«Nein, aber ich kann immer und überall mit den Fingern darauf üben.«
«Sehr klug!«Frieda umfaßte Jana mit einem fast liebevollen Blick.»Hast du keine Lust, mal an die frische Luft zu gehen?«»Es regnet doch, Oberschwester.«
«Wie war's, wenn du mal in ein Kino gehst? Im Ufa-Palast läuft ein neuer Film mit Zarah Leander. Der Weg ins Freie, heißt der Film. Und im Tivoli wird Jud Süß gespielt… das mußt du dir ansehen, mein Kind.«
«Wenn ich darf…«
«Natürlich darfst du. Du bist doch hier nicht im Gefängnis. Außerhalb deiner Arbeitszeit kannst du tun und lassen, was du willst. Selbstverständlich im Rahmen von Anstand und Moral.«»Ich möchte zu gerne einmal in das Museum im Schloß, Oberschwester. «Jana starrte auf ihre Schreibmaschine, um nicht Frieda Wilhelmi anschauen zu müssen.»Ich liebe Gemälde und Skulpturen. Bei einem Kurzurlaub von der Front habe ich sogar Schloß Peterhof besichtigt. Ich war richtig ergriffen.«
«Dann sieh dir das Museum doch an, mein Kind.«
«Es ist nur am Tag geöffnet, nicht abends, wenn ich hier fertig bin.«
«Das stimmt. «Frieda Wilhelmi überlegte nicht lange.»Ich gebe dir morgen einen freien Tag.«
«Wirklich, Oberschwester? O danke… danke…«
Sie wollte aufspringen und Frieda umarmen, aber dann sank sie auf ihren Stuhl zurück und wischte sich über die Augen.»Nun heul nicht!«sagte Frieda grob, aber nicht mit ihrer
Trompetenstimme.»Dir steht doch ein freier Tag zu. Du gehst also morgen ins Museum und erzählst mir, was es da zu sehen gibt. Ich würde mitgehen, aber ich kann ja hier nicht weg. Und übermorgen Abend sehen wir uns Zarah Leander an.«
In dieser Nacht wurde Jana Petrowna gestört. Ein Klopfen schreckte sie aus dem Schlaf auf, und das erste, was sie dachte, war: Wie gut, daß ich die Tür abgeschlossen habe. Auch ohne daß sich der Klopfende vorstellte, wußte sie, wer vor der Tür stand.
«Ja?«rief sie in der Art, wie sich Frieda immer meldete. Draußen im Flur hüstelte jemand. Dann sagte eine gedämpfte Stimme:
«Machen Sie auf. Bitte…«
«Wer ist da?«fragte sie völlig überflüssig.
«Hans…«
«Ich kenne keinen Hans.«
«Hans Phillip.«
«Ach Sie, Herr Doktor? Ein Notfall? Ich habe keinen Stationsdienst, das wissen Sie doch.«
«Man könnte es einen Notfall nennen, Schwester. Schließen Sie die Tür auf.«
«Nein.«
«Seien Sie doch kein Frosch.«
«Ich bin eine Jungfrau.«
«Wie bitte?«
«Ich bin Sternzeichen Jungfrau.«
«Humor haben Sie! Das gefällt mir. Wir sollten uns näher kennenlernen, aber nicht durch die Tür.«
«Ich wüßte nicht, wozu das nützlich ist.«
«Das könnte ich klären, wenn Sie mich hereinlassen.«
«Auch dann würden Sie mich nicht überzeugen.«
«Es käme auf einen Versuch an, Schwester Jana. Im Leben gibt es selten ein Nie.«
«Dann gehöre ich zu dieser Seltenheit, Herr Doktor. Lassen Sie mich jetzt weiterschlafen, bitte. Wieso sind Sie eigentlich noch im Haus?«»Ich habe Nachtdienst. Nun machen Sie schon auf. Ich habe auch zwei Flaschen Bier mitgebracht.«
«Pissolin?«
Schweigen. Dr. Phillip zwinkerte verblüfft mit den Augen. Was ist denn das, fragte er sich. Die spröde Kleine und dann solch ein Wort. Junge, die hat es ja faustdick hinter den Ohren. Die ist ja gar nicht ein Kräutchen-rühr-mich-nicht-an. Die tut nur so, die spielt mit mir Katz und Maus.
«Mädchen — «sagte er und preßte dabei den Mund an den Türspalt.»Du bist ein Teufelsweibchen. Komm und dreh den Schlüssel rum…«
«Nein. Gute Nacht, Herr Doktor.«
Jana Petrowna legte sich wieder zurück und zog die Decke über ihren Kopf. Sie hörte nichts mehr und wußte so auch nicht, wie lange Dr. Phillip noch an der Klinke rüttelte, redete, bettelte und lockte. Schließlich gab er auf, zum ersten Mal widerstand eine Frau seinen Lockungen, ein völlig unbekanntes Gefühl war das, und enttäuscht ging er zurück zum Arztzimmer der Chirurgie. Na, dann heute nicht, dachte er. Wir haben ja Zeit. Einmal wird's gelingen. Wer hat heute Nachtdienst? Schwester Veronika. Vroni, die Rundärschige. Besser als gar nichts.
