Als die Frühstücksstunde gekommen war, erschien der Staatsanwalt nichtbei Tische.
Der Kammerdiener kehrte in sein Kabinett zurück und meldete: Die gnädige Frau läßt dem Herrn Staatsanwalt sagen, es habe elf geschlagen, und die Sitzung sei auf zwölf Uhrbestimmt.
Nun! Und? rief Villefort.
Die gnädige Frau hat ihre Toilette gemacht; sie istbereit und läßt fragen, obsie den Herrn Staatsanwalt in den Justizpalastbegleiten werde, da sie sehr wünsche, dieser Sitzungbeizuwohnen.
Ah! sie wünscht das! versetzte Villefort mit schrecklichem Tone.
Der Kammerdiener wich einen Schritt zurück und erwiderte: Will der Herr Staatsanwalt allein dahin fahren, so werde ich es der gnädigen Frau sagen.
Villefortbliebeinen Augenblick stumm, er grubmit seinen Nägeln in seinebleiche Wange, von der sein ebenholzschwarzerBart stark abstach, ehe er erwiderte: Sagen Sie der gnädigen Frau, ich wünsche sie zu sprechen undbitte sie, mich in ihrem Zimmer zu erwarten. Dann kommen Sie zurück, um mich zu rasieren und anzukleiden.
Auf der Stelle.
Der Kammerdiener verschwand und erschien sofort wieder, rasierte Villefort und kleidete ihn in feierliches Schwarz. Als er damit fertig war, sagte er: Die gnädige Frau läßt sagen, sie erwarte den Herrn Staatsanwalt, sobald er angekleidet sei.
Ich komme, versetzte Villefort, und wandte sich, die Akten unter dem Arme, den Hut in der Hand, zu den Zimmern seiner Frau.
Frau von Villefort saß auf einer Ottomane undblätterte mit Ungeduld in den Zeitungen undBroschüren, die der junge Eduard zu seinerBelustigung in Stücke zerriß, ehe seine Mutter Zeit gehabt hatte, ihre Lektüre zu vollenden.
Sie war völlig zum Ausgehen gekleidet; ihr Hut lag daneben, und sie hattebereits die Handschuhe angezogen.
Ah! Hier sind Sie, mein Herr, sagte sie mit ihrer natürlichen, ruhigen Stimme. Mein Gott!! Wiebleich sehen Sie aus! Sie haben also abermals die ganze Nacht hindurch gearbeitet? Nun! Nehmen Sie mich mit, oder soll ich allein mit Eduard gehen?
Bei allen diesen FragenbliebHerr von Villefort kalt und stumm, wie eineBildsäule, und sagte nur, einen gebieterischenBlick auf das Kind heftend: Eduard, spiele im Garten, ich habe mit deiner Mutter zu reden.
Frau von Villefortbebtebei diesem kalten Wesen und dem entschiedenen Tone ihres Mannes. Eduard schaute seine Mutter an; als er sah, daß sie denBefehl des Herrn von Villefort nicht wiederholte, fing er an, seinenbleiernen Soldaten die Köpfe abzuschneiden.
Eduard, rief Herr von Villefort mit so hartem Ausdruck, daß das Kind auf denBoden sprang, verstehst du mich? Vorwärts!
An eine solcheBehandlung nicht gewöhnt, richtete sich das Kind auf, erbleichte und entfernte sich.
Herr von Villefort folgte ihmbis zur Tür und schloß diese, als Eduard hinausgegangen war, mit dem Riegel.
Oh! mein Gott! rief die junge Frau, indem sie ihrem Gattenbis in die Tiefe der Seele schauen wollte und zu lächeln versuchte, was wollen Sie denn?
Wo verwahren Sie das Gift, dessen Sie sich gewöhnlichbedienen? sprach scharf und ohne Einleitung der Staatsanwalt.
Frau von Villefort empfand, was die Lerche empfinden muß, wenn sie den Hühnergeier seine mörderischen Kreise über ihrem Kopfe immer enger ziehen sieht.
Ein heiserer, gebrochener Ton, der weder ein Schrei, noch ein Seufzer war, kam aus derBrust der Frau von Villefort, und leichenblaß erwiderte sie: Mein Herr… ich verstehe Sie nicht.
Dann erhobsie sich in einem Anfall des Schreckens… doch in einem zweiten Anfall, der offenbar noch heftiger als der erste war, fiel sie wieder auf die Kissen ihrer Ottomane zurück.
Ich fragte sie, fuhr Herr von Villefort mit vollkommen ruhigem Tone fort, wo Sie das Gift verbergen, mit dessen Hilfe Sie meinen Schwiegervater, Herrn von Saint‑Meran, meine Schwiegermutter, Barrois und meine Tochter Valentine umgebracht haben.
Oh! mein Herr, rief Frau von Villefort, die Hände faltend, was sagen Sie da?
