Der Maurer hatte den Phönizier und den Hebräer mit seinen Worten überzeugt. Ihre Zukunft war vorgezeichnet.
Am Ende der Herbstfeierlichkeiten verließen die Gläubigen Jerusalem und zogen in ihre Provinzen zurück. Meister Hiram rief die gesamte Bruderschaft am Jordanufer mitten in der Einsamkeit einer wilden Natur zusammen. Mehrere tausend Arbeiter versammelten sich. Ihre Zahl war überraschend und zugleich beunruhigend schnell gewachsen.
Die meisten unter ihnen waren nur Handlanger, die von den Lehrlingen an ganz bestimmte Aufgaben gesetzt wurden. In einer kurzen Rede forderte der Baumeister Geduld und Mut von ihnen. Wenn sie sich bescheiden und ehrerbietig erwiesen, würde man sie in die ersten Geheimnisse der Bruderschaft einweihen.
Diese jungen Männer klatschten dem Oberbaumeister sofort Beifall. Viele unter ihnen würden trotzdem durchfallen. Doch Hirams Stimme machte jedem Lust auf Erfolg.
Nachdem die Handlanger gegangen waren, teilte der Baumeister das Brot mit den Meistern, den Gesellen und den Lehrlingen. Man schenkte Wein in Becher und trank gemeinsam auf die ruhmreiche Kunst des Bauzeichnens. Der syrische Maurer, der phönizische Tischler und der hebräische Schmied bedeuteten sich, daß sie den Meistern und insbesondere Hiram beflissen aufwarten mußten, damit es dem Leiter der Bruderschaft beim Festmahl nicht an gebratenem Fleisch und Honigkuchen fehlte.
Gegen Ende des Festmahls ergriff der Baumeister das Wort. Er zählte die von der Bruderschaft vollendeten Bauwerke auf und begann mit Jahwes Tempel und Salomos Palast, alsdann erinnerte er an die Baustellen, die Gießereien, die Werkstätten, in denen seine Brüder gelernt hatten, die Materie in den Griff zu bekommen, um aus ihr auch die verborgenste Schönheit herauszuholen. Gemeinsam hatten sie Israel mit den ersten Gebäuden verschönt. Weitere Erfolge zeichneten sich ab.
Der beschauliche Herbstabend trug dazu bei, daß Hirams Worte noch ernster klangen. Er kündigte an, daß er den neun Meistern neue Aufgaben übertragen hatte. Einstimmig würden sie die Gesellen auswählen, die beim Frühlingsneumond in die großen Geheimnisse eingeweiht werden würden.
Das Fest der Bruderschaft ging zu Ende. Meister Hiram gab jedem Mitglied den Friedenskuß. Als der syrische Maurer vor dem Oberbaumeister stand, konnte er nicht widerstehen und stellte ihm die Frage, die ihn so sehr beschäftigte.
«Zähle auch ich zu den erwählten Gesellen?»
Im Blick des Oberbaumeisters lag so viel Zorn, daß der Syrer Angst bekam und einen Schritt zurückwich.
«Diese Worte schließen dich für lange Zeit aus dem kleinen Kreis der künftigen Meister aus. Gib dich damit zufrieden, dein Handwerk rechtschaffen auszuüben. Die Meister werden es schon merken, wann du der größten Geheimnisse unserer Bruderschaft würdig bist. Vergiß deinen Ehrgeiz. Er führt dich nur ins Verderben.»
Wie seine Brüder verbeugte sich der Syrer und wurde von Meister Hiram umarmt.
Salomo schritt hinter den Soldaten seiner Leibwache von seinem Palast in das Lager der Königin von Saba hinunter. Ein Gaffer hatte auf ihn aufmerksam gemacht, und schon scharte sich eine Menge an dem langen Weg, den der König eingeschlagen hatte. Sie jubelte ihm begeistert zu, doch er blieb ungerührt. Balkis’ Einladung beunruhigte ihn. Ihr Haushofmeister hatte ihn zu einem Festmahl geladen, bei dem sie ihm einen der seltensten Schätze schenken wollte. Was verbarg sich hinter diesem ungewohnten Ritual?
Im Inneren des königlichen Zeltes lagen rote und grüne Seidenpolster verstreut. Lässig und fast verlassen verspeiste Balkis die roten Beeren einer Weintraube. Es waren zahlreiche Plätze für weitere Festgäste vorgesehen, doch alle waren leer.
Der Haushofmeister ließ die Tür aus Zeltleinwand herunter.
«Mach es dir bequem, König von Israel, und teile dieses Essen mit mir.»
Auf dem Tisch in der Mitte standen gebratenes und gewürztes Fleisch, in Tongefäßen über Dampf gegartes Gemüse, Berge von Kuchen und Obst.
