Von weitem schon winkte Guillaume mit der Schwerthand, um seine friedliche Absicht zu bekunden. Der Anführer des anderen Trupps erwiderte die Geste, und schon wenig später standen sie einander gegenüber.
»Seid gegrüßt«, rief Guillaume, während er sein Pferd mit brutaler Gewalt zum Stehen brachte. »Mit wem habe ich die Ehre?«
»Hugh le Chasseur in den Diensten Herzog Godefroys de Bouillon«, erwiderte der schwarzbärtige Ritter, der keinen Helm, sondern nur eine Kapuze aus Kettengeflecht trug.
»Lothringer demnach«, erwiderte Guillaume nicht ohne Geringschätzung – Bouillon war der Letzte gewesen, der Antiochia verlassen und sich dem Zug nach Jerusalem angeschlossen hatte, und er gehörte zu Graf Raymonds erbittertsten Gegnern.
»So ist es«, erwiderte le Chasseur stolz, der fraglos von niederem Adel war, sich jedoch im Kampf ausgezeichnet zu haben schien. »Ist es auch erlaubt zu fragen, wer Ihr seid?«
»Guillaume de Rein«, eröffnete Guillaume, um mit einem überheblichen Augenaufschlag hinzuzufügen: »Dies sind meine Gefolgsleute.«
»Was ist Euer Ziel?«
»Das Umland zu erkunden«, gab Guillaume ausweichend zur Antwort. Er sah keine Notwendigkeit, einem Ritter von niederer Herkunft Auskünfte zu erteilen. »Und Ihr, Monsieur?«
»Auch wir wurden ausgeschickt, das Umland zu erkunden«, entgegnete der Lothringer mit einem Grinsen, das fast als unverschämt zu werten war. Guillaume fühlte Unmut.
»Und? Habt Ihr etwas entdeckt?«
»Nichts. Nichts, worüber zu berichten sich lohnen würde.«
Guillaume biss sich auf die Lippen. Ein Gefühl sagte ihm, dass Hugh der Jäger ihn belog. Ganz sicher trug er seinen Namen nicht von ungefähr, und auch wenn er noch so fest behauptete, dass seine Erkundung ereignislos verlaufen war – die prall gefüllten Beutel an den Sätteln der Lothringer sagten etwas anderes.
»Was habt Ihr da?«, fragte Guillaume mit Blick auf die Satteltaschen.
»Proviant«, war die Antwort.
»Wie lange seid Ihr schon unterwegs?«
»Zwei Tage.«
»Und trotzdem sind eure Proviantbeutel noch so gut gefüllt?«
»Wir Lothringer sind eben sparsame Menschen«, erwiderte Hugh und setzte wieder das alte Grinsen auf. Auch einige seiner Leute lachten, und Guillaume überlegte, was er tun sollte.
Für ihn stand fest, dass der Jäger und seine Soldaten unterwegs auf Muselmanen getroffen waren, die sie überfallen und ausgeraubt hatten. Vermutlich war es Beute, die ihre Sattelbeutel zum Zerreißen dehnte. Natürlich hätte Guillaume sie ihnen abnehmen können oder darauf bestehen, sie zu teilen – immerhin verfügte er über doppelt so viele Männer. Aber er entschied sich dagegen. Eine direkte Konfrontation barg Risiken, und solange nicht wenigstens erwiesen war, dass sich diese auch lohnten …
»Gott mit Euch, Hugh le Chasseur«, sagte er deshalb und hob die Hand zum Abschiedsgruß.
»Gott auch mit Euch, Herr«, erwiderte der Lothringer, und beide hätten ihrer Wege gehen können – hätte nicht in diesem Moment etwas Guillaumes Aufmerksamkeit geweckt. Denn als der Jäger seine Rechte zum Gruß hob, sah Guillaume etwas Rotes daran blitzen.
»Was habt Ihr da?«, fragte Guillaume.
»Was meint Ihr?«
»Der Ring an Eurer Hand.«
Hugh lächelte stolz. »Ein schönes Stück, nicht wahr?«
»Allerdings. Woher habt Ihr es?«
Das Lächeln des Lothringers verschwand. »Als Gefolgsmann Bouillons bin ich Euch keine Rechenschaft schuldig, Herr. Aber ich will Euch verraten, dass ich diesen Rubin aus dem Besitz eines abtrünnigen Mönchs habe, der seinen Glauben verraten hat und in Rugia Geschäfte mit den Heiden machen wollte. Er hatte den Tod hundertfach verdient.«
Von der Hand eines Mönchs.
Guillaumes Gedanken jagten sich.
