»Aber sagt mir Oheim«, fragte Berta wieder, »welches ist denn Götz von Berlichingen, von dem uns Vetter Kraft so viel erzählt; er ist ein gewaltiger Mann und hat eine Faust von Eisen; reitet er nicht mit den Städten?«
»Götz und die Städtler nenne nie in einem Atem«, sprach der Alte mit Ernst; »er hält zu Württemberg.« [10] Götz von Berlichingen erzählt in seinem Leben (Ausgabe von Franck von Steigerwald, Nürnberg 1731) weitläuftig wie es sich zugetragen, daß er zum Herzog Ulerich gehalten habe. Seite 142 fährt er fort: »Da zog der Herzog vor Reutlingen und gewann es auch, darum sich auch Ihre fürstliche Gnaden und mein Unglück anheben tat, daß Ihre fürstliche Gnaden verjagt worden, und ich darob zu scheitern ging.« Denn der Schwäbische Bund nahm nicht Rücksicht darauf, daß Götz kurz vorher dem Herzog seine Dienste aufgesagt hatte, sondern belagerte ihn in Möckmühl und nahm ihn gefangen.
Ein großer Teil des Zuges war während diesem Gespräch am Fenster vorübergezogen, und mit Verwunderung hatte Berta bemerkt, wie gleichgültig und teilnahmslos ihre Base Marie hinabschaue. Es war zwar sonst des Mädchens Art, sinnend, zuweilen wohl auch träumend auszusehen, aber heute, bei einem so glänzenden Aufzug so ganz ohne Teilnahme zu sein, deuchte ihr ein großes Unrecht. Sie wollte sie eben zur Rede stellen, als ein Geräusch von der Straße her, ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein mächtiges Roß bäumte sich in der Mitte der Straße unter Ihrem Fenster, wahrscheinlich scheue gemacht durch die flatternden Fahnen der Zünfte. Sein hoch zurückgeworfener Kopf verdeckte den Reiter, so daß nur die wehenden Federn des Baretts sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das Pferd herunterriß und zum Stehen brachte, ließ einen jungen mutigen Reiter ahnen. Das lange hellbraune Haar war ihm von der Anstrengung über das Gesicht herabgefallen, als er es zurückschlug, traf sein Blick das Erkerfenster.
»Nun dies ist doch einmal ein hübscher Herr«, flüsterte die Blonde ihrer Nachbarin zu, so heimlich, so leise, als fürchte sie von dem schönen Reiter gehört zu werden, »und wie er artig und höflich ist! siehe nur, er hat uns gegrüßt ohne uns zu kennen!«
Aber das stille Bäschen Marie schien der Kleinen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken; ein glühendes Rot zog über die zarten Wangen. Ja! wer die ernste Jungfrau gesehen hatte, wie sie so kalt auf den Zug hinabsah, hätte wohl nie geahnet, daß so viel holde Freundlichkeit um diesen Mund, so viel Liebe in diesem sinnenden Auge wohnen könnte, als in jenem Augenblick sichtbar wurde, wo sie durch ein leichtes Neigen des Hauptes den Gruß des jungen Reiters erwiderte.
Der kleinen Schwätzerin war unsere flüchtige aber wahre Bemerkung über dem Anblick des schönen Mannes völlig entgangen; »Nur schnell Oheim«, rief sie und zog den alten Herrn am Mantel, »wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?«
»Ja liebes Kind«, antwortete der Oheim, »den habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren Töpfen laben wollen.«
»Mit Euch ist doch nichts anzufangen«, sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab; »die alten und gelehrten Herren kennet Ihr alle auf hundert Schritte und weiter; wenn man aber einmal nach einem hübschen, höflichen Junker fragt, wißt Ihr nichts. Du bist auch so Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter, als ob es eine Prozession an Fronleichnam wäre; ich wette, du hast das Schönste von allem nicht gesehen, und hattest noch den alten Frondsberg im Kopfe, als ganz andere Leute vorbeiritten!«
Der Zug hatte sich während dieser Strafrede Bertas vor dem Rathause aufgestellt, die bündische Reiterei, die noch vorüberzog, hatte wenig Interesse mehr für die beiden Mädchen, als daher die Herren abgesessen und zum Imbiß ins Rathaus gezogen waren, als die Zünfte ihre Glieder auflösten und das Volk sich allmählich zu verlaufen begann, zogen auch sie sich vom Fenster zurück.
