Als der junge Adherbal vor sechs Jahren nach Rom geflohen war, hatte Jugurtha sofort gewußt, was er tun mußte. Er hatte eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, beladen mit Gold, Silber, Edelsteinen, Kunstwerken und was sonst noch das Herz eines römischen Patriziers höher schlagen lassen mochte. Interessant, daß man die Römer nicht mit Frauen oder Knaben bestechen konnte. Nur mit handfesten Dingen. Das Ergebnis seiner diplomatischen Bemühungen war den Umständen entsprechend einigermaßen befriedigend ausgefallen.
Die Römer hatten eine Vorliebe für Komitees und Kommissionen, die sie an irgendeinen weit entfernten Punkt der Welt entsandten, damit sie dort in irgendwelchen Dingen ermittelten, Urteile fällten und Abhilfe schafften. Wo andere Staaten einfach mit einer Armee einmarschierten, erschienen die Römer in Zivil, in ihren Togen, lediglich in Begleitung einiger Liktoren. Dann gaben sie Befehle und erwarteten, daß sie befolgt wurden. Und meistens wurden sie befolgt.
Diese Gedanken brachten Jugurtha zu seiner ursprünglichen Frage zurück: Warum fürchtete er die Römer? Vielleicht, weil immer auch ein Marcus Aemilius Scaurus unter ihnen war?
Scaurus war schuld, daß der Senat sich damals, als Adherbal in Rom Beschwerde geführt hatte, gegen Jugurtha ausgesprochen hatte. Eine einzige Stimme gegen dreihundert Senatoren! Aber sie hatte sich durchgesetzt. Scaurus war schuld, daß der Senat sich auf einen Kompromiß festgelegt hatte, der weder für Jugurtha noch für Adherbal annehmbar war: Ein Komitee aus zehn Senatoren sollte unter Leitung des Konsulars Lucius Opimius nach Numidien reisen, vor Ort ermitteln und dann entscheiden, was zu tun sei. Und zu welcher Entscheidung war das Komitee gekommen? Es hatte das Königreich geteilt. Adherbal bekam den östlichen Teil mit Cirta als Hauptstadt, der dichter besiedelt und besser erschlossen war als der Westen, dafür aber nicht so wohlhabend. Die westliche Hälfte ging an Jugurtha, der sich jetzt auf zwei Seiten bedrängt sah: von Adherbal im Osten und vom Königreich Mauretanien im Westen. Zufrieden zogen die Römer wieder ab. Jugurtha aber lag von da an auf der Lauer: Eines Tages mußte Adherbal ihm in die Falle gehen. Um sich nach Westen abzusichern, heiratete er die Tochter des Königs von Mauretanien.
Vier Jahre wartete Jugurtha geduldig, dann griff er Adherbal und dessen Armee zwischen Cirta und dem Hafen der Stadt an. Adherbal wurde geschlagen und mußte sich nach Cirta zurückziehen und sich dort verschanzen. Hilfe bekam er von den vielen einflußreichen römischen und italischen Kaufleuten, die das Rückgrat der numidischen Wirtschaft bildeten.
Natürlich war die Kunde vom Krieg zwischen Jugurtha und Adherbal schnell bis zum Senat nach Rom gedrungen. Der Senat entsandte ein Komitee, bestehend aus drei höflichen jungen Senatorensöhnen. Jugurtha bekam die Gesandten als erster zu fassen, hinderte sie daran, mit Adherbal und den Einwohnern von Cirta Kontakt aufzunehmen, und schickte sie mit wertvollen Geschenken beladen nach Rom zurück.
Dann gelang es Adherbal, einen Hilferuf nach Rom zu schmuggeln Marcus Aemilius Scaurus, der immer noch auf seiner Seite stand, machte sich nun selbst auf und reiste an der Spitze eines weiteren Komitees nach Numidien. Die Lage, die er dort vorfand, war jedoch so angespannt, daß er sich gezwungen sah, seinen Aufenthalt auf die römische Provinz Africa zu beschränken. Unverrichteter Dinge mußte er schließlich nach Rom zurückkehren. Als nächstes griff Jugurtha Cirta an und eroberte die Stadt. Adherbal wurde auf der Stelle hingerichtet, und außerdem ließ Jugurtha in seinem Haß gegen Rom alle römischen und italischen Kaufleute umbringen, die ihm in die Hände fielen. Von da an waren die Römer seine erbitterten Feinde.
