Ihm war schleierhaft, was damit geschehen sein konnte. Einmal mehr überkam ihn Entsetzen, flutete durch ihn hindurch und riss ihn mit sich. Er musste diese Flut zu Eis erstarren lassen und sich daraufstellen. Er musste kalt wie Eis sein, doch stattdessen glühte er vor Angst.
Nach einer Weile entließ der Schrecken ihn aus seinen Klauen und schleuderte ihn weinend zu Boden. Ihm fiel ein, dass er sein Feuerzeug vielleicht beim Anzünden der dritten Lampe aus dem Rucksack genommen hatte. Andererseits hatte er sie mithilfe eines Spans an einer der anderen Lampen angezündet, weshalb es gar keinen Grund gegeben hatte, Feuersteine und Mulm hervorzuholen. Trotzdem mochte es so gewesen sein. Das war nicht weit von hier gewesen; er war sich nicht sicher, wo genau, weil er in der Dunkelheit alle Lampen hierher zu seinem Rucksack getragen hatte.
Er kroch in die Richtung, in der er die dritte Lampe gefunden zu haben meinte, und tastete dabei den Höhlenboden ab. Nichts. Als er versuchte, zu seinem Rucksack zurückzukehren, fand er ihn eine Weile nicht wieder. Als er ihn schließlich ausfindig gemacht hatte, weinte er erneut, und danach nahm er den Rucksack beim Umherkriechen mit. Er fand ein paar Steine auf dem Boden und einige Kohlestöcke, die in einem kleinen Loch an der Wand lehnten. Ein Maul mit Zähnen, riesig in der Finsternis, größer als sein Kopf: Das musste der Schädel eines Höhlenbären sein, kein Zweifel. Er war lang und voller Zähne und hatte die Wölbung an der Stirn, an der man einen Höhlenbären erkannte, obwohl bereits seine schiere Größe keinen Zweifel aufkommen ließ.
Nichts. Er hatte Lampen, Dochte und Öl, aber weder Feuersteine noch Mulm. Keine Möglichkeit, Feuer zu machen. Er schlug die Steine, die er gefunden hatte, zusammen, und kurz flogen ein paar rote Funken durch die Schwärze wie Sternschnuppen, die aber längst nicht genügen würden, um Mulm zum Brennen zu bringen; und ihm fehlte ohnehin der Mulm.
Er saß in der Schwärze der Höhle fest. Wenn er nach draußen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig als der Versuch, gehend oder kriechend die richtige Richtung einzuschlagen.
Doch inzwischen hatte er keine Ahnung mehr, was die richtige Richtung war. Er musste seine Wand wiederfinden, um sich zu orientieren, aber als er aufstand und mit ausgestreckten Händen herumlief, traf er erst auf eine und dann auf eine weitere Wand; er tastete nach Kratzern, roch an seinen Fingern, um herauszufinden, ob er gerade Kohle berührt hatte; aber in der Finsternis fühlte sich alles gleich an, und seine Finger rochen sowieso nach Kohle, egal, was er anfasste.
Frierend, müde, hungrig, durstig. Erfüllt zuerst von Angst und dann, als immer mehr Zeit verstrich, von schmerzhaftem Kummer. Dass es so hatte kommen müssen! Dorn würde so wütend auf ihn sein, wenn er jetzt schon in der Geisterwelt auftauchte, weil er sich in ihrer eigenen Höhle verirrt hatte! Es war beinahe lustig, sich die Miene des alten Schlangenkopfs vorzustellen. Aber in Wirklichkeit würde es alles andere als lustig werden. Und was war mit Elga? Auch sie würde wütend sein, vor allem aber traurig.
Er kroch auf Händen und Knien umher, bis er etwas ertastete, das sich nach einem Fußabdruck anfühlte. Im ausgehärteten alten Schlamm auf dem Boden gab es viele alte Bärenspuren, die tief genug waren, um den Frühlingsüberschwemmungen standzuhalten, und in alle Richtungen zeigten. Als er seinen eigenen Fuß hineinsetzte, stellte er fest, dass die Spur viel zu groß für einen Menschen war. Beim nächsten Abdruck, den er fand, ging Eistaucher genauso vor und stellte fest, dass er von einem Menschen stammte. Das gab ihm Mut. Aber die Leute gingen in der Höhle mal hierhin und mal dorthin. Deshalb wusste er noch lange nicht, in welche Richtung er musste.
Wenn er ans Ende dieses Höhlenabschnitts kam, würde er eine Reihe abfallender Stufen erreichen. Wenn es hingegen nach oben ging und wenn er das Glück hatte, den Trittstein unten vor der einen großen Stufe zu finden, dann würde er wissen, dass er in die richtige Richtung unterwegs war, zumindest soweit es ihm überhaupt gelang, sich an eine Richtung zu halten.