Er war sicher, den Ring seines Vaters vor sich zu haben – jenen Ring, den Renald de Rein dem Angelsachsen Conwulf geschenkt hatte, um ihn, Guillaume, zu demütigen.
Wie aber mochte das Kleinod in den Besitz jenes verräterischen Mönchs gelangt sein, von dem der Lothringer sprach? Doch wohl nur dadurch, dass er ihn nach den Kämpfen um Antiochia von des Angelsachsen kalter Hand gezogen hatte. Natürlich, so musste es gewesen sein! Ihrem Armutsgelübde zum Trotz hatten sich viele Mönche in jenen Tagen an den Toten bereichert, warum also nicht auch dieser? Und es bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass der Angelsachse nicht mehr unter den Lebenden weilte!
Die Nachricht versetzte Guillaume in Hochstimmung, und er brannte darauf, den Ring wieder in seinen Besitz zu nehmen. Nicht so sehr seines Wertes wegen, sondern um ihn Renald de Rein zu präsentieren, der doch so große Stücke auf den Angelsachsen gehalten hatte.
»Ich erkenne jenen Ring wieder«, erklärte er deshalb schlicht. »Er befand sich einst in meinem Besitz.«
»Das ist Pech für Euch, Herr«, entgegnete Hugh le Chasseur, »denn der Ring hat seinen Besitzer gewechselt und gehört nun mir.«
»Dennoch ersuche ich Euch, ihn an mich auszuhändigen. Ich musste ihn lange Zeit entbehren und möchte ihn wiederhaben.«
»Nein«, antwortete der Lothringer mit dem Wort, das Guillaume von allen am meisten verabscheute.
»Ist das Euer letztes Wort?«
»Allerdings, Herr«, bekräftigte Hugh le Chasseur mit fester Stimme – und sprach damit sein eigenes Todesurteil.
Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Guillaume, dass seine Männer bereitstanden. Kaum merklich nickte er Bernier und den anderen zu, dann handelte er.
Blitzschnell zuckte die Linke zum Gürtel und zog den Dolch, den er seinem Gegner in einer einzigen fließenden Bewegung in die Brust rammen wollte. Doch das Reaktionsvermögen des Lothringers war durch unzählige überstandene Kämpfe gestählt, und so fing er Guillaumes Klinge auf halbem Weg ab. Augenblicke lang rangen die beiden Anführer miteinander, jeder von seinem Sattel aus und unter den Blicken ihrer verblüfften Männer.
»Verdammt«, rief Guillaume, »worauf wartet ihr?« – und ein Pfeil flog heran und bohrte sich in den Hals des Jägers.
Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass er nach hinten gerissen wurde und aus dem Sattel kippte. Entsetzt schauten die Lothringer auf ihren getroffenen Anführer, während Guillaumes Leute die Schwerter zückten und auf sie einschlugen.
Guillaume selbst beteiligte sich nicht an dem Gemetzel.
Keuchend stieg er aus dem Sattel und trat zu seinem Gegner, der sich am Boden wand und vergeblich versuchte, den Fremdkörper aus seinem Hals zu ziehen. Guillaume trat mit dem Fuß auf seine Schulter und hielt ihn nieder, dann packte er die rechte Hand des Ritters, zog ihm den Ring vom Finger und steckte ihn sich selbst an.
»Lernt daraus, Jägersmann«, belehrte er den Sterbenden, während er den Rubin so in die Sonne hielt, dass sich das Licht darin brach und den Stein funkeln ließ. »Niemand sollte versuchen, mir etwas streitig zu machen.«
Feldlager der Kreuzfahrer, Akkar
Zur selben Zeit
Renald de Rein war ein Fremder geworden.
Ein Fremder in seinem eigenen Zelt.
Sein Weib war gefühllos wie ein Stein, sein Sohn (oder vielmehr der Bursche, den er zeitlebens als seinen Sohn ausgegeben hatte) ein selbstsüchtiger Geck, der mehr nach seiner Mutter kam, als es Renald je bewusst gewesen war. Um ihrer Gesellschaft zu entgehen, hatte der Baron die Nähe anderer Edler gesucht und sich an der Seite Bohemunds von Tarent einiges Ansehen erstritten. Doch Bohemund und seine Männer waren in Antiochia zurückgeblieben, anders als Renald, dem nichts anderes übrig blieb, als der Schlange und ihrer Brut zu folgen, wollte er nicht riskieren, dass sie das Geheimnis von Guillaumes Herkunft offenbarten und den Baron zudem auch des Mordes an seinem Bruder bezichtigten. Beides hätte seinen Namen und seine Ehre auf alle Zeit vernichtet.
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