Dieses Pferd erschaffen. Tupfen, bis es Schwarz in Schwarz war. Zeigen, wie es sich aufbäumte, jenen Moment, als ihn dieser Anblick durchbohrt hatte, damals auf dem Felsgrat.
Er stand auf und begann erneut zu malen. Von oben anfangen und sich nach unten vorarbeiten. Eine Reihe von Köpfen, die zeigte, wie es sich vor der untergehenden Sonne aufbäumte, genau, wie Dorn es bei den Löwen gemacht hatte, aber anders. Mit der Hand nahm er Maß; er hatte Platz genug für vier Köpfe.
Er fing an, den obersten Kopf zu malen. Erst die Stirn, wie bei einem Dreistrich. Dann die lange Nase bis zu den Nüstern und die kleine Krümmung des Mundes. Dann innehalten. Der zweite Kopf musste den Platz darunter ausfüllen. Er nahm den Stock und drückte ihn fest auf die Wand, tupfte die Kohle so dick wie möglich auf, sorgfältig von oben nach unten.
Der Bogen der Mähne, und, mit sanfterem Druck, der Rücken dahinter. Gut. Dann das Auge, das Eistaucher über das Tal hinweg ansah. Kein freundlicher Blick. Überall zwischen den Linien tupfte und schmierte er schwarze Kohle, in die Stirn, auf die Wangen.
Er nahm den Stichel und kratzte ein wenig um die Augen herum weg, um ihnen einen weißen Rand zu verleihen. Dann stellte er fest, dass er auch um den Kopf herum etwas abkratzen konnte, sodass die Wand noch weißer wurde und der Kopf sich noch stärker abhob.
Langsam und vorsichtig kratzte er winzige Felssplitter von der Wand ab. Es musste eine makellose Linie werden, die einen makellosen Kontrast zwischen Weiß und Schwarz herstellte. So würde der Eindruck entstehen, dass der Kopf aus der Wand herauskam — weil das tatsächlich der Fall war.
So lange war er in die Arbeit vertieft, dass eine der Lampen ausging. In dem plötzlichen Dunkel stolperte er zurück und stieß in seiner Hast fast eine der beiden noch brennenden Lampen um; und als er vorsprang, um sie festzuhalten, trat er beinahe auf die dritte. Innerhalb eines kurzen Moments hätte er beinahe versehentlich all seine Lichter ausgehen lassen.
Für eine Weile setzte er sich hin, erschrocken über seine eigene Ungeschicklichkeit. Die Höhle grollte eine Warnung. Er wünschte sich Dorn herbei, um mit ihm reden zu können, und mit einem Mal wurde ihm klar, dass der alte Schamane nie wieder für ihn da sein würde. Dorn war fort. Es war unvorstellbar. Dieses Gesicht, diese Stimme, diese verärgerten und ärgerlichen Gedanken nicht mehr zu haben. Niemanden, mit dem er reden konnte, wie Heide gesagt hatte. Alleingelassen in der einsamen Welt des Schamanen, weit weg in Träumen und Visionen, immer allein, selbst innerhalb des Rudels. Er hatte sich gewünscht, dass seine Wanderschaft ewig währen würde, und nun war es so gekommen.
Da half ich ihm auf. Ich trug ihn zu der Wand, ich hob seine Hand, und ich malte die Mähne des nächsten Pferdes.
Als ich es näher betrachtete, stellte ich fest, dass ich das zweite Pferd zu weit oben begonnen hatte, zu dicht am ersten. Vier Köpfe so dicht beieinander waren zu dicht, unten würde eine unschöne Lücke bleiben. Ich hatte einen Fehler gemacht. Ich wusste nicht, wie ich ihn wiedergutmachen sollte. In der Tiefe der Höhle, bei dem Versuch, Eistaucher über einen schweren Moment hinwegzuhelfen, hatte ich einen Fehler gemacht. Erschrocken, verstört, ohne zu wissen, was ich tun sollte, zog ich mich in ihn zurück und überließ ihn seiner Arbeit.
Eistaucher trat zurück und starrte an die Wand. Er hatte die Mähne des zweiten Pferdes ohne nachzudenken gemalt, und jetzt merkte er zu seinem Entsetzen, dass sie zu weit oben war. Der Gedanke an Dorn hatte ihn abgelenkt, und er hatte gemalt, ohne zu sehen. Ein großer Fehler!
Der sich nicht beheben ließ. Wenn er diesen neuen Kopf an dieser Stelle weitermalte, würden die vier Köpfe insgesamt zu dicht beieinander sein; aber für fünf Köpfe reichte der Platz nicht.
