Ich will sagen, daß die Frau des ersten richterlichenBeamten der Hauptstadt einen fleckenlos gebliebenen Namen nicht mit ihrer Schandebelasten und nicht mit demselben Schlage ihren Gatten und ihr Kind entehren wird.
Nein! oh, nein!
Wohl, das wird eine gute Handlung von Ihnen sein, und für diese gute Handlung danke ich Ihnen.
Sie danken mir und wofür?
Für das, was Sie gesagt haben.
Was habe ich gesagt? Mein Kopf ist verwirrt; mein Gott! Mein Gott! Ichbegreife nichts mehr.
Und sie erhobsich mit aufgelösten Haaren und schäumenden Lippen.
Siebeantworteten die Frage noch nicht, die ichbei meinem Eintritt machte: Wo ist das Gift, dessen Sie sich gewöhnlichbedienen?
Frau von Villefort streckte die Arme zum Himmel empor und schlug krampfhaft die Hände aneinander.
Nein, nein, schrie sie, Sie wollen das nicht!
Ich will nicht, daß Sie auf dem Schafott sterben, hören Sie? antwortete Villefort.
Oh! Gnade, Herr!
Es ist mein Wille, daß Gerechtigkeit geschehe. Ichbin auf der Erde, um zu strafen, fügte er mit einem flammendenBlickebei; jeder andern Frau, und wäre es eine Königin, würde ich den Henker schicken, gegen Sie werde ichbarmherzig sein. Ihnen sage ich: Nicht wahr, gnädige Frau, Sie haben einige Tropfen von Ihrem süßesten, schnellsten und sichersten Gift aufbewahrt?
Oh! Verzeihen Sie mir, lassen Sie mich leben!
Sie ist feig, sagte Villefort.
Bedenken Sie, daß ich Ihre Fraubin!
Sie sind eine Giftmischerin.
Im Namen des Himmels!
Nein.
Im Namen der Liebe, die Sie für mich gehabt haben!
Nein! nein!
Im Namen unseres Kindes! Oh! Unserem Kinde zuliebe lassen Sie mich leben.
Nein! nein! sage ich Ihnen; ließe ich Sie leben, so würden Sie eines Tages das Kind so gut töten, wie die andern.
Ich! mein Kind töten! rief in höchster Leidenschaft diese Mutter, auf Villefort zustürzend; ich meinen Eduard töten? Und ein gräßliches Gelächter, das Lachen einer Wahnsinnigen, vollendete den Satz und verlor sich in einemblutigen Geröchel.
Frau von Villefort stürzte zu den Füßen ihres Gatten nieder.
Villefort näherte sich ihr und sagte: Bedenken Sie wohl! Istbei meiner Rückkehr nicht Gerechtigkeit geschehen, so zeige ich Sie mit meinem eigenen Munde an, verhafte ich Sie mit meinen eigenen Händen.
Sie hörte keuchend, vernichtet; nur ihr Auge lebte in ihr undbrannte in einem düsteren, furchtbaren Feuer.
Sie verstehen mich, sagte Villefort, ich gehe, um die Todesstrafe gegen einen Mörder zu fordern. Finde ich Sie noch lebend, so ist heute nacht der Kerker Ihre Wohnung.
Frau von Villefort stieß einen Seufzer aus, ihre Nerven wurden schlaff, sie wälzte sich gebrochen auf demBoden.
Der Staatsanwalt schien eine Regung des Mitleids zu fühlen, er schaute sie minder streng an, verbeugte sich leicht vor ihr und sagte langsam: Gottbefohlen, gnädige Frau!
Dieser Abschied fiel wie das Messer des Todes auf Frau von Villefort. Sie wurde ohnmächtig.
Der Staatsanwalt entfernte sich und schloßbeim Hinausgehen die Tür doppelt zu.
›Die AffäreBenedetto‹, wie man damals in Paris und in der Gesellschaft sagte, machte ein ungeheures Aufsehen. Ein täglicher Gast des Café de Paris, desBoulevard de Gand und desBois deBoulogue, hatte der falsche Cavalcanti während seines Aufenthaltes in Paris und während der paar Monate, die sein Glanz gedauert, eine MengeBekanntschaften gemacht. Die Zeitungen erzählten von den verschiedenen Stellungen des Angeklagten in seinem eleganten Leben und in seinem Leben imBagno. Dies erregte die größte Neugierdebesondersbei den persönlichenBekannten des vermeintlichen Prinzen, und diesebeschlossen, alles daran zu setzen, um HerrnBenedetto, den Mörder seines Kettenkameraden, auf derBank der Angeklagten zu sehen.
Für viele warBenedetto, wenn nicht ein Opfer, doch wenigstens ein Irrtum der Justiz; man hatte Herrn Cavalcanti Vater in Paris gesehen, und man erwartete, er werde abermals erscheinen, um seinen erhabenen Sprößling zu reklamieren.
Alles lief also zu der Gerichtssitzung. Von morgens um sieben Uhr drängte man sich am Gitter, und eine Stunde vor Eröffnung der Sitzung war der Saalbereits voll vonBevorzugten.
