«Neue Hindernisse?»
«Der Tempel ist ein gewaltiges Werk, und Israels Wirtschaft dient ihm. Die vom Volk gemachten Anstrengungen entsprechen dem Unterfangen und dem, was es erfordert. Dennoch…»
«Dennoch», meinte Hiram, «vergehen die Monate schnell, und die königliche Schatzkammer leert sich.»
Salomo hatte auf den Durchblick des Baumeisters gesetzt. Von seiner Entscheidung hing die Zukunft des Heiligtums ab.
«Ein König», so fuhr der Oberbaumeister fort, «darf sich nicht so weit herablassen, daß er seinen Diener um Hilfe bittet. Vor allem kein König, der den Ruf eines Weisen hat. Du hast dir zuviel vorgenommen, Majestät. Israel ist nicht reich genug, um diesen Felsen in eine Wohnstatt Gottes zu verwandeln.»
Salomo hätte Hiram am liebsten umgebracht, dann wäre mit seinem Stolz und seiner Überheblichkeit Schluß gewesen. Weiter konnte sich der Herrscher nicht erniedrigen.
«Ich verabscheue Kleinlichkeit», gestand Hiram. «Dein Abenteuer ist auch meines geworden. Ich werde ein zweites Mal beim ersten Ratgeber der Königin von Saba vorstellig werden. Laß auf Israels Äckern reichlich Korn anbauen, dann erhältst du noch einmal Gold.»
Als das Gold von Saba im Hafen von Ezjon-Geber eintraf, jubelten Seeleute, Soldaten und Hafenarbeiter und ehrten Salomos Namen. Wer hatte die Gunst der Königin mit den unerschöpflichen Vorräten gewonnen? Wer hatte sie davon überzeugt, Israel wie einen bevorzugten Verbündeten zu behandeln? Viele Herrscher waren daran gescheitert. Salomos Erfolg kam von seiner Weisheit, die ihm stets zur Verfügung stand. Beflügelte sie nicht seine Gedanken, sagte sie ihm nicht, was er tun sollte?
Meister Hiram schwieg darüber, daß er eingegriffen hatte, und überließ Salomo den Ruhm.
Es stimmte den König von Israel verdrießlich, daß er erneut in Hirams Schuld stand. Der Oberbaumeister gab keinen Zoll Boden preis. Dennoch hätte er sichtbare Vorteile aus dem Ruf ziehen können, den er genoß. Die Priester hatten mit ihren Angriffen gegen ihn aufgehört. Das Volk fürchtete ihn. Etliche hohe Würdenträger hätten es gern gesehen, wenn man ihm den Titel Oberster Verwalter verliehen hätte. Doch Hiram zeigte sich nicht im Palast, sondern verkroch sich auf der Tempelbaustelle.
Diese Haltung verärgerte Salomo. Er glaubte nicht daran, daß sich der Baumeister nicht für menschliche Belange interessierte. Er stand an der Spitze einer gestrengen Hierarchie, war umgeben von Meistern, die ihm unbedingte Treue geschworen hatten, und nahm damit im Herzen des hebräischen Staates einen ständig wichtigeren Platz ein.
Falls es mit dem Bau des Tempels langsam voranging, falls die Arbeiten unter der Langsamkeit litten, war das etwa doch nach dem Willen des Oberbaumeisters? Hätte er nicht gern sein Wissen als Erbauer gegen die zunehmende Macht getauscht, die ihn demnächst als unerläßlichen Ratgeber Salomos erscheinen lassen würde?
Auch Nagsaras Kommen stimmte Salomo nicht heiter. Er hatte sich seit einem Monat nicht mehr mit ihr unterhalten.
Wenn ihn die Lust überkam, so hatte er dafür seine Nebenfrauen, die schweigsam und willig waren.
Die junge Königin mit ihrer Eifersucht und ihren Besitzansprüchen ertrug diese Situation nicht lange. Und Salomo ertrug ihre Vorwürfe nicht. Würde sie ihn dazu zwingen, sie zu verstoßen?
Nagsara lächelte strahlend. Sie schmiegte sich an die Füße des Königs und umschlang zärtlich seine Beine.
«Meine Liebe ist so groß wie das Meer», gestand sie, «mein Verlangen, dich glücklich zu machen, ist unerschöpflich wie die Wellen. Ich kann dir das Glück schenken, das du dir von mir erhoffst.»
«Willst du damit sagen…»
«Daß ich deinen Sohn in meinem Schoß trage, o mein innig Geliebter!»