Sie haben mich nicht zu fragen, sondern nur zu antworten.
Habe ich dem Richter oder dem Gatten zu antworten? stammelte Frau von Villefort.
Dem Richter.
Es war ein furchtbares Schauspiel: dieBlässe dieser Frau, die Angst in ihrenBlicken, das Zittern ihres ganzen Körpers. Ah! mein Herr! murmelte sie, ah! mein Herr!
Sie antworten nicht! rief der furchtbare Frager. Dann fügte er mit einem Lächeln hinzu, das noch schrecklicher war, als sein Zorn: Sie leugnen also nicht!
Frau von Villefort machte ein: Bewegung.
Und Sie könnten auch nicht leugnen, fuhr Herr von Villefort fort, indem er die Hand ausstreckte, als wollte er sie im Namen der Gerechtigkeit festnehmen. Sie haben diese verschiedenen Verbrechen mit einer unverschämten Geschicklichkeit verübt, die jedoch nur Leute täuschen konnte, die aus Liebe geneigt waren, Ihnen gegenüberblind zu sein. Seit dem Tode der Frau von Saint‑Meran wußte ich, daß ein Giftmischer in meinem Hause war, Herr d'Avrigny hatte mich davon in Kenntnis gesetzt; nach dem TodeBarrois' fiel mein Verdacht, Gott verzeihe es mir! auf jemand, auf einen Engel. Doch nach Valentines Tode gabes keinen Zweifel mehr für mich, und nicht allein für mich, sondern auch für andere. So wird Ihr Verbrechen, nunmehr zwei Personenbekannt, öffentlich werden; und es ist, wie ich Ihnen soeben sagte, nicht mehr der Gatte, der zu Ihnen spricht, sondern ein Richter.
Ihr Gesicht in ihren Händen verbergend, stammelte die junge Frau: Oh! Herr, ich flehe Sie an, glauben Sie nicht dem Scheine!
Sollten Sie feig sein? rief Villefort mit verächtlichem Tone. In der Tat, ich habe stets wahrgenommen, daß die Giftmischer feig sind. Sollten Sie feig sein, Sie, die Sie den gräßlichen Mut gehabt haben, zwei Greise und ein junges Mädchen, von Ihnen ermordet, vor Ihren Augen verscheiden zu sehen?
Herr! Herr!
Sollten Sie feig sein, fuhr Villefort mit wachsender Heftigkeit fort, Sie, die Sie die Minuten von vier Todeskämpfen eine um die andere gezählt? Sie, die Sie mit einer so wunderbaren Geschicklichkeit und Sorgfalt Ihre höllischen Pläne entworfen und Ihre schändlichen Getränke eingerührt haben? Sie, die Sie alles so gutberechnet, sollten eins nichtberechnet haben, nämlich, wohin Sie die Enthüllung Ihrer Verbrechen führen konnte, führen mußte? Oh! das ist unmöglich, und Sie haben ein Gift, süßer, feiner, tödlicher als die anderen, aufbewahrt, um der Ihnen gebührendenBestrafung zu entgehen… Sie haben dies getan, wenigstens hoffe ich es.
Frau von Villefort rang ihre Hände und fiel auf die Knie.
Ich weiß es wohl… ich weiß es wohl, sagte Herr von Villefort, Sie gestehen; doch ein Geständnis, den Richtern abgelegt, ein Geständnis im letzten Augenblick, ein Geständnis, wenn man nicht mehr leugnen kann, ein solches Geständnis mildert in keinerBeziehung die Strafe, die über den Schuldigen verhängt werden muß.
Die Strafe! rief Frau von Villefort, Strafe! Es ist schon das zweite Mal, daß Sie dieses Wort aussprechen!
Allerdings. Glaubten Sie zu entkommen, weil Sie viermal schuldig waren? Glaubten Sie, weil Sie die Frau dessen sind, der die Strafe fordert, würde diese Strafe ausbleiben? Nein, nein! Die Giftmischerin, wer sie auch sein mag, erwartet das Schafott, besonders Sie, wie ich Ihnen soeben sagte, die nicht dafürbesorgt gewesen ist, einige Tropfen von ihrem sichersten Gifte aufzubewahren!
Frau von Villefort stieß einen wilden Schrei aus, und der häßliche, unbezähmbare Schreckenbemächtigte sich ihrer verstörten Gesichtszüge.
Oh! fürchten Sie das Schafott nicht, sagte der Staatsanwalt, ich will Sie nicht entehren, denn das hieße mich selbst entehren; nein, im Gegenteil, wenn Sie mich recht gehört haben, müssen Siebegreifen, daß Sie nicht auf dem Schafott sterben können.
Nein, ich habe nichtbegriffen; was wollen Sie sagen? stammelte völlig niedergeschmettert die unglückliche Frau.
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