Vorne war der Eingang breit und vom Tageslicht erhellt. Dann kam die Biegung in die Finsternis, gefolgt von einem schmalen Durchgang. Dahinter wurden die Schatten schwärzer, und seine Lampen spendeten immer mehr Licht, bis er ohne die beiden hellen Flammen in seinen Händen schließlich nichts mehr hätte sehen können. Die erleuchteten Wände und schwarzen Schatten bewegten sich mit ihm, flackerten mit den Flammen, und es war offensichtlich, dass all das zusammen mit Eistaucher eine Einheit bildete.
Er hielt einen Moment lang inne, damit seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten, wie Dorn es ihm beigebracht hatte, bevor er in den kurzen Schritten weiterging, die in der Höhle angeraten waren, wenn man nicht über einen vorspringenden Stein stolpern oder in ein Loch treten wollte. Es würde ihm übel ergehen, wenn er hinfiel und seine Lampe ausging. Dorn hatte versucht, ihm beizubringen, wie man im Dunkeln ein Feuer entfachte. Man musste im Licht der Funken den Mulm so weit erkennen, um ihn in Brand zu setzen, und dann den Docht an den brennenden Mulm halten und pusten, bis er entflammte; aber das hatte sich als sehr schwer erwiesen. Heute steckte in Eistauchers Gürteltasche ein Stück Wurzelholz mit brennender Glut darin. Mit der würde er die Lampe nötigenfalls wieder anbekommen. Aber viel besser wäre es, wenn es überhaupt nicht so weit kam. Besser war es, die Lampe wie seinen eigenen Seelenfunken zu behandeln, als etwas so Kostbares, dass man sagen konnte, er hielte sein Leben in den Händen.
Es war also ein langer, langsamer Marsch bis ans andere Ende der Höhle mit den hellen Wänden, durch die verschiedenen großen Räume und die schmalen Durchgänge, die sie verbanden. Hier unten atmete er die immer gleiche Höhlenluft, kühl, aber belebend und im Winter wärmer als die Luft draußen. Kein Laut vom Höhleneingang reichte bis hier hinein. Der Leib der Erde bedeckte ihn ganz und gar. Weil es fast vollkommen still war, konnte er das leise Knacken und Glucksen hören, das immer wieder aus den Schatten außerhalb der lichtdurchflackerten Bereiche drang und oft auch aus dem Boden zu kommen schien. Es roch modrig, nach Höhlenbär und Schlamm. Eine entfernte Ahnung von Holzkohle. Wenn eine große Gruppe so weit vordrang, dann brachte sie Kiefernholzfackeln mit, deren Sirupfeuer die Wände zum Tanzen und Springen brachte. Doch das war ein Licht fürs Sehen, nicht fürs Malen.
Die beiden Lampen brannten nun blass und gleichmäßig. Bei jedem seiner Schritte erzitterten sie leicht. Er war ganz allein, niemand sonst war hier. Anscheinend war weder Dorns Geist noch der von Knack anwesend. Wenn überhaupt spürte Eistaucher die Gegenwart von Pfeifhase, den er nie kennengelernt hatte. Dieser Verrückte, der berüchtigte Bisonmann, hatte als Erster in dieser Höhle gemalt.
Doch selbst Pfeifhase war nicht hier. Eistaucher spürte es: Er war ganz allein. Er erinnerte sich an Zeiten in seinem Leben, in denen Einsamkeit und Dunkelheit genügt hätten, um ihn in Angst und Schrecken zu versetzen. Oft wenn er nachts allein unterwegs gewesen war, hatte er dort draußen etwas erahnt, das er nicht sehen konnte, das vielleicht sogar unsichtbar war und das ihm mit Sinnen auf der Spur war, über die er nicht verfügte, ihm anhand von Spuren folgte, die er nicht verwischen konnte, wie zum Beispiel seines Geruchs. Mehr als einmal hatte ihn diese schreckliche Ahnung überwältigt, sodass er wie ein Kaninchen panisch durchs Mondlicht zurück zum Lager gerannt war. Mit Entsetzen geschlagen, vor lauter Entsetzen in wilder Flucht, und das nur, weil er allein im Dunkeln gewesen war und ihn ein seltsames Gefühl ereilt hatte!