Salomo hob die Königin auf und schloß sie in die Arme. Die von Nebenfrauen geborenen Kinder waren nur Prinzen ohne Thronansprüche. Der Sohn von Israels Königin würde sein legitimer Nachfolger sein, der vom israelitischen König mit einer Pharaonentochter gezeugte Sohn! Dank ihrer würde die Friedenspolitik dauerhaft sein. Diesem Kind würde Salomo seine Erfahrung, seine Vision, seinen Zauber weitergeben. Er würde ihn herrschen lehren, ihm einen festgebauten, ruhmreichen und wirtschaftlich gesunden Thron hinterlassen und ihm den Weg zu einem strahlenden Reich vorzeigen.
Ein Reich, in dem sich zwei Bruderreiche, Israel und Ägypten, die Welt teilten.
Jetzt war der große Tempel noch nötiger denn je. Durch ihn würden der Ruf Salomos und seines Sohnes durch die Jahrhunderte leuchten.
Hiram arbeitete noch spät mit den Meistern. Das Gebäude nahm in den Köpfen Form an. Seine Proportionen lebten in den Händen der Handwerker, und allmählich wurden sie überschwenglich. Der Oberbaumeister beruhigte sie. Er wollte keine voreilige Arbeit, die zu Baumängeln führte, sondern forderte Bedachtsamkeit und Umsicht. Er beharrte auf den kleinsten Einzelheiten und berichtigte Pläne, die bereits vollkommen erschienen.
Als den Meistern erschöpft die Augen zufielen, verabschiedete er sie. Während Kaleb die Werkstatt saubermachte, setzte sich der Baumeister auf den äußersten Rand des Felsens. Sein Hund kauerte sich neben ihn, und er versenkte sich in die nächtliche Stille.
Warum hatte er Salomo geholfen? Wenn die Finanzierung des Tempels ins Stocken geraten wäre, hätte Hiram Israel verlassen und nach Ägypten zurückkehren können. Doch er hatte sich in seine Arbeit verliebt. Das Heiligtum würde nicht mehr Jahwes, sondern sein eigenes sein. Er würde ihm das Zeichen seines Genies und das des uralten Ägypten aufdrücken, er würde die ewige Weisheit in neue Form gießen.
Hiram fand Gefallen an dem Spiel. Er diente weder Mensch noch König, sondern einem Wesen aus Stein, dem er sein Wissen und sein Leben opferte.
Die Bruderschaft war gehorsam und tüchtig. Er hatte sie im Laufe der Jahre geduldig ausgebildet, und nun konnte sie es mit dem mächtigen Staatsapparat, nämlich dem Haus des Lebens, aufnehmen, wenn es darum ging, eine Wohnstatt für Götter zu erbauen. Beinahe unbewußt hatte sich Hiram wie ein Baumeister in Tanis oder Karnak verhalten, der vom Pharao beauftragt worden war, ein großartiges Bauprogramm durchzuführen.
Der Pharao… warum ähnelte Salomo ihm so?
Im nördlichen Viertel der Altstadt gab es einen Schlupfwinkel für Durchreisende, kleine Räuber und Schieber. Die hatten ihre eigenen Gesetze, hüteten sich jedoch, Salomos zu brechen. Daher machte die königliche Polizei einen Bogen um die schmutzigen, ekelhaft stinkenden Gäßchen, wo beim Morgengrauen zuweilen ein Kadaver herumlag, den ein taktvoller Ordnungsdienst rasch verschwinden ließ.
Salomo weigerte sich, diese elende Enklave abreißen zu lassen. Ihm war es lieber, wenn sich die bösen Kräfte an einer Stelle sammelten, statt sich über ganz Jerusalem zu verteilen.
Elihap, sein Schreiber, war sich da nicht so sicher. Den Kopf mit einem braunen Tuch bedeckt, in eine staubige Tunika gekleidet, glich er der Kundschaft dieses übel beleumdeten Ortes. Dank Jerobeams genauer Wegbeschreibung fand er das baufällige Haus mühelos, wo der Fronvogt auf ihn wartete. Er stieß eine wurmstichige Tür auf und stieg eine abgetretene und bemooste Treppe hinunter. Sie endete in einem matt erleuchteten Keller, in dem ihn der rote Riese begrüßte.
«Willkommen, Elihap. Du hast gut daran getan, mir dein Vertrauen zu schenken.»
«Ich handele auf Befehl dessen, der Israel retten will.»
Jerobeam ergriff eine Fackel, deren Rauch die feuchte Decke der Höhle schwärzte, und leuchtete einen Winkel aus, in dem sich ein magerer Mensch mit nicht gestutztem Bart duckte.
«Hoherpriester… bist du das?»
«Du bist kein Freund, Elihap», sagte Zadok. «Aber obwohl du in Ägypten geboren worden bist, kannst du dennoch einer der Unseren werden. Ich weiß, daß du König Salomos Beschlüsse nicht mehr billigst. Wie wir mußt du handeln und über das Wohlergehen des Volkes wachen, das der König gefährdet.»
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