«Zu demjenigen Fürsten, «antwortete Balafré,»der die Landeskinder fein säuberlich zur Arbeit anhält und Schotten einstellt, sie und ihr Land zu schützen, und ihnen dafür keine andern Lasten aufbürdet, als für ihren Sold aufzukommen!.. Franzosen, sagt König Ludwig, eignen sich nun einmal nicht zur Kriegführung, das haben die Tage von Crécy und Azincourt bewiesen, und wer ihm was gegen seine Ansicht sagen will, dem kommt er gleich mit diesen beiden Schlachten entgegengerückt, die für die französischen Ritter in so großem Maße unglücklich verliefen. Na, siehst Du nun ein, lieber Neffe, wo unser Weizen blüht, und wo Du, wenn Du reich werden willst, schließlich noch die allerbesten, wenn nicht die einzigen Aussichten dazu hast?«—»Ich glaube, den Sinn Eurer Worte richtig zu erfassen, Oheim, «versetzte Quentin Durward,»aber mir scheint, viel Ehre ist bei diesem Könige denn doch nicht zu holen! denn ich sehe nicht ein, wo es bei ihm Gefahren gibt. Mir kommt der Dienst bei ihm, verzeiht mir den Ausdruck, Ohm, so recht vor wie ein Schlaraffendienst. Was hat denn ein alter Mann, dem doch niemand was zu leide tut, soviel Wachen vonnöten? wem kann denn was dran liegen, Sommer und Winter auf seinen Festungswerken herumzulungern oder in einem eisernen Käfige zu stecken? ist das etwa viel Ehre, unter dem ewigen Verdachte des Ausreißers zu stehen? Ich komme mir da wirklich nicht anders vor, wie ein Falke, der auf seiner Stange hocken muß, ohne nur ein einziges Mal auffliegen zu dürfen.«
«Na, das muß man sagen, «rief Balafré,»Mut und Feuer stecken in dem Jungen; es steckt was von Lesleyschem Geist in ihm; so war ich selber, und keinen Deut anders. Aber jetzt heißt meine Parole: Vivat König Ludwig! lang lebe der König von Frankreich! denn bei ihm vergeht fast kein Tag, an welchem es nicht einen Auftrag gibt, bei dessen Ausführung was für unsereinen kleben bleibt! Meine bloß nicht, als ob die schwierigsten Stückchen immer bei hellem Tage ausgeführt würden! ich könnte Dir manches erzählen, wie Schlösser gestürmt, Gefangene eingebracht wurden, und wo einer, wenn auch keinen großen Namen, so doch größere Gunst zu gewinnen vermag, als all die Wagehälse zusammengenommen im Dienste des wagehalsigen Herzogs von Burgund! und wenn es unserm Könige beliebt, sich im Hintergrunde aufzustellen und uns bei unserm Tun zu beobachten, so hat er doch ganz gewiß bessere Gelegenheit zu gerechtem Abwägen von jedes einzelnen Verdienste, als wenn er sich selbst mit in dem Kampfe getummelt hätte. Nein, nein! da hilft kein Redens! König Ludwig ist ein gar scharfblickender Herr! und ein politischer Herrscher, wie wir keinen andern haben neben ihm!«
Quentin Durward schwieg eine Weile, dann sagte er, minder laut als bisher, aber nicht minder ausdrucksvoll:»Der gute Pater Peter meinte hin und wieder zu mir, es sei freilich durch manche Tat, bei der nicht viel Ehre zu holen sei, mancherlei Vorteil zu gewinnen; und ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, Oheim, daß meines Vermutens solche geheim erteilten und heimlich auszuführenden Aufträge nicht immer besonders ehrenvoll sein mögen.«—»Wofür, Neffe, hältst Du mich denn?«fragte Balafré finster;»ich bin allerdings in keinem Kloster erzogen worden, kann auch weder lesen noch schreiben; aber ich bin ein ehrlicher Lesley und bin der Bruder Deiner seligen Mutter. Meinst Du, ich wollte Dir etwa Unwürdiges aussinnen? Der beste Ritter Frankreichs, Guesclin selbst, könnte, wenn er noch am Leben wäre, stolz sein auf solche Taten, wie ich sie vollführt habe.