Berta schien nicht ganz zufrieden zu sein. Ihre Neugier war nur halb befriedigt. Sie hütete sich übrigens wohl, vor dem alten, ernsten Oheim etwas merken zu lassen. Als aber dieser das Gemach verließ, wandte sie sich an ihre Base, die noch immer träumend am Fenster stand:
»Nein! wie einen doch so etwas peinigen kann! Ich wollte viel darum geben, wenn ich wüßte, wie er heißt; daß du aber auch gar keine Augen hast, Marie! Ich stieß dich doch an, als er grüßte. Siehe, hellbraune Haare, recht lang und glatt, freundliche dunkle Augen, das ganze Gesicht ein wenig bräunlich, aber hübsch, sehr hübsch. Ein Bärtchen über dem Mund, nein! ich sage dir – Wie du jetzt nur wieder gleich rot werden kannst«, fuhr die Blonde in ihrem Eifer fort, »als ob zwei Mädchen, wenn sie allein sind, nicht von dem schönen Mund eines jungen Herrn sprechen dürften. Dies geschieht oft bei uns; aber freilich bei deiner seligen Frau Muhme in Tübingen und bei deinem ernsten Vater in Lichtenstein, kamen solche Sachen nicht zur Sprache, und ich sehe schon, Bäschen Marie träumt wieder, und ich muß mir ein Ulmer Stadtkind suchen, wenn ich auch nur ein klein wenig schwatzen will.«
Marie antwortete nur durch ein Lächeln, das wir vielleicht etwas schelmisch gefunden hätten; Berta aber nahm den großen Schlüsselbund vom Haken an der Türe, sang sich ein Liedchen und ging, um noch einiges zum Mittagessen zu rüsten. Denn wenn man ihr auch etwas zu große Neugierde vorwerfen konnte, so war sie doch eine zu gute Haushälterin, als daß sie über der flüchtigen Erscheinung des höflichen Reiters das Zugemüse und den Nachtisch vergessen hätte.
Sie hüpfte hinaus und ließ ihre Base allein bei ihren Gedanken; und auch wir stören sie nicht, wenn sie jetzt die schönen Bilder der Erinnerung durchgeht, die jene Erscheinung mit einemmal aus dem tiefen, treuen Herzen hervorgerufen hatte, wenn sie jener Zeit gedenkt, wo ein flüchtiger Blick von ihm, ein Druck seiner Hand, ihre Tage erhellte, wenn sie jener Nächte gedenkt, wo sie im stillen Kämmerlein, unbelauscht von der seligen Muhme, jene Schärpe flocht, deren freudige Farben sie heute aus ihren Träumen weckten; wir lauschen nicht, wenn sie errötend und mit niedergeschlagenen Augen sich fragt, ob Bäschen Berta den süßen Mund des Geliebten richtig beschrieben habe?
Steigt deine Hoffnung wieder?
Ist nicht dein Herz entbrannt?
Du fühlst dich, Jüngling wieder
Im alten Schwabenland.
G. Schwab
Der festliche Aufzug, den wir auf den letzten Blättern beschrieben haben, galt den Häuptern und Obersten des Schwäbischen Bundes, der an diesem Tage, auf seinem Marsch von Augsburg, wo er sich versammelt hatte, in Ulm einzog. Der Leser kennt aus der Einleitung die Lage der Dinge. Herzog Ulerich von Württemberg hatte durch die Unbeugsamkeit, mit welcher er trotzte, durch die allzuheftigen Ausbrüche seines Zornes und seiner Rache, durch die Kühnheit, mit welcher er, der einzelne, so vielen verbündeten Fürsten und Herren die Stirne bot, zuletzt noch durch die plötzliche Einnahme der Reichsstadt Reutlingen den bittersten Haß des Bundes auf sich gezogen. Der Krieg war unvermeidlich, denn es stand nicht zu erwarten, daß man Ulerich, nachdem man so weit gegangen, friedliche Vorschläge tun werde.
Hiezu kamen noch die besonderen Rücksichten, die jeden leiteten. Der Herzog von Bayern, um seiner Schwester Sabina Genugtuung zu verschaffen, die Schar der Huttischen um ihren Stammesvetter zu rächen, Dieterich von Spät [11] Die Herren von Spät waren der Herzogin auf ihrer Flucht aus dem Lande behülflich gewesen. Der Herzog hatte bittere Rache an ihren Gütern genommen.
und seine Gesellen, um ihre Schmach in Württembergs Unglück abzuwaschen, die Städte und Städtchen, um Reutlingen wieder gut bündisch zu machen, sie alle hatten ihre Banner entrollt und sich mit blutigen Gedanken und lüstern nach gewisser Beute eingestellt.
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