Ich ahnte, weshalb sie mich mitnahm. Sie wollte ihr Benehmen vom Anfang wiedergutmachen. Ich hätte eigentlich keine große Lust gehabt mitzugehen, was sollte ich da schon. Aber heute abend hätte ich nach allem gegriffen, um nicht im Hotel sitzen zu müssen. Im Gegensatz zu Natascha Petrowna war es für mich kein Platz der Abenteuer. In dieser Nacht schon gar nicht.
«Sollen wir ein Taxi nehmen?«fragte ich vor der Tür.
Sie lachte.»Im Hotel Reuben nimmt man kein Taxi. Das weiß ich noch. Es ist nicht weit. Und solch ein schöner Abend! Diese Nächte von New York! Ich bin nicht für das Leben auf dem Lande geboren. Sie?«
«Das weiß ich wirklich nicht.«
«Haben Sie nie darüber nachgedacht?«
«Nie«, sagte ich. Wann hätte ich solche Luxusgedanken haben können. Ich war immer froh, daß ich überhaupt lebte.
«Dann haben Sie ja noch einiges vor sich«, erwiderte Natascha Petrowna. Sie steuerte gegen den Strom der Fußgänger wie ein schmales Segelschiff, und ihr Profil unter dem violetten Turban wirkte auch wie das einer Galionsfigur, die gegen die See kämpft, ruhig, am Bug erhöht, umspritzt vom Gischt und hingegeben an die Fahrt. Sie ging schnell, mit so weiten Schritten, daß ihr Rock zu engschien. Sie trippelte nicht, und sie holte tief Atem. Mir fiel ein, daß ich das erste Mal in Amerika so mit einer Frau ging, und ich spürte es.
Sie wurde empfangen wie ein Kind, das lange verloren war. Ein halbes Dutzend Leute war in dem riesigen, kahlen Zimmer, das Scheinwerfer erhellten und in dem verschiebbare helle Wände standen. Der Photograph und zwei andere Männer umarmten und küßten sie, eine Wolke von Gesprächsfetzen flirrte auf, zwischendurch wurde ich vorgestellt, Wodka, Scotch und Zigaretten wurden herumgereicht, und ich fand mich in einem Sessel, etwas abseits des Getümmels und vergessen.
Dafür entfaltete sich vor mir ein Bild, das ich noch nicht kannte. Große Kartons mit Kleidern wurden ausgepackt, hinter einen Vorhang gebracht und wieder hervorgeholt. Eine intensive Debatte darüber begann, was zuerst photographiert werden sollte. Außer Natascha Petrowna waren noch zwei Mannequins da, ein blondes und ein dunkles, die sehr schön waren, mit ihren hohen Absätzen und silbernen Schuhen.
«Die Mäntel zuerst«, erklärte eine energische Frau.
«Nein, erst die Abendkleider«, protestierte der Photograph, ein sandhaariger, dünner Mann, der eine goldene Kette als Armband trug.»Sie zerdrücken sonst.«
«Ihr braucht sie ja nicht unter den Mänteln anzuziehen. Die Mäntel müssen als erstes zurück. Besonders die Pelze. Die Firma wartet darauf.«
«Also gut! Das Pelzcape zuerst!«
Eine neue Debatte, wie es photographiert werden solle. Ich horchte darauf, ohne zu hören. Die heitere Aufregung und die Intensität, mit der jeder seine Ansichten klarmachte, hatten etwas von einer Bühnenaufführung an sich. Ich hätte mir den Sommer nachtstraum so ähnlich denken können oder ein Stück aus dem Rokoko, den Rosenkavalier oder eine Posse von Nestroy — nur daß hier alles von großer Wichtigkeit war. Man ereiferte sich, und darum hatte es so erstaunliche Ähnlichkeiten mit einem Bal lett und war so unwirklich. Jeden Augenblick konnte Oberon mit Flörnerschall auftreten. Plötzlich sammelten sich die Scheinwer fer auf einer weißen Wand, neben die eine riesige Vase mit künstlichen Ritterspornen herangeschleppt wurde. Das Manne quin mit den silbernen, hohen Absätzen kam in einem beigefar benen Pelzcape heraus. Die Direktrice zupfte und glättete, zwei Scheinwerfer, die niedriger waren als die ändern, flammten auf und die Frau erstarrte, als hätte man auf sie geschossen.
«Gut!«rief Nicky.»Noch einmal, Darling!«
Ich lehnte mich zurück. Es war gut, daß ich mitgegangen war, dachte ich. Es hätte mir gar nichts Besseres passieren können.
«Jetzt Natascha«, sagte jemand.»Den Breitschwanzmantel.«
Sie stand auf einmal da, schmal und fest in einen schwarzen, glänzenden Mantel gewickelt, eine Art Baskenmütze aus dem selben dünnen, glänzenden Fell auf dem Kopf.