Die Kunde über das Massaker von Cirta hatte Rom vor fünfzehn Monaten, im Herbst, erreicht. Der designierte Volkstribun Gaius Memmius hatte auf dem Forum ein solches Geschrei angestimmt, daß die Katastrophe nicht mehr mit Bestechungsgeldern abwendbar schien. Lucius Calpurnius Bestia, der Konsul des nächsten Jahres, wurde beauftragt, zu Beginn seiner Amtszeit nach Numidien zu reisen und Jugurtha unmißverständlich klarzumachen, daß er nicht ungestraft Römer abschlachten könne.
Doch Bestia hatte sich von Jugurtha kaufen lassen. Vor sechs Monaten hatte Jugurtha einen Friedensvertrag mit Rom ausgehandelt und Bestia dreißig Kriegselefanten sowie eine kleine finanzielle Zuwendung für die römische Staatskasse überreicht. Eine weitaus größere Summe war in Bestias private Schatztruhe geflossen. Rom schien zufrieden, und Jugurtha war endlich der unbestrittene König von Numidien.
Gaius Memmius jedoch hatte keine Ruhe gegeben. Tag für Tag hatte er Bestia beschuldigt, Jugurtha gegen Geld den numidischen Thron zugesichert zu haben, und schließlich erreichte er sein Ziel. Der Prätor Lucius Cassius Longinus wurde mit dem Auftrag nach Numidien gesandt, König Jugurtha persönlich nach Rom zu bringen, wo er Gaius Memmius die Namen all derer nennen sollte, die er im Lauf der Jahre bestochen hatte. Besonders gefährlich für Jugurtha war, daß er nicht vor dem Senat aussagen sollte, sondern vor der Volksversammlung.
Als Cassius in Cirta eintraf und seine Botschaft überbrachte, war Jugurtha nichts anderes übriggeblieben, als ihm nach Rom zu folgen. War ihm wirklich nichts anderes übriggeblieben? Warum hatte er solche Angst? Was konnte Rom denn tun? In Numidien einfallen? Die meisten römischen Beamten waren doch ohnehin bestechlich! Die Römer brauchten nur mit dem Finger zu schnippen, und schon eilte der Herrscher eines großen, reichen Landes ihnen zu Diensten. Warum?
Gaius Memmius hatte seine Ankündigung wahrgemacht und im Circus Flaminius eine Versammlung der Plebs einberufen. Der Circus lag außerhalb des pomerium und war ein Gerichtsort, den auch ein gekröntes Staatsoberhaupt wie Jugurtha betreten durfte. Die Volksversammlung sollte interessierten römischen Bürgern aller Schichten Gelegenheit geben, zu hören, was der König von Numidien auf die Fragen des Gaius Memmius antworten würde. Wen hatte er mit welchen Summen bestochen? Die Versammlung war entsprechend gut besucht, die Arena war überfüllt, und die Zuspätgekommenen mußten es sich auf den hölzernen Rängen bequem machen, in der Hoffnung, trotz der großen Entfernung etwas zu verstehen.
Jugurtha hatte seine Verteidigung freilich gut vorbereitet: Er hatte sich einen Volkstribunen gekauft.
Die Volkstribunen standen theoretisch auf der untersten Stufe der Verwaltungs- und Senatshierarchie. Sie hatten kein imperium - ein Wort, für das die numidische Sprache keine Entsprechung hatte. Imperium bedeutete - göttliche Macht auf Erden! Ausgestattet mit ihr, konnte ein einziger Prätor einen mächtigen König zwingen, ihm nach Rom zu folgen. Auch Provinzstatthalter hatten ein imperium , desgleichen Konsuln und sogar einfache Beamte. Der einzige sichtbare Ausdruck des imperium war der Liktor: Liktoren schritten dem Inhaber eines imperium voran und bahnten ihm den Weg. Auf der rechten Schulter trugen sie die fasces , die von roten Bändern zusammengehaltenen Rutenbündel.
Zensoren hatten kein imperium , genausowenig wie plebejische Ädilen oder Quästoren. Auch Volkstribunen hatten keines - für Jugurthas Pläne von großer Bedeutung. Sie waren die gewählten Vertreter der Plebs, jener breiten Masse von Römern, die sich nicht patricii , Patrizier, nennen durften. Die Patrizier gehörten dem alten Adel an, der seine Vorfahren bis auf die Gründungsväter Roms zurückführte. Als vor vierhundert Jahren die Republik entstanden war, hatten nur die Patrizier Macht und Einfluß gehabt. Nach und nach waren auch einige Plebejer zu Geld und Ansehen gekommen und hatten sich den Weg in den Senat und in die Ämterlaufbahn, den cursus honorum , erzwungen. Die Nobilität, der Amtsadel, entstand. Zum Adel gehörte, wer einen Konsul in seiner Familie nachweisen konnte, und niemand konnte einen Plebejer daran hindern, Konsul zu werden.
Читать дальше