Hier erst ging Lea auf, wie ernst Ruben ben Makkabi seine Drohung meinte. Die Briefe, die sonst immer auf einem Bord auf sie gewartet hatten, lagen geöffnet in mehreren Stapeln auf dem Tisch, und die Truhe, die die Wertpapiere und die Geschäftsbücher enthielt, stand mit geöffnetem Deckel mitten im Raum. Kratzspuren an den eisernen Riegeln und den Schlössern der inneren Fächer zeigten ihr, dass jemand versucht hatte, die Sicherheitsvorrichtungen zu umgehen, um an den Inhalt zu kommen.
Elieser war ebenfalls mit nach oben gekommen und unter der Tür stehen geblieben. Mit einem heftigen Ruck löste Lea sich aus den Händen der Mägde und stemmte die Arme in die Hüften. »Darf ich endlich wissen, was hier gespielt wird?«
Auch jetzt antwortete Ruben ben Makkabi anstelle ihres Bruders. »Es ist an der Zeit, dich zu lehren, welcher Platz dir gebührt, Lea Jakobstochter. Die Zeit, in der du deine Geschwister ungestraft tyrannisieren konntest, ist vorbei!«
Lea zuckte zusammen wie unter einem Schlag. Ihr sorgsam gehütetes Geheimnis war aufgedeckt, und Elie-sers schuldbewusste Miene zeigte ihr, dass er sie verraten hatte. Er schien die in ihr aufwallende Wut zu spüren und hob die Hände, als müsse er sich vor einem Schlag schützen.
»Du bist so lange weggeblieben, dass wir angenommen haben, du seiest unterwegs verunglückt. Da wusste ich mir nicht anders zu helfen und habe mich an den Rabbi gewandt.«
Eliesers Stimme klang jämmerlich und verriet gleichzeitig, dass er log. Lea sah Gomer hinter ihm vorbeihuschen und für einen Moment mit einem verängstigten Gesicht in den Raum starren. Nun verstand sie ohne weitere Erklärungen, was passiert war. Ruben ben Makkabi hatte mit Hilfe des mitgebrachten Gesindes die Herrschaft über ihr Haus ergriffen und war nicht bereit, sie wieder herzugeben.
Das bestätigten die nächsten Worte des Rabbis. »Du wirst dieses anstößige Gewand auf der Stelle ablegen und dich kleiden, wie es einer Frau geziemt. Danach wirst du mir alles erklären, was in den Briefen steht, denn vieles ist so verschlüsselt, dass selbst ich es nicht entziffern kann, und natürlich wirst du mir auch die Truhe öffnen und mir deine Geschäftspapiere übergeben.«
Lea verschränkte die Arme. »Darauf kannst du lange warten!«
»Ich sehe schon, es steht genauso schlimm um dich, wie ich befürchtet habe. In deinem Körper, Lea, sitzt ein Dämon, der dich aufsässig macht, deinen Verstand ver-zerrt und deine Familie beinahe in den Untergang getrieben hätte. Dieser böse Geist war es, der Rachel zur Hure gemacht und Elieser seine Rechte geraubt hat, so dass der arme Junge wie ein kleines Kind im Haus festgehalten wurde und keine Talmudschule besuchen durfte, wie es sich für jeden frommen Aschkenasi geziemt. Aber keine Sorge, ich werde dir den Teufel austreiben und dich in ein gehorsames Weib verwandeln.«
Lea verstand nur eines: Rachel musste etwas zugestoßen sein.
»Was ist mit meiner Schwester?«
»Frag doch nicht so dumm. Du warst doch selbst dafür, dass sie die Mätresse des Markgrafen wird.« Eliesers Stimme zitterte so, dass er stotterte.
Diese Lüge verschlug Lea die Sprache, und ihr wurde so übel, dass sie glaubte, ihr Inneres wolle sich nach außen kehren. Sie sollte Rachel einem Mann in die Arme getrieben haben, für den eine Frau nicht mehr war als eine Öffnung, in der er seinen Geschlechtstrieb abreagieren konnte? Das war absurd. Seit dem Pogrom von Sarningen hasste Rachel Christen mehr als alles andere auf der Welt. Nie, niemals, davon war Lea fest überzeugt, hatte ihre Schwester sich diesem Mann freiwillig hingegeben. Sie konnte noch nicht einmal vermuten, was wirklich geschehen war, und sah auf einmal alle Ängste bestätigt, die sie seit langem gehegt hatte. Mehr als sonst bereute sie, Hartenburg damals, als der Markgraf seine ersten, unverschämten Forderungen gestellt hatte, nicht verlassen zu haben. Es wäre wirklich besser gewesen, sie hätten von den Almosen anderer Juden gelebt, als erfahren zu müssen, dass die arme Rachel durch den Markgrafen in Schande geraten war.