Er packte seine Flaschen Bier wieder in die Kitteltasche und ging zur Station III, in der das Wachzimmer lag.
«Grüß dich, Vroni«, sagte er zu dem drallen Mädchen, beugte sich über sie, küßte sie und strich dabei über ihre Brüste.
«Machen wir's uns gemütlich. Es wird sonst eine langweilige Nacht werden.«
Und Schwester Vroni knöpfte ihren Kittel auf…
Gegen zehn Uhr am Vormittag betrat Jana Petrowna das Museum im Königsberger Schloß. Sie kaufte eine Karte, wagte aber nicht, zu fragen, wo man das Bernsteinzimmer aufstellen wollte. Niemand außer ein paar Eingeweihten wußte von der Ankunft des Schatzes. Es war anzunehmen, daß die Kartenverkäuferin überhaupt keine Ahnung hatte.
Um nicht aufzufallen, ging Jana von Saal zu Saal, blieb vor einigen Gemälden stehen, stieg hinauf in den ersten Stock und sah nirgendwo einen leeren Saal oder eine Betriebsamkeit, die auf ein Auspacken des Bernsteinzimmers hinwies. Erst als sie in den zweiten Stock gehen wollte, versperrte ein dickes Seil die Treppe. Ein Schild hing an dem Seil: Gesperrt. Und auf der Treppe auf einem Ständer las sie: Bis auf weiteres kein Zutritt.
Jana blieb stehen und hob lauschend den Kopf. Da oben also, dachte sie. Da muß Väterchen sein. Was wird er sagen, wenn ich plötzlich vor ihm stehe? Sie hörte entferntes Hämmern, ein paar Stimmfetzen mischten sich dazwschen, irgend etwas schleifte über den Boden, dann eine deutliche Stimme:»Karl, pack mal mit an! Vorsichtig, du Knallkopf! Und jetzt: Hebt hoch!«
Jana Petrowna hob das Seil an, ging gebückt darunter her und stieg die Treppe hinauf. Um die Ecke des breiten Flurs hörte sie nun deutlicher das Hämmern. Zwei Männer bogen von einem Seitengang ein und blieben beim Anblick der Rote-Kreuz-Schwester stehen.
«Wo soll's denn hingehen, Schwester?«fragte einer von Ihnen.»Hier ist im Moment nichts zu sehen.«
«Ist denn das Schild unten weg?«fragte der andere.
«Ich bin dienstlich hier. Im Krankenhaus wurde angerufen. Ich weiß nicht, was los ist.«
«Wird sich einer an den Mistkisten den Daumen gequetscht haben«, sagte der eine fröhlich.
«Hoffentlich nicht was anderes«, lachte der andere. Er winkte den Seitenflur entlang.»Freie Fahrt, Schwester. Und nehmen Sie ihn vorsichtig in die Hand…«
Laut lachend verschwanden sie in einem Zimmer. Jana zögerte einen Moment, dann preßte sie die Lippen zusammen und ging weiter. Vor einer breiten Tür, über der die Nummer siebenundzwanzig stand, blieb sie stehen. Hinter der Tür erklang laut das Stakkato des Hämmerns und vielfaches Stimmengewirr. Sie nahm allen Mut zusammen, drückte die Tür auf und betrat einen großen, leeren Saal.
Auf dem Parkettboden war eine der Wandtafeln des Bernsteinzimmers zusammengelegt worden, zwei Männer in Offiziersuniform studierten einen Bernsteinengel, den einer von ihnen in beiden Händen hielt, drei Männer an der hinteren, kahlen Wand schlugen Haken in die Mauer, ein vierter, mit einem Plan in der Hand, zeichnete mit einem dicken Stift neue Bohrlöcher an.
Und vor der auf dem Boden liegenden Wandtafel kniete Michael Wachter und untersuchte mit einer großen runden Handlupe das Mosaik aus geschliffenem, funkelndem Bernstein.
Der erste, der Jana Petrowna bemerkte, war Dr. Runnefeldt. Er blickte von dem Bernsteinengel hoch und sah sie an. Verblüffung lag in seinem Blick. Dr. Findling bemerkte es und drehte sich um. Auch ihm sah man das Erstaunen an.
«Sie haben sich verlaufen, Schwester«, sagte Dr. Runnefeldt höflich.
«Ich weiß nicht. Jemand hat im Krankenhaus angerufen, hier soll es einen kleinen Unfall gegeben haben. «Ihre Geistesgegenwart war hervorragend. Sie sah dabei hinunter auf die Wandtafel, vor der Wachter kniete.
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