Die Plebs hatte ihre eigene Versammlung, an der kein Patrizier teilnehmen durfte, und zehn Volkstribunen vertraten die Interessen der Plebs gegenüber dem Senat. Sie wurden jedes Jahr neu gewählt. Genau das war ja so lästig am römischen Staat: Die Beamten dienten alle nur ein Jahr, mit anderen Worten, sie mußten jedes Jahr aufs neue bestochen werden.
Nein, die Volkstribunen hatten kein imperium , sie galten nicht als hohe Beamte und schienen überhaupt keinen nennenswerten Einfluß zu haben. Trotzdem waren sie zum wichtigsten Glied im Magistrat geworden, denn sie allein hatten das Vetorecht. Ein Volkstribun konnte sein Veto gegenüber einem Zensor, einem Konsul, einem Prätor, dem Senat und den neun anderen Volkstribunen einlegen, aber auch in Sitzungen, Versammlungen oder bei Wahlen. Nur ein Diktator konnte sich über ihr Veto hinwegsetzen, aber seit fast hundert Jahren hatte es keinen Diktator mehr gegeben.
Dieses System sollte natürlich der gegenseitigen Kontrolle dienen und verhindern, daß eine einzelne Person oder ein Gremium zuviel politische Macht an sich zog. Wäre das politische Verantwortungsbewußtsein der Römer ausgeprägter gewesen, das System hätte vielleicht funktioniert. Doch die Römer verstanden sich hervorragend darauf, auf scheinbar legale Weise die eigenen Gesetze zu umgehen.
König Jugurtha kaufte sich also einen Volkstribunen, Gaius Baebius mit Namen - im Grunde ein unbedeutender Mann, der weder einer der großen Familien angehörte noch besonders reich war. Aber Gaius Baebius war rechtmäßig gewählter Volkstribun, und als sich ein Strom von Silberdenaren vor ihm auf den Tisch ergoß, schaufelte er den unerwarteten Geldsegen wortlos in ein Dutzend großer Säcke. Damit war er Eigentum des Königs von Numidien.
Gegen Ende des alten Jahres berief Gaius Memmius die große Versammlung der Plebs im Circus Flaminius ein und lud Jugurtha vor. Als die Massen erwartungsvoll verstummt waren, stellte Gaius Memmius seine erste Frage.
»Hast du Lucius Opimimus bestochen?«
Bevor der König den Mund aufmachen konnte, sprang Gaius Baebius auf. »Ich verbiete dir, auf diese Frage zu antworten, König Jugurtha! «
Ein Veto! Ein Volkstribun hatte Jugurtha verboten, zu antworten, deshalb durfte er nach dem Gesetz nichts mehr sagen. Die Versammlung löste sich auf, und murrend zogen Tausende von Zuschauern wieder nach Hause. Gaius Memmius war so wütend, daß seine Freunde ihn mit Gewalt hinausführen mußten, während Gaius Baebius sich mit einer Unschuldsmiene umsah, die ihm niemand glaubte.
Der Senat hatte Jugurtha jedoch nicht erlaubt, nach Hause zurückzukehren, und so saß er an diesem Neujahrstag in seiner überteuerten Mietvilla und verfluchte Rom und die Römer. Keiner der neuen Konsuln hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er an einer privaten Zuwendung interessiert sei. Von den neuen Prätoren war es keiner wert, gekauft zu werden, und auch die neuen Volkstribunen schienen wenig vielversprechend.
Aber er konnte doch nicht einfach herumsitzen und warten, während sein Königreich von gierigen Thronanwärtern belagert wurde. Gauda, der legitime Sohn Mastanabals, und Massiva, der Sohn Gulussas, erhoben Anspruch auf den Thron, und sie waren beileibe nicht die einzigen. Er mußte unbedingt nach Hause zurück. Doch wenn er ohne die Erlaubnis des Senats Rom verließ, konnte das als kriegerischer Akt gewertet werden. Wie seine Agenten ihm berichtet hatten, war Marcus Aemilius Scaurus äußerst erbost über das Veto, und Marcus Aemilius Scaurus hatte großen Einfluß im Senat. Er hatte es schon einmal ganz allein geschafft, den Senat umzustimmen.