«Der Wein aus Judäa ist köstlich, doch er ist nicht so fruchtig wie der aus Saba, von dem ich noch mehrere Krüge habe. Möchtest du ihn kosten?»
«Hast du mich zum Vorkoster erkoren?»
«Du bist heute aber streng. Früher warst du liebenswürdiger.»
«Welchen märchenhaften Schatz möchtest du mir hinterlassen?»
Balkis erhob sich anmutig und legte die Traube auf einen Silberteller. In ihren Augen las er, daß sie halb belustigt war, weil sie einen Herrscher mit so großer Macht herausfordern konnte, und halb verzweifelt, weil sie gescheitert war.
«Meine Abreise, Salomo. Ihr Wert ist unschätzbar. Sie wird dir wieder die Heiterkeit und Liebe deiner Gemahlin schenken.»
Eine kleine Falte erschien auf der Stirn des Königs.
«Glaubst du, daß du eine Leidenschaft durch Entfernung töten kannst?»
«Du liebst in mir doch nicht die Frau, sondern die Königin. Und von der erwartest du einen Friedensvertrag, der den Frieden festigt, dem du dein Leben geweiht hast. Ich werde diesen Vertrag unterzeichnen. Diesen Sieg lasse ich dir.»
Salomo schenkte Wein in zwei Goldpokale. Balkis nahm den, den er ihr reichte.
«Wenn du Israels Herrscherin würdest, wir könnten zusammen ein Riesenreich regieren.»
«Du würdest regieren, Salomo. Du und nur du allein. Ich wäre gezwungen, mich deinen Entscheidungen zu beugen und dir zu gehorchen. Ich mag aber weder eure Gebräuche noch eure Religion annehmen. Die meinen reichen mir. Bündnis, ja, Abhängigkeit, nein. Für immer von dir geliebt zu werden, ja. An deiner Seite als Sklavin alt zu werden, nein.»
Balkis setzte sich. Salomo tat es ihr nach und ergriff ihre Hände.
«Hast du denn kein Vertrauen zu mir?»
«Wäre ich meines Amtes würdig, wenn ich einer solchen Schwäche nachgeben würde? Trink, Salomo. Trink auf unsere letzte Begegnung. Fern voneinander können wir eine harmonische Verbindung pflegen. Zusammenleben würde uns zerstören.»
«Ich weigere mich. In meinem Palast erwartet dich ein Becher. Damit trinkst du auf unsere Liebe! Wenn die Sterne am Himmel stehen und die Fackeln angezündet sind, die unser mit Seide ausgeschlagenes Gemach erhellen, wird sich dein Herz öffnen.»
Salomo meinte, die Königin schwanken zu sehen. Doch ihre Stimme blieb gelassen.
«Es gibt eine Zeit zu lachen», sagte sie, «und eine Zeit zu weinen, eine Zeit zu lieben und eine Zeit, sich zu erinnern, eine Zeit zu leben und eine Zeit zu sterben. Wenn du das Morgenopfer feierst, bin ich für alle Zeiten fort.»
Salomo war sich sicher, daß Balkis ihn liebte. Doch er wußte auch, daß sie ihren Entschluß nicht ändern würde.
«Sag mir die Wahrheit. Erweise mir wenigstens die Gnade, dein Geheimnis mit mir zu teilen.»
Die Königin zögerte.
«Du wirst leiden.»
«Leiden ist mir lieber als zweifeln.»
Balkis wandte sich ab. Sie hatte nicht mehr die Kraft, diesen König anzusehen, der eine so beruhigende Kraft ausstrahlte.
«Ich erwarte ein Kind von dir, einen Sohn. Den werde ich Menelik nennen, und er wird einer der geheiligten Ahnen meiner Rasse werden. Lebe wohl, Salomo.»
Der verlassene Gerichtssaal lag in schlummerndem Halbdunkel. Als Zadok mit einer Fackel in der Hand eintrat, machte er als erstes die Täfelungen aus Zedernholz aus, dann Salomo auf seinem Thron. Flüchtig hatte er den Eindruck, der König hätte sich in eine Statue verwandelt.
«Majestät… ich habe dich überall gesucht.»
«Störe mich nicht, Hoherpriester.»
«Verzeih, wenn ich beharre… eine Sache von größter Wichtigkeit.»
Gab es etwas Wichtigeres als den Verlust einer geliebten Frau, die den innig ersehnten Sohn im Schoß trug? Salomo hatte Jahwe angefleht, ihn langsam ins Nichts und dann ins Vergessen sinken zu lassen. Er hatte davon geträumt, er könne mit dem Thron der Gerechtigkeit verschmelzen, zu Stein werden und nicht länger für Freude und Schmerz erreichbar sein.
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