Beauchamp, der zu den Königen der Presse gehörte, und folglich seinen Tron überall hatte, schaute durch sein Glas nach rechts und links. Er erblickte Chateau‑Renaud und Debray, die sich die Gunst eines Stadtsergeanten erworben und diesenbestimmt hatten, sich hinter sie zu stellen, statt vor sie, wie es sein Recht war. Der würdige Agent hatte den Sekretär des Ministers und den Millionär gerochen; erbenahm sich voll Rücksicht gegen seine edlen Nachbarn und erlaubte ihnen, mit dem Versprechen, ihre Plätze aufzubewahren, Beauchamp einenBesuch zu machen. Nun! Wir werden also unsern Freund sehen! sagteBeauchamp.
Ei! mein Gott, ja! erwiderte Debray, dieser würdige Prinz! Der Teufel hole den italienischen Prinzen!
Adel des Stricks, bemerkte phlegmatisch Chateau‑Renaud.
Nicht wahr, er wird verurteilt werden? fragte DebrayBeauchamp.
Ei! mein Lieber, erwiderte der Journalist, mir scheint, das muß man Sie fragen; Sie wissen dasbesser als wir. Haben Sie den Präsidentenbei der letzten Soirée Ihres Ministers gesprochen?
Ja.
Was hat er Ihnen gesagt?
Etwas, was Sie in Erstaunen setzen wird.
Ah! Sprechen Sie geschwind, ich habe schon lange nichts dergleichen mehr gehört.
Wohl! Er hat gesagt, Benedetto, den man für einen Phönix an Feinheit, einen Riesen an Schlauheit halte, sei nur ein ganz gemeiner, einfältiger Schuft und ganz unwürdig der Versuche, die man nach seinem Tode an seinen phrenologischen Organen machen werde.
Bah! riefBeauchamp, er spielte den Prinzen gar nicht übel.
Doch wenn ich mit dem Präsidenten gesprochen habe, sagte Debray zuBeauchamp, so müssen Sie den Staatsanwalt gesehen haben?
Unmöglich; seit acht Tagen verbirgt sich Herr von Villefort, und das ist ganz natürlich. Diese Reihe von häuslichen Unglücksfällen, denen der seltsame Tod seiner Tochter die Krone aufsetzte…
Der seltsame Tod! Was sagen Sie da, Beauchamp?
Ah! ja, spielen Sie den Unwissenden, versetzteBeauchamp, indem er sein Monokle einklemmte und Umschau im Saale hielt. Halt, fuhr er fort, ich täusche mich nicht.
Was gibt es?
Sie ist es. Man sagte doch, sie sei abgereist.
Fräulein Eugenie? Sollte sie zurückgekommen sein?
Nein, ihre Mutter.
Unmöglich, rief Chateau‑Renaud; zehn Tage nach der Flucht ihrer Tochter, drei Tage nach demBankerott ihres Mannes!
Debray errötete leicht und folgte der Richtung desBlickes vonBeauchamp.
Was wollen Sie! sagte er, es ist eine verschleierte Frau, eine unbekannte Dame, vielleicht die Mutter des Fürsten Cavalcanti; aber mir scheint, Sie wollen uns da eben etwas sehr Interessantes mitteilen, Beauchamp? — Ich?
Ja. Sie sprachen von dem seltsamen Tode Valentines.
Nun, versetzteBeauchamp, sind Sie nicht neugierig, zu erfahren, warum man so plötzlich in dem Hause von Villefort stirbt?
Wahrhaftig! sagte Debray, ich verliere dieses seit drei Monaten von Trauer erfüllte Haus nicht aus dem Auge.
Ei! meine Herren, fuhrBeauchamp fort, wenn man in Villeforts Hause so plötzlich stirbt, so kann dies nur sein, weil ein Mörder dort ist.
Diebeiden jungen Leutebebten, denn es war ihnen mehr als einmal derselbe Gedanke gekommen.
Und wer ist dieser Mörder? fragten sie gleichzeitig.
Der junge Eduard.
Ein schallendes Gelächter der Zuhörerbrachte den Redner durchaus nicht aus der Fassung, und er fuhr fort: Ja, meine Herren, der junge Eduard, ein Kind, das man als ein Phänomen zubetrachten hat, denn esbringtbereits alles um.
Das ist ein Scherz.
Keineswegs; ich habe gestern einenBedienten angenommen, derbei Villefort ausgetreten ist. Nun, es scheint, das liebe Kind hat sich ein Fläschchen mit einem gewissen Stoff verschafft undbedient sich seiner denen gegenüber, die ihm nicht gefallen. Zuerst war er mit Papa und Mama Saint‑Meran unzufrieden und flößte ihnen drei Tropfen von seinem Elixir ein; drei Tropfen genügen. Dann kam derbraveBarrois, ein alter Diener, an die Reihe, derbisweilen den liebenswürdigen Jungen hart anließ. Endlich hatte er es auf Valentine abgesehen; diese ließ ihn zwar nicht hart an, aber er war eifersüchtig auf sie; er flößte also auch ihr die drei Tropfen ein, und für sie, wie für die andern, war alles vorbei.
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