Hiram bedauerte, daß die Unterhaltung mit Salomo auf dem nicht vollendeten Vorhof fehlgeschlagen war. Gern hätte er seiner Bewunderung für einen vom Heiligen ergriffenen König und der Freundschaft, die trotz aller Anfechtungen entstanden war, in Worten Ausdruck verliehen. Doch Salomo herrschte über Israel, er über seine Bruderschaft. Der Herrscher hatte die Werkzeuge nicht gehandhabt, hatte keinen Schweiß vergossen, hatte sich nicht die Hände wund gearbeitet. Er würde weder im Schmerz noch in der Freude zu diesen Brüdern gehören. Was er und der König verwirklicht hatten, ging über sie hinaus, ohne sie jedoch zusammenzubinden.
In den letzten Strahlen der untergehenden Sonne schlenderte Hiram über die Baustelle. In einigen Tagen würde er die Zeichenwerkstatt abbauen. Die Geschichte würde die Arbeit und die Leiden der Erbauer auslöschen. Das Bauwerk, das sie geschaffen hatten, gehörte ihnen nie wieder.
Der Fuß des Oberbaumeisters stieß gegen einen Kalksplitter, unter dem sich ein Loch verbarg. Auf der Suche nach einem anderen Unterschlupf kam ein schwarzer Skorpion hervorgekrabbelt.
Der Skorpion der Göttin Sechmet, der einem die Kehle zuschnürte, die Luftzufuhr verhinderte und den Tod nach sich zog… War der Mörder mit dem dunklen Panzer ein schlechtes Omen? Wessen Hinscheiden kündigte er an?
«Ich fordere den Tod», sagte Zadok. «Warum diese Strenge?» verwunderte sich Salomo. «Weil sich deine Gemahlin der schwarzen Magie schuldig gemacht hat. Mehrere Priester haben gesehen, wie sie zu falschen Gottheiten gebetet hat, am hellichten Tag eine Flamme hat brennen lassen und Beschwörungen ausgesprochen hat, ehe sie in gottlose Ekstase verfallen ist. Im Namen Jahwes und des israelitischen Gesetzes fordere ich einen exemplarischen Prozeß. Und von diesem Gesetz ist niemand ausgenommen.»
Zadoks Zorn war nicht vorgetäuscht. Zu seinem Haß auf die Ägypterin kam noch sein fordernder Glaube als Hoherpriester.
«Sind deine Zeugen bereit, vor mir zu erscheinen?»
«Sie sind es, Majestät.»
«Man lasse die Anschuldigung formulieren.»
Salomo wußte, daß es im Volk rumorte. An den Toren der Hauptstadt, wo die Märkte waren und man Tagelöhner anheuerte, riefen die durch das Benehmen der Königin aufgebrachten Gläubigen nach Bestrafung. Man wetzte fleißig die Zungen. Zu einer Zeit, in der sich Jahwe an dem schönsten jemals erbauten Tempel erfreute, wie durfte man da zulassen, daß eine Fremdländerin ihm mit heidnischen Riten trotzte?
Falls Salomos Weisheit ihm bei seinen Unternehmungen half, mußte die nicht durch die Anwesenheit einer Teufelin an seiner Seite Schaden nehmen? Wen anders als Nagsara traf die Schuld an den Gebrechen der Greise, dem vorzeitigen Tod von Neugeborenen, dem alles verdorrenden Chamsin, den mageren Ernten und den zu strengen Wintern? War sie nicht schuld an Nachtdämonen und Insektenwolken? Das Volk hatte bereits gerichtet: Nagsara, die Ägypterin, mußte verschwinden.
Als die Zeichenwerkstatt abgebaut und der Vorhof voller Arbeiter war, die das Pflaster legten, bewohnte Meister Hiram zusammen mit seinem Hund und Kaleb erneut den unterirdischen Raum. Dem Hinkefuß, dem die Atmosphäre auf der Baustelle, wo es ausschließlich um Arbeit ging, nicht gefallen hatte, bot sich erneut Gelegenheit, ausgezeichnete Gerichte zu kochen, die dem Baumeister fast genausogut mundeten wie Anup.
Auf Kalktäfelchen, die er später zwischen den Fingern zerbröselte, zeichnete Hiram Plan um Plan und verbesserte unaufhörlich die Skizzen zu dem Werk, das im geheiligten Bezirk stehen und Salomos Tempel über viele Jahrhunderte berühmt machen sollte.
Kaleb tischte Hiram mit Rosmarin gebratenes Lamm auf. Trotz der Mißbilligung des Kochs bekam der Hund ein gut Teil davon ab.
«Läuft die Königin Gefahr, verurteilt zu werden?»
«Salomo bleibt nichts anderes übrig», antwortete Kaleb. «Es gibt zahlreiche Zeugen. Alle zerreißen sich das Maul darüber. Die Ägypterin hat sich zu lange der schwarzen Magie befleißigt.»
«Welche Strafe steht ihr bevor?»