Ruben ben Makkabi schien Leas Schreckensstarre und ihre Ratlosigkeit für Unterwerfung unter das von ihm bestimmte Schicksal zu halten, denn er sprach eine kurze Beschwörungsformel und legte seine Hand auf Leas Stirn. »Weiche aus diesem Weib, Dämon, und gehe dorthin, wo du hingehörst.«
Lea schüttelte sich und trat zurück »Ich bin von keinem Dämon befallen. Den, fürchte ich, hat mein Bruder ins Haus gerufen!«
Als sie sich zu Elieser umdrehen wollte, war dieser verschwunden. Statt seiner kam Jiftach wieder ins Zimmer und warf den Tragsack, den Lea im Hof hatte fallen lassen müssen, in eine Ecke.
Ruben ben Makkabi brachte seine Augen dicht vor die ihren.
»Wirst du mir jetzt gehorchen und mir mitteilen, was ich wissen will?«
Lea wandte sich ab, verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete ihm mit einem verächtlichen Auflachen. »Fahr zur Hölle!«
Eine der Mägde spreizte die Finger, als müsse sie sich gegen den bösen Blick schützen. Ruben ben Makkabi aber nickte nur, als sähe er sich bestätigt. »Nun, so werden wir dich mit Hunger gefügig machen müssen und so den Dämon in dir schwächen, damit meine Gebete ihn vertreiben können. Wenn du dann wieder du selbst bist, Weib, wirst du mit Jiftach unter den Traubaldachin treten. Dein Bruder und ich haben bereits den Heiratsvertrag ausgehandelt und unterschrieben.«
»Wie bitte? Ich soll Jiftach heiraten? Oh nein, das kannst du dir aus dem Kopf schlagen!«
Ruben ben Makkabi warf den Kopf hoch und murmelte eine weitere Beschwörungsformel. Dann wandte er sich an die beiden Mägde. »Bringt sie nach oben und sperrt sie in die Dachkammer. Passt aber auf, dass ihr das alte Gesinde nicht heimlich etwas zum Essen zusteckt.«
Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, verließ er den Raum. Jiftach blieb zurück und half auch jetzt den beiden Mägden, ihre Gefangene zu bändigen.
Lea war außer sich vor Wut und hätte nun jede Waffe benützt, um sich zu befreien. Doch ihr spanisches Schwert hatte sie bei Orlando zurückgelassen, und der Dolch steckte in ihrem Gepäck. Auch fiel es ihr immer noch schwer, Menschen ihres eigenen Glaubens wehzutun, und so besann sie sich zu spät auf die Tricks, die Orlando ihr beigebracht hatte. Als sie sich beinahe schon befreit hatte, packte Jiftach ihre Füße und verdrehte ihren Körper so schmerzhaft, dass sie sich die Treppe hochschleppen lassen musste wie ein Schaf, das geschachtet werden soll. Die drei warfen sie in einer Dachkammer zu Boden, rannten hinaus, als wäre der Teufel selbst hinter ihnen her, und schlossen die Tür von außen, ehe Lea sich aufgerichtet hatte. Sie hörte, wie der Riegel mit einem Ruck vorgeschoben wurde, und kam sich vor wie ein gefährliches wildes Tier, das man in einen Käfig gesteckt hatte.
»In der Kammer liegt ein Gewand, das einer Frau geziemt«, rief Jiftach noch ganz außer Atem durch die Tür. »Zieh dich um, Weib, sonst werden die Mägde dich dazu zwingen.«
Sollen sie doch kommen, dachte Lea wütend. Noch einmal würde sie sich nicht überraschen und wie ein Schlachttier behandeln lassen. Sie stand auf und sah sich nach etwas um, das sie als Waffe benutzen konnte. Doch außer einer dünnen Decke, die auf dem Boden zusammengefaltet lag und ihr wahrscheinlich als Lager dienen sollte, und ein paar ihr unbekannter Kleidungsstücke gab es keinen anderen Gegenstand im Zimmer, noch nicht einmal einen Krug mit Wasser oder einen Topf, in den sie ihre Notdurft verrichten konnte. Sie hob nacheinander das Leinenhemd, die Bluse, den Rock und die Schürze auf, die aus gutem Stoff gefertigt waren und zusammen die Tracht bildeten, die wohlhabende Jüdinnen in den großen Städten trugen, schleuderte sie in eine Ecke und setzte sich dann auf die Decke, um ihre innere Ruhe zurückzugewinnen und einen klaren Kopf zu bekommen.
Читать дальше