Am Mittwoch abend erschien jedoch nicht Koch selbst, um Jana abzuholen, sondern Gauamtsleiter Bruno Wellenschlag, der Vertraute für alles. Er hielt mit einem unauffälligen neutralen Wagen, einem Adler, vor dem Krankenhaus und wandte sich an den Pförtner. Da er nicht seine Uniform, sondern Zivilkleidung trug, war alles noch unauffälliger.
«Ich möchte Schwester Jana abholen«, sagte Bruno.
«Jana? Kenn ick nich. Welche Station?«Der Pförtner blickte auf sein Telefonverzeichnis.»Hier laufen so viel Schwestern rum…«
«Sie arbeitet bei der Oberschwester.«
«Bei Frieda? Mann, haben Sie nichts Leichteres anzubieten?!«Der Pförtner musterte den Besucher. Wellenschlag sah nicht übel aus… einundvierzig Jahre, vom Alkohol etwas aufgeschwemmt, ein rosiges Gesicht, listige Äuglein, volle Lippen, ein Genußmensch. Und diese Jana war bestimmt zwanzig Jahre jünger. Na ja, wo die Liebe hinfällt. Im Krieg gibt's nicht mehr viel Auswahl… waren ja alle an irgendwelchen Fronten, vom Eismeer bis nach Afrika.»Ich versuche, anzurufen. Und wenn ick Frieda an der Muschel habe, kriegen Sie das Telefon. Aber atmen Sie tief durch.«
Der Pförtner wählte die Nummer von Friedas Büro, wartete, lauschte, zuckte dann mit den Schultern und legte wieder auf.»Nichts, mein Herr.«
«Unmöglich. Schwester Jana weiß, daß sie abgeholt wird.«»Aber bei Frieda ist keener.«
«Vielleicht ist sie auf irgendeiner Station.«
«Um die Zeit nicht mehr. Jetzt sind die Nachtschwestern schon dran. «Der Pförtner grinste breit.»Soll vorkommen, daß 'n Mädchen einen versetzt…«
«In diesem Fall ist auch das vollkommen unmöglich«, sagte Wellenschlag etwas hochmütig.»Telefonieren Sie mal rum…«»Bitte, bitte… wenn Sie sich so sicher sind…«
«Das bin ich.«
Wellenschlag lächelte mokant. Wenn du wüßtest, alter Knabe, daß ich hier für den Gauleiter stehe, würdest du deinen Hintern ganz anders in Bewegung setzen. Los, hol mir schon die Jana heran!
Der Pförtner tat sein Möglichstes. Er läutete alle Stationen an, sogar die Arztzimmer — Junge, Junge, hat man da schon Dinge erlebt — und legte dann resignierend den Hörer wieder aus der Hand.
«Fehlanzeige. Weder Frieda noch eine Jana sind im Haus. Tut mir leid. Wird für Sie jetzt 'n langweiliger Abend werden, nicht wahr?«»Ich glaube kaum. «Bruno dachte an Koch und wappnete sich innerlich, das Toben des Gauleiters zu ertragen. Es war das erstemal, solange Wellenschlag bei Koch war, daß eine Frau ihm auswich. Koch war nur an ein Ja gewöhnt, nicht an ein Nein. Meine liebe Jana, wer du auch bist… das gibt Komplikationen. Das vergißt der Erich dir nie! Dir steht ein schweres Leben bevor.
«Da kann man nichts machen«, sagte Wellenschlag und hob die Schultern.»Weiber! Bis später…«
«Was heißt später?«
«Ich werde wiederkommen, das ist doch klar. Morgen, übermorgen, was weiß ich?! Gute Nacht.«
«Gute Nacht.«
Der Pförtner sah Wellenschlag nach, bis er hinter der Eingangstür verschwand. Gib's auf, Männeken, dachte er. Wenn Frieda diese Jana unter die Fittiche genommen hat, verdrück dich lieber. Es ist aussichtslos.
Es war seltsam und für Wellenschlag ein völlig neues Erlebnis, daß Erich Koch nicht wie ein angestochener Stier tobte. Er hörte sich ruhig an, was Bruno berichtete, sagte dann:»Es ist gut. Du kannst nach Hause gehen, Bruno«, und zog seine Anzugjacke wieder aus. Aber dann fügte Koch noch etwas hinzu, auch mit ruhiger Stimme, und jetzt begriff Wellenschlag, wie gefährlich er war:»Ich will alles über diese Jana wissen… besorge mir ihre Personalakte.«
Wellenschlag nickte und verließ die prunkvolle Gauleiter-Villa. Wäre ich ein Buchhalter, dachte er, könnte ich jetzt den Namen Jana als erledigt abhaken.