«Die Steinigung.»
«Wie kann sie sich verteidigen?»
Kaleb dachte nach und trank dabei einen Becher Wein.
«Es gibt da ein Mittel… Ein sehr altes Ritual…»
«Und das wäre?»
«Die Probe mit bitterem Wasser. Die Angeklagte trinkt eine gräßliche Mischung aus Staub, Tierexkrementen und Pflanzenabfällen. Wenn sie erbricht, ist sie schuldig, und die Strafe wird auf der Stelle vollzogen. Wenn nicht, hat sie ihre Unschuld bewiesen.»
«Sehr gut», meinte Hiram.
Der Hinkefuß runzelte die Brauen.
«Sehr gut? Was soll denn das heißen? Du hast Spaß an der Hinrichtung einer Frau? Das sieht dir ganz und gar nicht ähnlich.»
Der Baumeister schwieg sich aus.
Israels Königin, der Salomos Schreiber mitteilte, daß man sie der schwarzen Magie beschuldigte und sie vor einem königlichen Gericht erscheinen müsse, verkroch sich in ihre Gemächer im neuen Palast. Es war ihr nicht gelungen, ihren Gemahl zurückzuerobern. Die Göttin Sechmet hatte keine Zeit gehabt, ihr zu Hilfe zu kommen. Sie hatte sich zwar mit der Befragung der Flamme erschöpft, hatte jedoch keinen Weg gefunden, wie sie Hiram vernichten und ihn ins Reich der Finsternis verbannen konnte. Dieses Reich, wohin sie durch das Urteil des Mannes, den sie liebte, bald gehen würde.
Nagsara wollte nicht sterben. Sie besaß noch genug Kraft zum Kämpfen, genug Zauber, um damit ganz Israel zu besiegen. Ihre Unbesonnenheit vernichtete ihre berechtigten Hoffnungen. Zu dieser Katastrophe gesellte sich noch die Demütigung, daß sie jemanden empfangen mußte, den sie verabscheute, nämlich den Baumeister des Tempels. Er hatte über Kaleb um eine Audienz gebeten. Zunächst wollte sie ablehnen, besann sich aber eines Besseren. War das nicht die Gelegenheit, das Übel mit der Wurzel auszureißen?
Als Meister Hiram eintrat, umklammerte Nagsara den Griff des Dolches, den sie in einer Falte ihres Gewandes verbarg.
«Bist du gekommen, um mich noch mehr zu verfolgen?»
«Ich will dir helfen, Majestät. Ich kenne das grausame Schicksal, das dich erwartet. Wenn die Anschuldigung vorgebracht worden ist, mußt du die Probe mit bitterem Wasser fordern.»
Und Hiram beschrieb sie der Königin in allen Einzelheiten.
«Warum sollte ich dir folgen?»
«Weil du damit dein Leben rettest.»
«Eine sonderbare Fürsorge.»
«Ungerechtigkeit ist mir zuwider. Du wirst doch nur angeklagt, weil du aus Ägypten stammst.»
«Was weißt denn du davon?»
Sie trat näher an den Oberbaumeister heran.
«Ich habe schwarze Magie betrieben und betreibe sie noch. Ich will, daß Salomo mich liebt. Falls dich das empört, kannst du mich auch verurteilen.»
Die Waffe schwingen und zustoßen, zustoßen… Einfache Handbewegungen, rasch, genau, und Nagsara war einen Dämon los, der sie am Glücklichsein hinderte.
«Ich wiederhole, Majestät, ich bin gekommen, um dir zu helfen, nicht, um über dich zu richten.»
«Ich verstehe nicht…»
«Gieße diese Phiole mit Purpuraloe, die ich dir gebe, in den bitteren Becher. Die Tinktur verhindert Erbrechen.»
Verunsichert ließ Nagsara den Dolch fallen. Hiram schenkte der Waffe, die ihn hatte töten sollen, keinen einzigen Blick.
«Mögen die Götter dich beschützen, Majestät.»
Die Königin hörte sich die von Zadok vorgebrachten Beschuldigungen an, ohne zu protestieren. Vergebens forschte sie auf Salomos Antlitz nach einem Lächeln, einer Ermutigung in seinem Blick. Er verhielt sich kalt, abweisend und begnügte sich damit, bei Jahwes Gericht den Vorsitz zu führen.
Zadok rief die Belastungszeugen auf. Die Königin widersprach ihnen nicht. Nachdem diese ausgesagt hatten, forderte sie die Probe mit bitterem Wasser. Der Hohepriester war sich des Ausgangs sicher und hatte nichts dagegen. Bevor sie trank, kehrte Nagsara dem Gericht den Rücken zu und goß das Gegenmittel hinein. Jetzt packte sie die Angst. Hatte Hiram ihr nicht doch Gift gegeben, das ihr Ende beschleunigte und ihr die Steinigung ersparte? Spielte er etwa ein abscheuliches Spiel mit ihr?
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