Zadok, Elihap und Banajas waren verblüfft. Salomo fiel wirklich alles in den Schoß. Die Königin von Saba hatte ihr Land nämlich noch nie verlassen. Und jetzt wollte sie Jerusalem mit ihrer Anwesenheit Glanz verleihen!
«Zunächst einmal muß sich dir diese Frau bäuchlings zu Füßen werfen», forderte General Banajas argwöhnisch. «Sie vergißt, daß alle Herrscher dieser Erde deiner Weisheit huldigen müssen. Wenn sie sich weigert, lasse ich mein Heer auf sie los!»
Salomo beschwichtigte den Krieger.
«Wir empfangen sie so friedlich, wie sie vorschlägt», sagte der König. «Ihre Reise ist eine Huldigung an Jahwe.»
«Hüte dich vor dieser Frau», riet Zadok. «Selbst wenn sich die Königin in den Paradiesflüssen reinigt, wenn sie sich von den Früchten der Bäume ernährt, die vor dem Sündenfall gewachsen sind, wenn sie noch reicher ist als du, so ist deine Weisheit ihrer immer noch überlegen, oder etwa nicht?»
«Dieses Risiko gehe ich ein», meinte Salomo. «Gibt es andere Einwände gegen das Kommen der Königin von Saba?»
Die drei Ratsmitglieder schwiegen.
«Dann muß nur noch ein Mensch dazu befragt werden. Elihap, halte dich bereit, meine Antwort zu schreiben.»
Salomo unterhielt sich mit Meister Hiram gerade vor dessen Aufbruch nach Ezjon-Geber. Die beiden Männer gingen nebeneinander die gepflasterte Straße entlang, die Jerusalem mit Samaria verband.
«Jahwe schenkt uns ein Wunder, denn der Besuch der Königin von Saba steht uns ins Haus. Der Thronrat hat seine Zustimmung gegeben. Was meinst du dazu, Meister Hiram?»
«Du regierst in Israel, Majestät.»
«Möchtest du, daß die Königin bei der Einweihung dabei ist?»
«Meiner Ansicht nach wäre das ein Fehler. Dieser Augenblick ist der Unterhaltung zwischen dem König und seinem Gott vorbehalten. Den darf kein fremdländischer Herrscher stören.»
«Eine weise Vorsichtsmaßnahme», meinte Salomo. «Auf wann setzt du die Ankunft der Königin fest?»
«Wenn der Tempel geweiht ist und Palast und Nebengebäude fertiggestellt sind. Israels König soll ein fertiges Werk zum Bewundern haben.»
«Wieviel Zeit brauchst du noch, Meister Hiram?»
«Ein Jahr, Majestät.»
Jerobeam ließ seinem Zorn freien Lauf. Er hatte seine Stellung als Fronvogt verloren und war jetzt schlichter Aufseher in Jerusalems Pferdeställen. Die Lehrlinge hatten Verrat vorgetäuscht, weil sie Hiram warnen wollten, daß man etwas gegen ihn anzettelte. Der versuchte Aufstand der Fronarbeiter war gescheitert; Hiram hatte das Vorkommnis zu seinen Gunsten genutzt.
Der Baumeister wirkte genauso unantastbar wie der König. Beide Männer schienen unter göttlichem Schutz zu stehen.
«Sei zufrieden mit deinem Los», meinte Elihap. «Hiram höchstpersönlich hat sich für dich bei Salomo eingesetzt. Statt deine Absetzung wegen Unfähigkeit zu fordern, hat er um Nachsicht gebeten.»
«In den Augen der Schafherde, die ich gestern noch befehligt habe, bin ich zum Gespött geworden!» tobte der rote Riese. «Mich, den zukünftigen König dieses Landes, mich hat man zum Diener erniedrigt, über den sich jeder lustig macht!»
«Lassen wir ab von der Verschwörung», schlug Salomos Schreiber vor. «Die Vorsehung ist gegen uns.»
«Eine letzte Möglichkeit bleibt uns noch», meinte Zadok. «Jerobeams Idee war hervorragend, wir haben sie lediglich schlecht ausgeführt. Die Lehrlinge sind Hiram zu treu ergeben.»
«Willst du die Meister bestechen?» fragte der ehemalige Fronvogt spöttisch. «Die gehen für Hiram durchs Feuer!»
