»Unerbittlich; die Richter, die dies vergessen haben, wurden abgesetzt, weil sie allesamt Verfehlungen begangen hatten. Indem er es ablehnt, die Fremden unter dem Vorwand der Gerechtigkeit auszuweisen, verdirbt der Wesir das Land. Habt Ihr meinen ehemaligen Verwalter verhaftet?«
»Er versuchte, sich in der Werft einstellen zu lassen, aber eine der üblichen Überprüfungen hat seine Vergangenheit ans Licht gebracht. Eine in Wahrheit traurige Geschichte; er veräußerte in einer Werkstatt entwendete Amulette, ist angezeigt und von seinem Nachfolger, den Ihr ausgewählt habt, fortgejagt worden.«
»In wessen Auftrag hat er gestohlen?«
»Das ist mir nicht bekannt. Wenn ich Zeit hätte, würde ich nachforschen; ich verfüge jedoch über keine Spur, und derart viele andere Dinge beschäftigen mich! Die Hauptsache ist, daß Ihr unter seiner Unverschämtheit nicht gelitten habt. Seid gedankt für Eure Bemühungen, Qadasch.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte hatte seine wichtigsten Gehilfen zu sich gerufen; diese Arbeitszusammenkunft sollte in keinem amtlichen Schriftstück erwähnt werden. Monthmose hatte ihre Berichte über den Richter Paser studiert.
»Kein verborgenes Laster, keine unstatthafte Leidenschaft, keine Geliebte, kein Netz von Verbindungen … Ihr vermittelt mir das Bild eines Halbgottes! Eure Erkundigungen sind hohl.«
»Sein geistiger Vater, ein Mann namens Branir, wohnt in Memphis; Paser begibt sich häufig zu ihm.«
»Ein alter Arzt im Ruhestand, harmlos und ohne Macht!«
»Er hatte einst Gehör bei Hofe«, wandte ein Ordnungshüter ein.
»Er hat es seit langer Zeit verloren«, spöttelte Monthmose.
»Kein Dasein ist frei von Schatten; das von Paser nicht mehr als andere!«
»Er widmet sich ganz seinem Beruf«, bekräftigte ein anderer Ordnungshüter, »und weicht vor Persönlichkeiten wie Denes und Qadasch nicht zurück.«
»Ein unbestechlicher und mutiger Richter: Wer soll an diese Mär glauben? Arbeitet ernsthafter und bringt mir wahrscheinlichere Auskünfte.« Am Rand des Teiches, in dem er zu fischen liebte, hing Monthmose seinen Gedanken nach. Er verspürte das unangenehme Gefühl, eine ihm entgleitende Lage mit vagen Umrissen nicht in den Griff zu bekommen, und fürchtete, einen Fehler zu begehen, der seinen guten Ruf trüben könnte. War Paser ein reiner, in den Sumpf von Memphis verirrter Tor oder aber ein Mann mit festen Grundsätzen außerhalb des Gewöhnlichen, der entschlossen war, unbeirrt und gerade seinen Weg zu gehen, ohne sich um Gefahren und Feinde zu sorgen? In beiden Fällen war er zum Scheitern verurteilt. Blieb noch eine dritte, äußerst besorgniserregende Möglichkeit: daß der kleine Richter Gesandter eines anderen wäre, eines abgefeimten Höflings an der Spitze einer Machenschaft, von der Paser lediglich das sichtbare Werkzeug wäre. Voller Wut bei dem Gedanken, daß ein Unbesonnener es wagen könnte, ihn auf seinem eigenen Gebiet herauszufordern, rief Monthmose nach seinem Verwalter und befahl ihm, sein Pferd und seinen Wagen zu schirren. Eine Hasenjagd in der Wüste drängte sich geradezu auf; ein paar in Panik geratene Tiere zu töten, würde seine Nerven entspannen.
Sethis rechte Hand glitt den Rücken seiner Geliebten hinauf, liebkoste ihren Hals, glitt wieder hinab und streichelte ihre Lenden. »Mehr«, flehte sie.
Der junge Mann ließ sich nicht weiter bitten. Er liebte es, Lust zu spenden. Seine Hand wurde drängender.
»Nein … ich will nicht!«
Sethi machte weiter, sanft und beharrlich wie eine Katze; er kannte die Vorlieben seiner Gefährtin und befriedigte sie ohne jede Zurückhaltung. Sie schien zu widerstreben, drehte sich dann um und öffnete sich, um ihren Liebhaber zu empfangen. »Bist du froh mit deinem Hahn?«
»Die Hühner sind entzückt. Du bist ein Segen, mein Liebling.«
Vollauf beglückt bereitete die Besitzerin des Geflügelhofs darauf ein kräftiges Mahl und entrang ihm das Versprechen, anderntags wiederzukommen. Bei Einbruch der Nacht, nachdem er zwei Stunden im Hafen, im Schatten eines Frachtschiffs, geschlafen hatte, begab sich Sethi zu Paser. Der Richter hatte die Lampen angezündet und schrieb im Schneidersitz, den Hund an seinem linken Bein. Wind des Nordens ließ Sethi durch, der ihn zum Dank streichelte. »Ich fürchte, daß ich dich brauche«, sagte der Richter.
