«Ihre Anmerkung war völlig überflüssig!«brüllte er.»Ich übernehme die Verantwortung für alles, was in Puschkin geschehen ist! Genügt das?!«
«Im Prinzip ja. «Dr. Findling schüttelte den Kopf, was eigentlich dem Ja widersprach, es sogar, genaugenommen, aufhob.»Aber davon habe ich noch nicht meine Türen und die Wandfriese wieder…«
Unterdessen war es auf der Treppe zu einer verhängnisvollen Begegnung gekommen: die herabsteigende Jana Petrowna stieß auf den hinaufeilenden Gauleiter Koch. Sie kannte ihn nicht, aber die goldbetreßte Uniform und die Personenbeschreibung, die man ihr von Koch gegeben hatte, paßten genau: mittelgroßer Mann, stämmig, Augen, die alles abschätzend musterten mit einem kalten Blick, über der Oberlippe ein kurzgehaltener, kleiner Schnurrbart, eine Nase mit breiten Nasenflügeln, eine Uniform, die vor allem dadurch auffiel, daß sie besonders breite, ausladende Breeches besaß, die an den Oberschenkeln wie Flügel aussahen, eine überdimensionale Reithose also, die der kleinen Gestalt mehr Gewicht verlieh. Er muß es sein, dachte Jana Petrowna blitzartig. Kein anderer könnte dieser Beschreibung so entsprechen.
Wie alle körperlich etwas zu kurz Geratenen war auch Koch immer und überall bestrebt, dieses Manko durch Machtfülle, Forschheit, einen barschen Befehlston und eine unerträgliche Rechthaberei auszugleichen.
Gauleiter Erich Koch verlor und kapitulierte nie. Seine entsetzlichen, gnadenlosen, vernichtenden Mittel heiligten sein übersteigertes Selbstbewußtsein und schmeichelten seinem schon paranoischen Drang, immer der Größte, der Unangreifbare, der Rechthabende zu sein. In seiner Nähe fror man nicht… man hatte einfach nackte Angst — und das war für Koch der Gipfel seines Lebens.
Jana und Koch blieben ruckartig auf den Treppenstufen stehen und sahen sich an. Der Gauleiter, zu allem Überfluß noch zwei Stufen tiefer als Jana und damit zusätzlich benachteiligt, denn es ist immer besser, auf etwas hinabzusehen als hinaufzublicken, glich diese Situation auf gewohnte Art aus.
«Ja, wer ist denn das?!«rief Koch. Ehrliche Begeisterung lag in seiner Stimme. Mit unverschämten Blicken musterte er Jana Petrowna, als stünde sie nackt vor ihm, tastete hren Körper ab, von den schlanken Beinen bis zu den schwarzen Locken, glitten dann zurück zu ihren Brüsten, die auch in der Schwesterntracht auffielen, und blieben an ihnen hängen.»Welch ein wunderschönes Schwesterchen kommt da ins Schloß! Wer ist hier krank? Wer braucht Ihre Hilfe? Was den Patienten auch quält… jetzt muß er eine neue Krankheit bekommen haben: Blutsausen und Herzklopfen!«
«Es war ein Fehlalarm, Herr Gauleiter. Niemand ist hier krank.«»Sie kennen mich?«fragte Koch kokett, obwohl er sicher war, daß ihn in Ostpreußen jeder kannte. Das könnten andere Gauleiter nicht vorweisen, weder Mutschmann von Sachsen, weder Grohe von Köln-Aachen, noch Wagner von WestfalenSüd. Sie waren bekannt, aber die zweifelhafte Popularität von Koch erreichten sie nie.
«Wer kennt Sie nicht, Herr Gauleiter?«antwortete Jana Petrowna. Sie kam nicht näher, blieb auf ihrer Treppenstufe stehen und blickte auf Koch hinunter. Aber auch der stieg die beiden Stufen nicht hinauf… die jetzige Perspektive war ihm äußerst angenehm.