«Perfekt!«rief Nicky.»Halte es so wie jetzt!«
Er scheuchte die Direktrice weg, die ändern wollte.»Später. Wir machen noch mehr Aufnahmen. Diese zunächst mal ohne Pose. «Die Seitenscheinwerfer suchten das kleine Gesicht. Die Augen wirkten hellblau und glänzten wie Sterne in dem starken Licht von allen Seiten.»Jetzt«, sagte Nicky.
Natascha Petrowna erstarrte nicht wie die beiden anderen Man nequins. Sie blieb einfach stehen, als hätte sie sich schon vorher nicht bewegt.»Gut«, erklärte Nicky.»Und jetzt den Mantel offen!«
Sie hob ihn an, als wären es zwei Schmetterlingsflügel. Der Mantel, der vorher so schmal ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit sehr weit, innen weiß gefüttert mit einem Muster aus sehr gro ßen, grauen Karrees.»Halte ihn so«, rief Nicky.»Wie ein Nachtpfauenauge, weit gespreizt. So ist es richtig!«
«Wie gefällt es Ihnen hier?«fragte jemand neben mir.
Es war ein bleicher, schwarzhaariger Mann mit sonderbar glänzenden Kirschenaugen.
«Großartig«, erwiderte ich aufrichtig.
«Wir haben natürlich nicht mehr die Sachen von Balenciaga und den großen französischen Couturiers zur Verfügung. Das ist lei der eine Folge des Krieges«, sagte der Mann mit einem leisen Seufzer.»Aber Mainbocher und Valentina können sich auch sehen lassen, wie?«
«Absolut«, sagte ich, ohne zu wissen, wovon er redete.
«Na, hoffentlich ist das alles bald vorbei, damit wir wieder erst klassige Stoffe kriegen. Diese Seiden aus Lyon…«
Der Mann erhob sich, es wurde nach ihm gerufen. Ich fand es gar nicht solächerlich, daß das auch ein Grund war, den Krieg zum Teufel zu wünschen, im Gegenteil: Während ich so dasaß, fand ich, es sei einer der vernünftigsten.
Die Abendkleider wurden photographiert. Plötzlich stand Natascha Petrowna vor mir. Sie trug ein weißes, langes und sehr enges Kleid, das die Schultern freiließ.»Langweilen Sie sich sehr?«fragte sie.
«Nein, im Gegenteil«, sagte ich etwas verwirrt und starrte sie an.»Es geht sogar so weit, daß ich an freundlichen Halluzinationen zu leiden beginne. Ich glaube, das Diadem, das Sie tragen,heute nachmittag im Schaufenster von van Cleef und Arpels ge sehen zu habisn. Das ist doch unmöglich.«
Natascha lachte.»Sie haben gute Augen.«
«Ist es wirklich dasselbe?«
«Ja. Die Zeitschrift, für die wir Aufnahmen machen, hat es aus geliehen. Dachten Sie, ich hätte es gekauft?«
«Weiß der Himmel! Heute nachtscheint mir allesmöglich zu sein. Ich habe noch nie so viele Kleider und Pelze zusammen gesehen.«»Was hat Ihnen am besten gefallen?«
«Vieles. Vielleicht das weite, lange, schwarze Samtcape, das Sie trugen. Es könnte von Balenciaga sein!«
Sie drehte sich um und sah mich scharf an.»Es ist von Balenciaga! Sind Sie ein Spion?«
«Ein Spion? Dafür hat man mich noch nie gehalten. Für welches Land?«
«Für die Konkurrenz. Ein anderes Haus. Sind Sie aus der Branche? Wie können Sie sonst wissen, daß das Cape von Balenciaga ist?«
«Natascha Petrowna«, sagte ich feierlich.»Ich schwöre, daß mir vor zehn Minuten der Name Balenciaga noch völlig unbekannt war. Ich hätte geglaubt, es sei eine Automarke. Der bleiche Herr dort drüben hat ihn mir zum erstenmal genannt. Allerdings hat er gesagt, Kleider von Balenciaga kämen nicht mehr herüber. Da habe ich einen Scherz gemacht.«
«Und haben getroffen! Das Cape ist wirklich von Balenciaga. Herübergebracht in einem Bomber. Einer Fliegenden Festung. Hereingeschmuggelt.«
«Eine herrliche Verwendung für Bomber. Wenn das üblich wird, ist das goldene Zeitalter angebrochen.«
«So, Sie sind kein Spion! Eigentlich schade. Aber es scheint, daß man bei Ihnen aufpassen muß. Sie kombinieren schnell. Haben Sie genug zu trinken?«
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