»Eine Liebesangelegenheit?«
»Recht unwahrscheinlich.«
»Es handelt sich aber doch nicht um verdeckte oder unerlaubte Maßnahmen?«
»Ich fürchte doch.«
»Gefährliche?«
»Wäre möglich.«
»Da bin ich gespannt. Kann ich mehr darüber erfahren, oder schickst du mich blind los?«
»Ich habe einem Zahnheilkundler namens Qadasch eine Falle gestellt.«
Sethi stieß einen bewunderungsvollen Pfiff aus. »Eine Berühmtheit! Er behandelt nur Reiche. Wessen ist er schuldig?«
»Sein Verhalten befremdet mich. Ich hätte mich der Dienste meines nubischen Ordnungshüters bedienen sollen, aber der ist anderweitig beschäftigt.«
»Soll ich bei ihm einbrechen?«
»Was für ein Gedanke! Du sollst lediglich Qadasch folgen, sobald er sein Heim verläßt und sich sonderbar verhält.«
Sethi klomm in eine Persea hinauf, von der aus er die Eingangshalle von Qadaschs Herrenhaus und den Gesindeeingang überblickte. Dieser erholsame Abend mißfiel ihm nicht, endlich allein, würde er die Nachtluft und die Schönheit des Himmels genießen. Nachdem die Lampen gelöscht waren und Stille über dem großen Anwesen lag, schlich sich ein Schatten durch die Tür der Stallungen nach draußen. Der Mann hatte sich mit einem Mantel bekleidet; das weiße Haar und die Gestalt entsprachen denen des Zahnheilkundigen, so wie Paser ihn beschrieben hatte.
Die Verfolgung war leicht. Wenn er auch recht unruhig wirkte, ging Qadasch langsam und drehte sich nicht um. Er wandte sich in Richtung eines noch im Aufbau befindlichen Viertels. Alte, baufällige Verwaltungsgebäude waren dort abgerissen worden; eine Anhäufung von Ziegeln versperrte die Straße. Der Zahnheilkundige umging einen Berg Trümmer und verschwand. Sethi kletterte hinauf, wobei er achtgab, keinen Stein herunterkullern zu lassen, der seine Anwesenheit verraten hätte. Oben angekommen, erspähte er ein Feuer, um das sich drei Männer, darunter Qadasch, versammelt hatten.
Unversehens nahmen sie ihre Überwürfe ab und standen nackt da, mit Ausnahme eines ledernen Futterals, das ihren Penis verhüllte; in ihr Haar steckten sie drei Federn. Dann, ein kurzes Wurfholz [37] Ähnlich dem Bumerang, verwandt mit den sogenannten Zauberstäben. (Anm. d. Ü.)
in jeder Hand, begannen sie zu tanzen und täuschten dabei vor, sich anzugreifen. Qadaschs jüngere Gefährten beugten mit einem Mal die Knie und sprangen hoch, indem sie einen unmenschlichen Schrei ausstießen. Wenn er auch gewisse Mühe hatte, dem Takt zu folgen, bekundete der Zahnheilkundige doch beachtliche Begeisterung.
Der Tanz dauerte mehr als eine Stunde an; plötzlich nahm einer der Mitwirkenden das Lederfutteral ab und zeigte, sogleich von seinen Freunden nachgeahmt, seine Männlichkeit vor. Da Qadasch Zeichen von Müdigkeit äußerte, gaben sie ihm Palmwein zu trinken und zogen ihn dann erneut in einen tollen Reigen hinein.
Paser hatte Sethis Bericht mit der allergrößten Aufmerksamkeit gelauscht. »Sonderbar.«
»Du kennst die libyschen Bräuche nicht; diese Art von Feier ist ganz und gar bezeichnend.«
»Und ihr Zweck?«
»Männlichkeit, Fruchtbarkeit, Verführungskraft … Aus dem Tanz schöpfen sie neue Energien. Qadasch scheint diese jedoch nur schwer empfangen zu können.«
»Unser Zahnheilkundiger müßte sich demnach geschwächt fühlen.«
»Nach dem, was ich beobachtet habe, trifft das zu. Aber was ist ungesetzlich an seinem Verhalten?«
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