«Darf ich dich an meine Tafel bitten?»
«Ich habe weder Hunger noch Durst.»
«Dann laß uns unter dem Feigenbaum miteinander reden. In Israel symbolisiert er, glaube ich, Frieden.»
Die beiden Königinnen gingen den sanften Hang hinunter, der zum Obsthain führte. Wie zart, fast zerbrechlich Nagsara doch wirkte! Die Sabäerin schlug der Ägypterin vor, Umhang und Diadem abzulegen. Doch die weigerte sich knapp. Balkis setzte sich zu Füßen eines Baums, Nagsara blieb stehen.
«Kehre nach Hause zurück», forderte sie. «Deine Anwesenheit richtet Schaden an.»
«Deine Stimme zittert», meinte Balkis. «Du bist erschöpft. Warum ruhst du dich nicht neben mir aus?»
«Weil ich dich verabscheue!»
«Das glaube ich nicht. Du leidest, du bist unglücklich. Und du weißt, daß ich nicht dafür verantwortlich bin.»
Kummer bemächtigte sich Nagsaras Seele. Sie hatte sich auf eine heftige Auseinandersetzung, einen so lebhaften Streit gefaßt gemacht, bei dem sie ihre ganze Kraft gebraucht hätte, um die Gegnerin zu vernichten. Sie hätten sich geschlagen, Nagsara hätte Balkis die Kehle zugedrückt und gedrückt, gedrückt… Doch die Königin von Saba empfing sie gütig wie eine Schwester und überhaupt nicht feindselig. Ihr Lächeln entwaffnete Nagsara, ihre Sanftheit bezauberte sie.
«Ich werde Salomo nicht heiraten», erklärte Balkis. «Er hat mich geliebt, ja, das ist wahr, aber wie eine seiner Nebenfrauen. Was kann dir diese flüchtige Leidenschaft ausmachen, dir, Israels Königin, die den Frieden zwischen Ägypten und deinem Land gewährleistet? Zeige dich deiner selbst würdig, Nagsara. Du spielst eine ungemein wichtige Rolle.»
Jetzt weinte die Ägypterin und verbarg ihr Gesicht im Umhang. Balkis erhob sich und ergriff sie sanft bei den Schultern.
«Setz dich heben mich.»
Gebrochen gehorchte Nagsara. Balkis nahm ihr das Diadem ab, trocknete ihre Tränen und teilte eine Feige mit ihr.
«Wir sind Frauen und Königinnen. Und es gibt nur eine Wahrheit: Salomo gehört dem Herrn in der Wolke. Keine irdische Liebe wird sein Herz in Bann schlagen. Bewahre die Augenblicke des Glücks in deinem Herzen, die du mit ihm gelebt hast. Ich werde es auch so halten. Salomo ist mehr als diese Zeit und dieses Land, Nagsara; er lebt in Räumen, die wir nicht kennen, in Gesellschaft von Engeln und Dämonen, die ihm helfen, seine Nation zu schaffen.»
«Ich halte es nicht aus, daß er mich nicht liebt.»
«Wer hält das schon aus? Jede Frau, und du vor allen anderen, möchte ihn im Netz seiner Leidenschaft halten. Aber das gelingt keiner.»
«Du… du verzichtest?»
Nagsara weinte vor Erleichterung. Israels Königin war jetzt nichts weiter als ein kleines Mädchen, das sich im Irrgarten seiner Torheit verlaufen hatte. Balkis merkte, daß man nicht vernünftig mit ihr reden konnte. Sie hatte nur einen Grund zum Überleben, nämlich ihren Glauben daran, daß sie Salomos Liebe zurückerobern könnte.
«Ja, ich verzichte», sagte Balkis ernst. «Sieh bitte in mir keine Rivalin mehr.»
«Bleibst du noch lange in Jerusalem?»
«Einen Monat vielleicht. Ich muß den König noch empfangen, damit wir unsere diplomatischen und wirtschaftlichen Vereinbarungen abschließen können.»
Nagsara sorgte sich schon wieder.
«Du… du verführst ihn nicht mehr?»
«Hab keine Angst.»
Die Ägypterin hatte das Gefühl, in einen Wirbelwind geraten zu sein. Sie empfand Verehrung für die Frau, die sie eigentlich hassen sollte. Doch Balkis gab ihr das gestohlene Glück zurück. So hatte die Flamme gesiegt. Nagsara hatte ihr ihr Leben und ihre Jugend angeboten und dadurch die Königin von Saba kaltgestellt. Was machte es da aus, daß ihre Tage dahinflohen wie die Wüstengazelle, wenn niemand sie mehr daran hinderte, Salomo zurückzuerobern?