Schweigend saß Bomilkar da und wartete darauf, daß sein Halbbruder Jugurtha aus seinen Gedanken erwachen würde. Er hatte ihm Neuigkeiten mitzuteilen, aber in dieser Stimmung wagte er nichts zu sagen. Ein großartiger Mann, dieser Jugurtha, geradezu ein Genie! Wie schwer hatte seine niedere Herkunft auf seinem Leben gelastet. Warum war die Herkunft auch so wichtig? Immerhin floß in Jugurtha das punische Blut der numidischen Aristokratie! Ebenso präsent war freilich das Berberblut seiner blonden Mutter: Von ihr hatte er die hellgrauen Augen geerbt, die gerade Nase, das schmale, hagere Gesicht und den hohen Wuchs. Von seinem punischen Vater Mastanabal stammten die dichten schwarzen Locken, die ausgeprägte dunkle Körperbehaarung, die dunkle Haut und der kräftige Körperbau. Die numidische Oberschicht, durch jahrhundertelange Beziehungen zu Griechenland hellenisiert, kleidete sich in griechische Gewänder, die Jugurtha freilich nicht recht stehen wollten. Am besten sah er hoch zu Roß in Helm, Harnisch und Beinschienen aus, das Schwert gegürtet. Ein Jammer, daß die Römer den König noch nie als Krieger gesehen hatten, dachte Bomilkar und erschauderte gleichzeitig bei dem Gedanken. Es war eine Herausforderung des Schicksals, an Krieg zu denken! Am besten opferte er gleich morgen der Göttin Fortuna und betete, daß die Römer Jugurtha nie im Kriegsstaat zu Gesicht bekommen würden.
Der König lehnte sich zurück, seine Züge entspannten sich. Schrecklich, ihn aus dieser harterkämpften inneren Ruhe herausreißen und mit neuen Sorgen belasten zu müssen.
»Mein König?« fragte Bomilkar vorsichtig.
Sofort richteten sich die grauen Augen auf ihn. »Ja?«
»Gestern kam mir im Haus des Quintus Caecilius Metellus ein Gerücht zu Ohren.«
Damit traf er Jugurtha an einer empfindlichen Stelle: Bomilkar konnte in Rom gehen, wohin er wollte, denn er war kein König. Bomilkar wurde zum Essen eingeladen, Jugurtha nicht.
»Was für ein Gerücht?« fragte der König höflich.
»Massiva ist in Rom aufgetaucht. Schlimmer noch, er hat den Konsul Spurius Postumius Albinus für seine Sache einspannen können. Albinus soll eine Petition im Senat einbringen.«
Überrascht richtete sich der König auf und rückte den Stuhl so, daß er Bomilkar direkt in die Augen sehen konnte. Massiva war einer von denen, die ihm den Thron streitig machten. »Ich habe mich schon gefragt, wohin sich dieser erbärmliche Wurm verzogen hat. Nach Rom also. Aber wie kommt Albinus ausgerechnet auf ihn? Er müßte doch wissen, daß ich viel mehr bezahlen kann als Massiva.«
»Ich vermute, sie haben eine Abmachung getroffen, die davon ausgeht, daß Albinus Statthalter der Provinz Africa wird. Während du hier in Rom hockst, zieht Albinus mit einer netten kleinen Armee nach Africa, marschiert kurz über die Grenze nach Cirta und - hoch lebe König Massiva von Numidien!«
»Ich muß nach Hause!« rief der König verzweifelt.
»Ich weiß! Aber wie willst du das anstellen?«
»Glaubst du nicht, ich kann Albinus doch noch auf meine Seite ziehen? Ich habe immer noch Geld flüssig, und ich kann noch mehr beschaffen! «
Energisch schüttelte Bomilkar den Kopf. »Der neue Konsul kann dich nicht leiden. Du hast versäumt, ihm zu seinem Geburtstag vor einem Monat ein Geschenk zu schicken. Massiva hat das nicht versäumt. Er hat Albinus ein Geschenk geschickt, als dieser zum Konsul gewählt wurde, und ein zweites zu seinem Geburtstag.«
»Daran sind meine verfluchten Agenten schuld!« Jugurtha knirschte mit den Zähnen. »Sie halten mich wahrscheinlich schon für den Verlierer und strengen sich nicht mehr an.« Er biß sich auf die Lippen. »Werde ich verlieren?«
Bomilkar lächelte. »Du? Niemals!«
»Ich weiß nicht... Massiva! Ich hatte ihn schon ganz vergessen. Ich dachte, er sei bei Ptolemaios Apion in Kyrene.« Jugurtha mußte sich sichtlich zusammenreißen. »Vielleicht ist das Gerücht falsch. Wer hat es dir erzählt?«
»Metellus persönlich. Er müßte es eigentlich wissen. Er hört sich überall um, weil er nächstes Jahr Konsul werden will. Er billigt den Handel nicht, auf den Albinus sich eingelassen hat, sonst hätte er mir kein Sterbenswörtchen erzählt. Du kennst doch Metellus - er gehört zu den tugendhaften Römern, Bestechung ist für ihn kein Thema.«
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