Also verstaute er seine Sachen wieder in seinem Rucksack und versuchte, bergauf zu gehen. Immer wenn er auf eine Wand traf, versuchte er herauszufinden, in welche Richtung der Boden sich neigte, und folgte wenn möglich der Steigung.
Immer weiter kroch er, wobei er mit den Händen den Boden vor seinen Füßen abtastete. Er hatte das Gefühl, sich auf einer geraden Linie zu bewegen, aber sicher war er sich nicht. Dorn hatte einmal erwähnt, dass niemand ohne Licht den Weg aus einer so großen Höhle finden konnte.
Er verlor das Zeitgefühl. Ihm wurde immer kälter. Die Luft in der Höhle schien abgekühlt zu sein, und unter seinen Füßen lachte ihn etwas aus, lauter denn je.
Als er das Gefühl hatte, dass bereits mehrere Fäuste vergangen waren, hielt er schließlich inne, um seine letzten Vorräte zu verzehren, und bevor er sich bremsen konnte, hatte er seinen letzten Rest Wasser getrunken. Wände und Boden waren hier und da nass; vielleicht konnte er die Feuchtigkeit von den Wänden lecken. Verzweiflung machte sich in ihm breit, die Erkenntnis, dass er hier drin durchaus sterben mochte. Er weigerte sich, diese Möglichkeit anzuerkennen, auch nur über sie nachzudenken. Es war ohnehin nicht möglich, sich damit abzufinden. Aber das Gelächter aus dem Höhlenboden klang wie das Ding, das ihn in der letzten Nacht seiner Wanderschaft in die Spalte an der Großen Schlucht gejagt hatte. Ob es nun Quarz gewesen war oder nicht, das Ding hatte gewusst, dass es ihn beinahe erwischt hatte. Und dieses Wissen hatte es zum Lachen gebracht. Und nun wusste es, dass es recht hatte.
Weinend blieb er liegen. Die Schwärze selbst genügte bereits, um ihn zu ersticken, um ihm dort auf dem kalten Schlammboden die Luft abzudrücken. Dorn würde so wütend sein! Elga so traurig.
Er fiel in einen Schlaf, oder zumindest etwas Schlafähnliches.
Als er später bibbernd vor Kälte erwachte, drückte er sich auf Hände und Knie hoch und kroch vorwärts. In seinem Ohr sagte Dorn verächtlich: Wende dich jedes Mal, wenn du auf eine Wand triffst, nach links. Selbst wenn du einmal um die ganze Höhle herumkrabbelst, dann findest du so früher oder später die Kolbi und wirst aus der Erde heraus geboren. Das ist doch offensichtlich.
Eistaucher krabbelte weiter, mit dem dumpfen Gefühl, einen Plan zu haben, den er bis zu seinem Tode befolgen konnte. Immer weiter.
Dann meinte er, von irgendwo einen Ruf zu hören:
— Eistaucher! Eistaucher!
Er schrie so laut er konnte: — Hier bin ich! Hilfe! HILFE!
Ein Teil der Welt wurde grau. Da war eine aufkeimende Helligkeit, und er wand sich ihr entgegen, um sie einzuatmen wie eine Brise Lebenshauch. Ja, es war Licht, so klar erkennbar wie Sonnenlicht, obwohl es sich lediglich um ein blasseres Schwarz in der schwarzen Finsternis handelte. Die Höhlenwände in jener Richtung waren Schatten in der Schwärze, und dadurch ragte auch die Höhle selbst wieder um ihn herum auf, Schwarz auf Schwarz und sichtbar.
Er rief noch einmal. Er erkannte nichts von dem, was er sah, wusste nicht, ob die grauschwarzen Formen fern oder nah waren, ob sie eine Tagesreise weit weg waren oder sich mit ausgestrecktem Arm berühren ließen; er versuchte, sie anzufassen, doch es gab nichts anzufassen.
Er saß da. Das Licht schien schwächer zu werden, und voll Entsetzen rief er erneut: — Hilfe! Hilfe!
Nur einmal zuvor hatte er so verzweifelt geschrien, als er als Kind in den Fluss gefallen war und keinen Boden unter sich gespürt hatte. Irgendwie war er an die Oberfläche gestrampelt und hatte HILFE gerufen, in der Hoffnung, dass ihn jemand hören würde. Welch angstvoller Schrei! Damals hatte ihn seit Vater herausgezogen.
Die Geräusche in der Höhle formten Worte: — Eistaucher! Eistaucher!
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