«Auch wenn es, wie Sie sagen, ein Fehlalarm war, er hat etwas Gutes: Ich bin Ihnen begegnet. Sonst wäre das vielleicht nie geschehen… und das wäre ein Verlust gewesen. Wie heißen Sie, Schwesterchen?«
«Jana Rogowskij, Herr Gauleiter.«
«Das klingt ganz ostpreußisch.«
«Ich wurde in Lyck geboren.«
«Das ist doch in Masuren?«
«Ja, Herr Gauleiter.«
«Jana — ein masurisches Mädchen zu sein war immer eine Verpflichtung und ein Versprechen…«
«Wie soll ich das verstehen, Herr Gauleiter?«
«Ein masurisches Mädchen ist heißblütig, unersättlich in der Liebe, Himmel und Hölle in einer Person. Bist du heißblütig, Jana?«
Wie selbstverständlich duzte er sie sofort nach den ersten konventionellen Sätzen, und wieder tastete er ihren Körper langsam mit seinen unverschämten Blicken ab. Dabei lächelte er… ermunternd sollte das sein, aber Jana war nur um so mehr auf der Hut. Was sollte sie antworten? Wie würden andere Frauen darauf reagieren? Nur lächeln — das war eine Aufforderung. Den Kopf schütteln — das würde ihn nur zu neuen Fragen solcher Art provozieren. Bei jedem anderen Mann wäre es einfach gewesen, ihn ohne Antwort stehen zu lassen und wegzugehen… konnte man das aber mit einem Gauleiter tun? Mit einem Tyrannen wie Erich Koch? Sie entschloß sich, auszuweichen.
«Ich weiß es nicht, Herr Gauleiter«, sagte sie und spielte perfekt die Verschämte. Koch gefiel diese Geziertheit ungemein. Sein tastender Blick wurde fordernd, Jana spürte ihn auf ihrem Körper, als seien es Hände, die über ihre Haut strichen.
«Es hat dir noch keiner gesagt?«
«Nein — «
«Wir sollten diese >Volksmeinung< einmal überprüfen. Heißblütigkeit ist nur feststellbar, wenn man sie herausfordert. Enttäusche nicht Masuren, Jana. Wann hast du deinen freien Tag?«»Den bestimmt Oberschwester Wilhelm i.«
«Irrtum! Den bestimme jetzt ich!« Koch stieg nun doch die beiden Stufen hinauf, und als er neben Jana stand, war er ein paar Zentimeter kleiner als sie. Das war er gewöhnt — die meisten Frauen, die sein Bett kannten, waren größer als er gewesen. Aber welche Bedeutung hatte das? In den Kissen war er der Größte.
Er versuchte, Janas Taille zu umschlingen, aber sie wich auf der Treppe zurück, eine stumme Abwehr, die Koch sonst kaum erlebt hatte. Die meisten Frauen, die er» erobert «hatte, sahen das als eine Ehre an, so wie die Männer ihre Brust wölbten, wenn man ihnen einen Orden verlieh.
«Was ist denn?«fragte Koch etwas verwirrt und mit einem bösen Unterton in der Stimme. Janas Augen flimmerten, er konnte sich erklären, warum.
«Mich hat noch kein Mann angefaßt, Herr Gauleiter«, sagte sie fast kläglich.
«Das darf doch nicht wahr sein! Hast du bisher nur unter Blinden gelebt?«
«Alle haben auf mich aufgepaßt. Zu Hause der Vater und der älteste Bruder, im Schwesternheim die Leiterin, im Krankenhaus die Oberschwestern.«
«So etwas gibt es wirklich noch?«Koch kam näher, streckte die Arme aus, spreizte die Finger und preßte sie plötzlich an Janas Brüste. Sie erstarrte, ballte die Fäuste und hatte großes Verlangen, Koch einen kräftigen Schlag auf die breite Nase zu geben. Das aber — sie erkannte es klar — würde ihr Ende bedeuten. Verbannung aus Königsberg, Schwester in einem Arbeitslager der Ostarbeiter, vor allem aber würde man entdecken, wer sie wirklich war. Und das bedeutete Einweisung in ein KZ, oder sie würde sofort zum Tode verurteilt werden. Koch hatte die Macht dazu. Kein» unabhängiger «Richter würde es wagen, einen Wink des Gauleiters Koch zu übersehen. Auch Richter sind zu ersetzen…
«Du bekommst am Mittwoch deinen freien Tag!«sagte Koch und drückte Janas Brüste. Die Gier in seinen Augen nach dieser Berührung war unerträglich.»Und dann feiern wir ein masurisches Liebesfest.«
«Ich… ich weiß es nicht.«
«Aber ich weiß es, und das genügt. Mittwochabend, Jana. Ich lasse dich abholen. Wir werden in ein wunderschönes kleines Jagdschloß fahren… es wird dir gefallen.«
«Wenn die Oberschwester mir freigibt.«
«Daran ist nicht zu zweifeln. Wie heißt der Drachen?«
«Frieda Wilhelmi. Städtisches Krankenhaus.«
«Also dann bis Mittwoch, Jana.«
«Ja, Herr Gauleiter.«
Koch tätschelte ihr über die Wange, und als sie die Treppe hinunterging, blickte er ihr noch lange nach, gefangen vom Anblick ihrer schwingenden Hüfte, der wilde Phantasien in ihm wachrief. Ist das ein Weib, dachte er. Verdammt, das ist ein Weib!
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