«Ich denke eher an die Gesellen. Vergessen wir Bestechung, denken wir lieber an Ehrgeiz. Unter ihnen gibt es etliche, die darauf brennen, Meister zu werden und das Erkennungswort zu bekommen, das ihnen das Tor zu großen Geheimnissen öffnet. Zunächst einmal schwächen wir Hirams Ruf. Wir sorgen dafür, daß sein Meisterwerk fehlschlägt. Dann überreden wir zwei, drei Gesellen dazu, diesen schlechten Baumeister zu zwingen, daß er ihnen die Geheimnisse der Meisterschaft enthüllt. Dadurch zerstören wir den Kern der Bruderschaft. Zu guter Letzt beweisen wir, daß Salomo ein wankelmütiger König ist, der die Sicherheit Israels aufs Spiel setzt und Jahwes Ziele verrät.»
Elihap bekam vor Angst kaum noch Luft, doch er traute sich nicht, dagegen aufzubegehren. Jerobeam schöpfte wieder Hoffnung und fuhr sich mit der Hand übers Haar. Der Hohepriester war ein bemerkenswert heller Kopf, jedoch gefährlich. Wenn Salomo gestürzt war, mußte Zadok unbedingt beseitigt werden.
Das Land Saba lebte in Frieden und Glück. Große Wälder, in denen Affen sprangen, bedeckten die Gipfel der Hügel, zwischen denen jasmingesäumte Flüsse dahinströmten. Die Ebenen zierten riesige Gardenien, in denen Hunderte von Vögeln mit rotem, grünem und gelbem Gefieder nisteten.
Bei Sonnenaufgang erschien Balkis, die Königin von Saba, auf dem obersten Dach ihres Tempels, auf dem Sphinxe und Stelen standen, die der ägyptischen Göttin Hathor geweiht waren. Sie bewunderte die hängenden Gärten, in denen es hundertjährige Ölbäume gab, die der Gott Thot der Legende zufolge auf einer seiner Reisen nach Saba eigenhändig gepflanzt hatte.
Die Königin streckte die Arme der aufgehenden Sonne entgegen und richtete ein langes Gebet an sie, in dem sie die Wohltaten pries, die das Gestirn ihrem Land und ihrem Volk erwies, denn wie eh und je schenkten die Berge ihm Gold; besonders ausgebildete Arbeiter ernteten Weihrauch, Zimtstangen und Zimtbäume; Fischer fischten nach Perlen. Diese ganze Herrlichkeit wurde zum Palast gebracht, in dem die Königin den Segen der Sonne und des Mondes heraberflehte.
Ein silbriger Wiedehopf hockte sich auf die Steinkante des Flachdaches. Verkündete er nicht die unmittelbar bevorstehende Ankunft eines Boten, der aus Israel kam? Und schon stellte sich der oberste Ratgeber mit einer Botschaft bei Balkis ein.
Sie las erfreut.
«Ich komme», murmelte sie. «In einem Jahr komme ich nach Jerusalem, Salomo.»
Hiram hatte sich von den Reinigungsbecken auf den Vorhöfen ägyptischer Tempel inspirieren und sich eine monumentale Bronzeschale einfallen lassen, die er jetzt am Ufer des Jordan gießen wollte. Beim Anblick des Plans hatten die Meister das Hauptwerk des Baumeisters ‹ehernes Meer› getauft und sich vor den beinahe unüberwindbaren Schwierigkeiten gefürchtet, die auf die Gießer zukamen.
Man hatte Ziegelsteinmauern um eine im Sand vergrabene, riesige Gußform errichtet. Die Form sollte den Bronzeabstich aus den gähnenden Schlünden mehrerer Hochöfen aufnehmen.
Hiram machte sich Sorgen. Das Unternehmen ließ sich gefährlich an. Verschiedene Abflußrinnen konnten den glühenden Strom ablenken, falls es zu einem Zwischenfall kam. Doch die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen überzeugten den Oberbaumeister noch nicht. Alle, die auf der Baustelle arbeiteten, mußten beim geringsten Anzeichen von Gefahr mit der Arbeit aufhören. Er war sogar versucht, seine Schöpfung Traum bleiben zu lassen, doch die Begeisterung der Meister war so groß, daß sie ihn überreden konnten.
Hiram überprüfte die Einnistungen rings um das künftige eherne Meer der Reihe nach, untersuchte eingehend den Ofen darunter und ließ die Arbeiter zum zehnten Mal alle Handbewegungen wiederholen. Alles schien in Ordnung zu sein. Die Begeisterung des großen Ereignisses bewegte alle Herzen.
Gemäß der Tradition der Gießer begann man mit der Arbeit, als die ersten Sterne am Himmel standen. In der Nacht war auch die kleinste Abweichung zu erkennen, und das Auge vermochte dem dahinschlängelnden, glühenden Abstich zu folgen.
Diesen Augenblick hatten Jerobeam und zwei Fronarbeiter gewählt, um einzugreifen. Die Überwachung der Baustelle war nicht mehr so streng, und die Dunkelheit war ihren Absichten günstig. Sie durchstießen die Gußform an mehreren Stellen.
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