ihm nicht angenehm war. Mechanisch wiederholte er das letzte Wort -»im Tode!« -, und als er sich gegen das Geländer lehnte und das Funkeln der Wasser des Springbrunnens sah und wie hinter Schleiern die Blumen, Bäume und Vasen im Hof wahrnahm, wiederholte er das geheimnisvolle Wort abermals, das jedem Munde so geläufig und doch von so furchtbarer Gewalt ist - »im Tode!«
»Merkwürdig, daß es solch ein Wort gibt«, sagte er, »und solch ein Ding, und es wird immer vergessen, daß man an einem Tag noch lebendig, warm und schön, voller Hoffnungen, Wünsche und Verlangen und schon am nächsten Tag für immer dahin ist!«
Es war ein warmer schöner Abend; als er hinüberschritt zum an–dern Ende der Veranda, sah er dort Tom andächtig in der Bibel lesen, sein Finger rutschte mühelos von einem Wort zum andern, während seine Lippen jedes einzelne ernsthaft nachsprachen.
»Soll ich dir vorlesen, Tom?« fragte St. Clare und nahm neben ihm Platz.
»Wenn der gnädige Herr so gütig ist«, sagte Tom dankbar. »Dann wird es mir viel klarer.«
St. Clare nahm das Buch, überflog die Stelle, und begann mit einem Absatz, den Tom mit dicken Strichen umrandet hatte. Er lautete:
»Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.« St. Clare las mit interessierter Stimme weiter, bis er an den letzten Vers kam:
»Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich nicht gespeist, ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt; ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Da werden sie ihm auch antworten und sagen, Herr, wann haben wir dich gesehen, hungrig oder durstig oder als einen Gast oder nackt oder krank oder gefangen und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.«
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