Noch immer verwirrt und von einem elenden Gefühl der Hilflosigkeit erfüllt, trat er erneut zurück, wobei er diesmal darauf achtete, sich von den Lampen fernzuhalten. Er setzte sich neben seinen Rucksack und betrachtete nachdenklich die Wand. Dorns Bisons in der hintersten Höhle fielen ihm wieder ein; eines davon hatte sieben Beine, an denen man sah, dass es rannte. Hinter seinen Lidern sah er erneut das schwarze Pferd auf dem Kamm, das sich aufbäumte und den Kopf vor der Abendsonne zurückwarf. Wie sich das Licht in der steifen, kurzen schwarzen Mähne gefangen hatte. Wie schwarze Pferde aus der Landschaft heraus direkt ins Auge zu springen schienen.
Er stand wieder auf, um die Wand direkt unter der Mähne zu berühren. Er konnte die Mähne losgelöst dastehen lassen und den zweiten Kopf etwas weiter nach unten versetzen. Vielleicht würde es aussehen, als wäre ein weiteres Pferd zwischen den beiden, wie wenn man den Blick über eine Herde schweifen ließ. Oder es konnte andeuten, wie das Pferd sich aufbäumte, wie die sieben Beine von Dorns Bison. Die Welt, wie sie im Licht eines Blitzes aussah und wie Eistaucher sie oft sah, ob es nun gewitterte oder nicht. Eine Abfolge von Seinszuständen, die einem ins Auge sprangen und auf ewig einen Eindruck hinterließen.
Die Wand fühlte sich kalt unter seinen Fingerspitzen an. Auch seine Füße waren kalt, und er wippte auf Zehen und Hacken hin und her, um sie aufzuwärmen. Die Wand wölbte sich ihm entgegen und zog sich wieder zurück, versuchte, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, damit er in sie hineinfiel und sie ihn einfangen konnte. Es gab kleinere Pferde in den Tälern des Westens, deren Frauen keine Mähnen hatten. Er erkannte, dass er einen kleinen Witz einbauen konnte; die vier Köpfe des steigenden Pferds würden die Köpfe vier verschiedener Pferde sein. Und die freischwebende Mähne konnte er so verwischen, dass sie aussah wie die Wange des obersten Pferds, während sie gleichzeitig die Mähne des Pferds darunter wurde. Dann folgte ein Pferd ohne Mähne mit kleinen Ohren auf dem Kopf: fast noch ein Fohlen. So würde das Pferd, während es ein einziges Mal den Kopf in den Nacken warf, sein ganzes Leben durchlaufen, oder sich vielmehr in alle schwarzen Pferde verwandeln, die Eistaucher jemals gesehen hatte. Nun ja, welche Geschichten die Bilder erzählten, war nicht seine Sorge. Er musste sie nur malen, anschließend würden sie ihre Geschichten selbst erzählen. Er würde nicht mit Sicherheit wissen, was herauskam, bis er es malte.
Die Wölbungen der Wand unter seinen Fingern verrieten ihm, dass der zweite Kopf nicht so sehr in die Wand hineinschaute wie der darüber. Es hing damit zusammen, wie es den Kopf zurückwarf — ein trotziges Aufbäumen. Die Rückenlinie des schwärzesten Bullen, links des Pferds, bildete zusammen mit den beiden Pferdeköpfen ein Dreieck. Er kratzte mit dem Stichel über das Dreieck, um es aufzuhellen, wobei er in den Ecken, wo die Linien zusammentrafen, sehr vorsichtig war. Das Schaben von Stein auf Stein hallte laut durch die schwarzen Schatten der Höhle. Eine große, schwarze Nüster. Der Klang, wenn der hölzerne Stock auf die Wand traf, unterschied sich ganz deutlich von dem des Stichels.
Eistaucher trat einen Schritt zurück, um den zweiten Kopf zu begutachten. Es sah aus, als schnüffelte er am Bild eines kleinen, alten Nashorns, das sich leicht aufbäumte. Das dritte Pferd würde am Hinterteil desselben Nashorns schnüffeln. Das würde dem Pferd gar nicht gefallen, es würde Mund und Nase zukneifen, um den Geruch des Nashornhinterns auszusperren. Pferde und Nashörner konnten einander nicht leiden. Eigentlich gab es überhaupt keine Tiere, die die Gesellschaft von Nashörnern schätzten. Nur Mammuts näherten sich ihnen manchmal. Den Mammuts war es egal, wer sich in ihrer Nähe herumtrieb, obwohl sie sich vor Nashörnern in Acht nahmen. Wenn beide ans selbe Wasser wollten, konnte sich oft keiner durchsetzen. Einmal hatte Eistaucher beobachtet, wie ein Nashorn und ein Mammut eine ganze Faust lang an den gegenüberliegenden Ufern eines Bachs gestanden hatten, ohne einander direkt anzusehen. Beide hatten darauf gewartet, dass der jeweils andere ging. Eistaucher hatte sich verabschiedet, bevor es zu einer Entscheidung gekommen war.
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