Die letzten Regenfälle des Winters hatten die Wasserläufe anschwellen und die Wiesen ergrünen lassen. Judäa, Samaria und Galiläa bedeckten sich mit Blumen, die sich blau, rosig, rot, gelb und weiß wiegten. Der Duft der Wildblumen verbreitete sich in der klaren Luft und meldete die Wiedergeburt der Erde.
Israel schmückte sich. Das Land genoß ein ruhiges Glück, wie es das in der Vergangenheit noch nie gekannt hatte. Jeder pries Salomos Weisheit. Jeder bewunderte die verbissene Arbeit von Meister Hirams Bruderschaft, der weiterhin von Dorf zu Dorf reiste und unaufhörlich neue Baustellen einrichtete. Mit seinem Beirat aus neun Meistern leitete er ein friedliches Heer, das Häuser, Gehöfte, Gießereien, Schiffe und Karren baute, Steinbrüche öffnete und die Städte bewohnbarer machte. Ein Schöpfungswahn hatte den Oberbaumeister ergriffen, denn der gewaltige Schwung des Tempelbaus trug noch immer.
Jerusalem, die Prächtige, erregte den Neid der Völker. Auf dem Felsen über den Provinzen thronend, zeugten Tempel und Königspalast für die Größe des hebräischen Staates.
Salomo trat aus seinen Gemächern, überquerte den nach oben offenen Hof und schlug den Durchgang ein, der zum Vorhof führte, auf dem die Priester gerade das Morgenopfer dargebracht hatten und nun gingen. Die Steine hatten sich mit Weihrauchduft gesättigt. Auf den Stufen zum Tempel saß Meister Hiram und folgte damit einer Aufforderung des Königs.
«Es ist lange her, daß wir uns unterhalten haben.»
«Ich bin selten in Jerusalem, Majestät.»
«Reicht dir meine Hauptstadt nicht mehr?»
«Ich habe dir Projekte vorzuschlagen. Die Unterstadt sollte umgestaltet werden, man muß die ungesunden Gassen beseitigen und mehr schattige Plätze schaffen.»
Die Sonne war feurig wie ein Widder und schien bereits heiß.
«Laß uns in die Vorhalle des Tempels gehen.»
Hiram wollte nicht so recht.
«Wird meine Anwesenheit die Priester nicht aufbringen?»
«Du hast sie erbaut, oder etwa nicht? Noch bin ich Herr in diesem Land, und alle meine Untertanen schulden mir Gehorsam.»
Salomo war nicht gehässig. Die Worte waren mit jener lächelnden Selbstverständlichkeit gesagt worden, die seine Gegner entwaffnete. Der Baumeister spürte, daß der Herrscher ihn auf eine harte Probe stellen wollte. Unterschwellig war seiner Stimme ein Vorwurf anzuhören.
Unter den entrüsteten Blicken einiger Geistlicher stiegen die beiden Männer die Stufen hoch und strebten den beiden Säulenreihen zu. Hiram bewunderte die Granatäpfel, die die Kapitelle bekrönten. Er hatte fast vergessen gehabt, wie schön sie waren.
Als er zwischen Jakin und Booz hindurchging, verspürte der Baumeister einen gewissen Stolz. Diesen Steinen hatte er einen Teil seines Wesens anvertraut. Diesem Tempel hatte er als Künstler sein Bestes gegeben.
In der Vorhalle des Tempels war es kühl und still. Hier, in diesem leeren Raum, legte man alle menschlichen Leidenschaften ab. Salomo hatte gehofft, daß dieser Ort beruhigend wirken und ihm das Verlangen nehmen würde, mit Hiram zu reden. Doch diese Gnade gewährte Jahwe ihm nicht. Was das Herz des Königs bewegte, das mußte seine Zunge aussprechen.
«Mein Volk ist glücklich, Meister Hiram. Israel genießt den Frieden des HERRN. Dennoch habe ich das Heer verstärkt.
Siamun liegt im Sterben. Ich befürchte, daß nach ihm ein Libyer auf den Thron kommt. Diese Gefahr von außen kann ich abwenden. Aber es gibt eine ernstere, gegen die ich machtlos bin: dich, den Baumeister des Tempels.»
Hiram stand mit verschränkten Armen da und musterte die vollendet eingepaßten Platten der Decke, die es an Schönheit mit denen von Karnak aufnehmen konnten.
«Und welche Bedrohung stelle ich dar?»
«Deine Bruderschaft und ihre Geheimniskrämerei schaden mir.»
«Auf welche Weise?»
«Ich kontrolliere sie nicht. Du bist ihr einziger Gebieter. Bist du damit einverstanden, sie mir zu übergeben und sie meinem Befehl zu unterstellen?»
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