Jetzt spürte er nichts Derartiges. Er war leer. Es machte ihm nichts aus, allein zu sein. Hier gehörte er hin. Er war bereits zuvor hier gewesen und erinnerte sich genau daran. Es war wie damals. Langsam ging er an der Stelle vorbei, an der die Decke herabgestürzt war und sich nun vom Boden erhob, eine große Masse aus weißem und orangefarbenem Gestein, die im Lampenschein funkelte. Weiter, vorbei an den Großkatzen an der Wand zur Linken. Dann eine Linksbiegung und weiter zu dem seltsamen und wunderschönen Steinschilf, das hier den Boden bedeckte. Die Schilfrohre auf dem Boden standen unter Schilfrohren, die tropfend von der Decke hingen; selbst in diesem Moment fielen einige Tropfen herab. Sie ähnelten den Türmen aus nassem Tropfsand, die die Kinder am Flussufer machten. Wie viele Tropfen brauchte es, wenn das Wasser so rein war? Seit wie vielen Jahren tropfte das Steinschilf? Seit den alten Zeiten, als all die Tiere noch Leute gewesen und sie gemeinsam durch einen Traum gewandelt waren. Seit die Welt aus ihrem Ei geschlüpft war.
Er folgte dem Weg, den man immer durch das Steinschilf nahm, trat dabei nach Möglichkeit in die Fußstapfen früherer Besucher. So war es hier üblich. Außerdem war der Höhlenboden teilweise von einer Schlammschicht bedeckt, die zwischen den Zehen hindurchquatschte und in der man hier und da bis zu den Knöcheln versank. Auch deshalb war es besser, auf dem alten Pfad zu bleiben, obwohl die Höhle fast jedes Frühjahr überflutet wurde, wodurch sich die Schlammschicht erneuerte. Durch die Höhle zu gehen erzeugte einen ganz eigenen Klang, ein leises, hallendes Quatsch-quatsch-quatsch.
Langsam. Pass dich der Geschwindigkeit der Höhle an. Sie murmelte, sie pochte, sie atmete, doch all das tat sie sehr langsam, so langsam, dass man zu ihrem Lied nur wie zu einer tiefen Trommel tanzen konnte, indem man zwischen zwei Schlägen auf fünf oder neun zählte. Atme tief die schwarzen Schatten ein. Die Finsternis hinter ihm war finsterer als die Finsternis vor ihm. Jemand hatte mit den Fingern eine Eule auf die gegenüberliegende Seite des herabgestürzten Deckenstücks gemalt; die sah einen im Vorbeigehen aus ihren großen Augen an. Folge dem Pfad um die Ecke.
Dort hing das Felsamulett von der Decke, der Steinbullenpimmel, mit dem Bild des Bisonmannes, der gerade eine Menschenfrau besteigen wollte. Ihre Beine und ihre Kolbi waren unter ihm aufgemalt, und sie hatte die größte, schwärzeste Kolbi, die es gab, wie ein kleiner, dreieckiger Durchgang in eine weitere Höhle. Pfeifhases Werk. Die ganze Geschichte des Bisonmanns und seiner Frau, mitten auf einem Pimmel wie dem, der die Tat begangen hatte.
In diesem Gewölbe wollte Eistaucher etwas malen. Links des Pimmels gab es eine gebogene Wand, die weit höher reichte, als er den Arm strecken konnte. Bei näherer Begutachtung erwies die Oberfläche sich als etwas uneben, mit kleinen Vorsprüngen, abgeplatzten Schichten, Vertiefungen und einigen kleinen Rissen. Aber im Großen und Ganzen war es eine saubere, gekrümmte Steinwand mit vielen glatten Flächen.
Eistaucher stellte die Lampen ab, nahm seinen Rucksack ab, packte ihn aus und suchte den Rentierknochen heraus. Damit brachte er einen Kratzer knapp über Kopfhöhe an, der helleres Gestein unter der braunen Haut zum Vorschein brachte: das bloße Fleisch von Mutter Erde, das im Verhältnis zu den umliegenden Schatten zu strahlen schien.
Dies war die Wand, die Dorn hatte bemalen wollen. Zum ersten Mal spürte Eistaucher, wie Dorn ihn leicht berührte, hinter dem Ohr, und er hörte die vertraute Stimme in seinem Gedächtnis. Dorn redete, wie der alte Schamane immer geredet hatte. Komm her, Junge. Der Klang dieser Stimme, schnarrend und nasal und nicht klar und rein, wie wenn Dorn seine Flöte gespielt hatte, versetzte Eistaucher einen plötzlichen Stich. So klang sonst keine Stimme. Natürlich klangen keine zwei Stimmen gleich, doch diese eine Stimme würde Eistaucher nie wieder hören. Er musste sie sich gut merken.
Eistaucher sagte zu der Höhle: — Hallo, Dorn. Bevor ich anfange, möchte ich mir dein Bild von den Löwen auf der Jagd ansehen. Komm doch mit, wenn du magst.
Er nahm eine der Lampen und folgte dem gewundenen Durchgang zum letzten Gewölbe. Jetzt, wo Dorn tot war, würde er Eistaucher folgen müssen, wenn er mit ihm reden wollte. Deshalb konnte Eistaucher gehen, wohin er wollte. Eistaucher spürte das beim Gehen, spürte, wie sehr es Dorn ärgern musste.
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