War es die Scheu, als Gauleiter selbst mit Oberschwester Frieda Wilhelmi zu sprechen und damit offiziell sein Interesse an Jana Petrowna zu bekunden — was eigentlich gar nicht zum Charakter von Koch paßte, dem völlig gleichgültig war, was die Menschen von ihm dachten, solange sie das taten, was er befahl —, oder dachte er sich einen anderen Trick aus, um das hübsche Schwesterchen wiederzusehen? Bei Wellenschlag sorgte Kochs Ruhe für Verwirrung und schweres Rätselraten.
Donnerstag, Freitag und Samstag gingen herum, ohne eine Aktion von Seiten Kochs. Auch die Telefonverbindung mit Puschkin klappte nicht… dreimal war unter großen Schwierigkeiten und vielen Umschaltungen der Stab des 50. Armeekorps erreicht worden, aber schon nach den ersten Worten brach die Verbindung wieder zusammen. Wie verhext war es, Dr. Wollters faselte sogar von so etwas wie Sabotage, man wüßte ja, wer da telefonisch durchkommen wollte, und die Rosenberg-Leute hintertrieben das sicherlich, bis sich Koch nach der dritten Unterbrechung sagen lassen mußte, die Funker seien allesamt keine Idioten, sondern an der Front von Leningrad regne es. Alles versank in Schlamm und Morast, selbst Telefonverbindungen zwischen Kompanie und Bataillon brachen zusammen, die Suchtrupps blieben im Schlamm stecken, alles mußte zu Fuß gemacht werden, mit Fahrzeugen war überhaupt nicht mehr durchzukommen. Mit anderen Worten: Nichts ging mehr auf der ganzen Linie!
«Dann schreiben wir einen Brief«, sagte Dr. Findling.»Vielleicht ist die Briefpost besser dran als das Telefon. So etwas Verrücktes gibt es.«
In der Stabsliste der 18. Armee, die Koch vorliegen hatte, fand man den Namen des verantwortlichen Mannes: Major Pietschmann, Nachschubführer der 18. Armee. An ihn schrieb Dr. Findling im Namen von Gauleiter Koch, man möge die noch vorhandenen zwei Türen des ehemaligen Bernsteinzimmers in Puschkin, Katharinen-Palast, vorsichtig und, mit Hilfe von Schreinern ausbauen lassen, gut mit Holzwolle und Pappverschalungen verpacken und dann an die Kunstsammlungen der Stadt Königsberg schicken. Um dem Wunsch den nötigen Nachdruck zu geben, fügte er noch hinzu:
«Diese Türen gehören zu einem Kunstwerk, das zu seinem Schutz vor Vernichtung auf Anordnung des Führers von uns ausgebaut und gerettet wurde. Ich habe dem Führer darüber Bericht zu erstatten. Herr Rittmeister Dr. Wollters, der die Aktion leitete, wird in den nächsten Tagen in Puschkin eintreffen, um die sachkundige Abwicklung des Türentransportes zu überwachen.«»Das ist gut formuliert!«lobte Dr. Wollters den Brief, nachdem Findling ihn vorgelesen hatte.»Anordnung des Führers… da kann keiner dran vorbei!«
«Und es ist zudem auch noch die Wahrheit.«
«Ich werde morgen schon aufbrechen.«
«So schnell, Dr. Wollters?«Runnefeldt zeigte irgendwohin.»Wir haben die Kisten noch nicht alle ausgepackt. Wollen Sie nicht warten, bis…«
«Die Zeit ist kostbar, lieber Runnefeldt. Jetzt wegen der Türen um so mehr. Eile tut not! Nach Riga werde ich ohne große Schwierigkeiten kommen, und von Riga aus will ich versuchen, in einer Kuriermaschine zur 18. Armee einen Platz zu bekommen. Du lieber Himmel, Puschkin liegt doch auf keinem anderen Stern, da muß man doch hinkommen können!«
Schon am nächsten Tag fuhr Dr. Wollters mit einem Militärtransportzug nach Osten. Sein Abschied war kurz und knapp… ein Händedruck bei Dr. Findling und Dr. Runnefeldt ein Blick wie auf eine Made für Wachter. Als die Tür hinter ihm zuklappte, atmeten die anderen tief auf. Aber keiner sprach aus, was er in diesen Minuten dachte.
Um es vorwegzunehmen: Der Brief erreichte Major Pietschmann am 17. Januar 1942, am 20. Januar waren die Türen ausgebaut und am 25. Januar trafen sie mit einem Lazarettzug von der Leningradfront in Königsberg ein. Die Nachschuborganisation, die gesamte Logistik arbeitete vorzüglich. Der Oberquartiermeister und IC der 18. Armee mußte ein hervorragender Mann sein.
Den Türen lag ein Briefchen von Dr. Wollters bei. Ein knapper, unverbindlicher Gruß und die völlig uninteressante Mitteilung, daß es ihm gut gehe.
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