«— Ihr seid der einzige Ratgeber, Oheim, «sagte Quentin Durward,»den mir ein unseliges Geschick aufbewahrt hat, und Zweifel in Eure Worte zu setzen, steht mir wahrhaftig nicht zu. Aber trifft es denn zu, was gerüchtweise verlautet, daß der König von Frankreich hier in Plessis solch dürftigen Hof halte? es soll keiner von seinen Edeln hier sein, keiner von seinen großen Vasallen und Hofleuten in seiner Nähe weilen, kein Kronbeamter zu seiner Verfügung sein? außer ein paar einsamen Ausflügen, an denen bloß die Leibdiener teilnehmen, außer ein paar geheimen Sitzungen, zu denen bloß geringe Personen zugezogen werden, wie beispielsweise sein Barbier, soll nichts hier vorgehen, was an eine königliche Hofführung erinnert? wenn sich das wirklich so verhält, dann scheint mir doch wenig von den Bräuchen und Sitten jenes edlen Königs Karl, seines Vaters, auf König Ludwig übergegangen zu sein, und dabei hatte doch bereits dieser das zur Hälfte von England eroberte Königreich wieder durch Krieg an sich gebracht!«
«Du schwatzest wie ein Kind, «erwiderte Balafré,»und leierst wie ein Kind die alten Noten auf neuen Saiten. Wenn König Ludwig seinen Barbier Oliver Dain zu Dingen braucht, die dieser besser versteht, als alle Pairs in seinem Lande, hat nicht dann sein Königreich den Gewinn davon? und wenn er seinem martialischen Generalprofossen Befehl gibt, den oder jenen aufrührerischen Bürger in Haft zu nehmen oder den oder jenen Edelmann beiseite zu schaffen, dann geschieht's doch eben ohne viel Federlesens. Aber nicht der Fall wäre es, wenn er solchen Auftrag einem Herzog oder Pair seines Landes erteilen wollte, da könnte er sich von hundert in neunzig Fällen darauf gefaßt machen, daß er den Auftrag mit einer Herausforderung zurückbekäme, auf die Ausführung aber fein säuberlich warten könnte. Oder spricht's etwa nicht von königlicher Weisheit, wenn Ludwig Balafré mit einem Auftrag bedacht wird, der beim Großconnetable vielleicht ganz und gar nicht in den richtigen Händen gewesen wäre? Ist solcher Monarch nicht gerade für Leute wie uns der richtige?… Du kannst mir schon glauben, Neffe, König Ludwig versteht's, sich die rechten Leute für seine Befehle auszusuchen, und mißt, wie man wirklich sagen kann, jedem genau zu, was er tragen kann. Aber, höre! da schlägt die Glocke von Sankt Martins! die ruft mich zurück ins Schloß. So leb denn wohl und nimm Dich recht zusammen! sei um acht Uhr früh an der Zugbrücke und frage die Schildwache nach mir! aber sieh Dich vor, daß Du nicht vom richtigen Wege abgerätst, sobald Du Dich dem Portale näherst, denn es könnte Dich, wenn Du das außer acht läßt, leicht ein Glied von seinem Leibe kosten, und das büßt doch niemand gern ein! Ich sage Dir, Neffe, Du sollst den König Ludwig sehen, und sollst dann selbst über ihn urteilen. Na, und nun Adjes für heute!«
Mit diesen Worten eilte Ludwig Balafré hinweg und vergaß in der Eile, den Wein zu bezahlen, den er bestellt hatte. Bei Personen seines Kalibers ist solche Vergeßlichkeit keine Seltenheit, und der Wirt mochte sich vor dem wehenden Federbusch nicht getrauen, ihn aufmerksam zu machen. Von Quentin Durward hätte man nun, als er sich allein sah, erwarten können, daß er sich wieder in sein Turmzimmer begeben hätte, um den süßen Tönen weiter zu lauschen, die seine Morgenstunde so herrlich aufgeheitert hatten. Aber sein Oheim hatte ihn zu derb vor die Wirklichkeit gestellt, und so hatte er jetzt keinen Sinn mehr für Romantik, sondern unternahm einen Spaziergang an dem Ufer des wild strömenden Cher, hatte sich aber zuvor noch sorgsam erkundigt bei dem Herbergswirte, ob in dieser Gegend etwa auch Fußangeln gelegt seien, die zu besonderer Vorsicht nötigten. Der Wirt hatte ihm nach dieser Richtung hin die beruhigendsten Versicherungen geben können, und so suchte er nun am Ufer des wilden Flusses seine wirren Gedanken zu sammeln und Pläne für sein zukünftiges Leben zu schmieden, das ihm durch die Unterhaltung mit seinem Oheim nach mancher Seite hin zweifelhaft geworden war.
Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernste Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht an jedem Feinde aufs grimmigste zu rächen.
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