»Das weiß ich auch nicht.« Ich hob mein Hemd vom Boden auf. »Aber ich beabsichtige, es herauszufinden.«
»Ich wünschte, er wäre jetzt hier.« Barnaby boxte sich wütend in die Handfläche. »Ich würde diese Schlange schon zum Reden bringen.«
Ich schüttelte den Kopf, die Augen auf sein Gesicht gerichtet. »Wir sind auf grausame Weise benutzt worden, mein Freund. Und du am allermeisten. Deine Hingabe für den König hat in Cecils Spiel regelrecht als Kanonenfutter gedient.« Ich zögerte kurz. »Eine Frage habe ich noch: Hast du Cecil von der Kräuterkundigen erzählt?«
Er wandte die Augen ab. »Ja. Die Sache kam mir eigenartig vor. Warum sollte Northumberland die Leibärzte des Königs hinauswerfen, nur um irgendeine Kräuterhexe aus dem Hut zu zaubern? Als Sidney dann eines Abends Lady Dudley in Edwards Gemächern antraf und mitbekam, wie sie der Kräuterfrau Anweisungen erteilte, fiel mir wieder Cecils Befürchtung ein, der Herzog könnte Edwards Tod beschleunigen. Und was ist wirksamer als Gift? Da hielt ich es für angebracht, ihn darüber zu informieren.«
Mein Herz fühlte sich an, als hätte sich die Hand eines Riesen darum geschlossen. Ich zwang mich zur Ruhe, atmete tief durch, dann zog ich mein Wams und die Stiefel an und setzte die Kappe auf.
»Wohin willst du?«, fragte Barnaby, als ich mir die Satteltasche über die Schulter warf.
»Zur Königin, sie um Erlaubnis zum Aufbruch bitten. Wenn sie mir dies gewährt, habe ich etwas in London zu erledigen.« Ich blickte ihm fest in die Augen. »Versprich mir, dass du gut auf Peregrine aufpasst. Er soll nicht glauben, dass ich ihn verlassen habe, aber ich kann ihn nicht mitnehmen. Ich kann es einfach nicht riskieren, dass sie noch herausfinden, wie viel er mir bedeutet.«
»Mit ›sie‹ meinst du Cecil?«
»Unter anderem.«
»Lass mich mitkommen. Auch ich habe eine Rechnung mit ihm offen.«
Ich ergriff seine Pranke. »Nichts wäre mir lieber. Aber du hilfst mir mehr, wenn du auf Peregrine aufpasst und der Königin zur Seite stehst. Sie mag zwar nicht deinen Glauben teilen, aber wenn sie Männer wie dich zur Seite hat, lernt sie vielleicht, sich beim Regieren zu mäßigen.«
Wir umarmten uns als Freunde. Dann löste ich mich von ihm und schlüpfte aus dem Zimmer.
Ich hatte Cinnabar schon vor dem Eintreffen ihrer Vorladung satteln lassen. Als Rochester in meinem Gemach erschien, um mich zu ihr zu bringen, achtete ich sorgfältig darauf, dass meine Miene nichts als Pflichtbewusstsein und Besorgnis ausdrückte. Mein plötzlicher Wunsch abzureisen, musste zwangsläufig ihr Misstrauen wecken.
Sie wartete im Saal. Ihr schütteres Haar wurde im Nacken von einem Netz zusammengehalten. Ohne ihren Kopfschmuck wirkte sie schmächtig. Der Rosenkranz hing ihr von der Hüfte herab; im Vergleich zum Glitzern der Ringe an ihren Fingern schimmerten seine dunkelroten Perlen nur matt. In jeder anderen Hinsicht schien sie gegen Eitelkeit immun zu sein, sodass mich ihre Vorliebe für Juwelen bestürzte, ohne dass ich mir das erklären konnte.
»Rochester sagt mir, dass Ihr uns verlassen möchtet!«, begann sie, bevor ich mich wieder von den Knien erhoben hatte. »Warum? Entspricht die Unterkunft bei uns nicht Eurem Geschmack?«
»Eure Majestät können versichert sein, dass ich keinerlei Wunsch hege, so bald auf die Straße zurückzukehren, doch meines Wissens beabsichtigt der Herzog, gegen Euch aufzumarschieren. Darum würde ich es für das Klügste halten, Eure Antwort den hohen Herren eher früher als später zu überbringen – vorausgesetzt, Eure Majestät möchten ihnen noch eine zukommen lassen.«
Mit angehaltenem Atem verfolgte ich, wie Marys Blick zu Rochester wanderte und dieser fast unmerklich nickte.
»Das will ich«, sagte sie. »Ich brauche jede Hilfe, die ich bekommen kann, selbst von den verräterischen Lords.«
Im beißenden Ton ihrer Erklärung schwang eine Warnung mit. Sie war keine Frau, die man so leicht durchschauen noch – wie es schien – zufriedenstellen konnte. Was sie in ihrer Jugend erlitten hatte, hatte sie fürs Leben geprägt. Offenbar kannte Elizabeth sie nur zu gut.
»Eure Majestät«, fuhr ich fort, »wenn der Herzog gegen Euch zu Felde zieht, werden die Fürsten Eure Sache mit größerem Wohlwollen betrachten.«
»Ich gebe nichts auf ihr Wohlwollen. Sie wären gut beraten, sich meinen Wünschen zu fügen, sofern sie ihre Köpfe behalten wollen.« Sie schritt zu ihrem Pult, ergriff ein gefaltetes und ein versiegeltes Pergamentdokument und streckte mir beide entgegen. »Das versiegelte ist chiffriert. Wer ein bisschen Erfahrung damit hat, wird den Code kennen. Sagt den Fürsten, dass sie den Anweisungen ohne jede Abweichung zu folgen haben. Das andere Schreiben ist ein Brief an meine Cousine Jane Grey. Prägt ihn Euch ein. Es handelt sich um eine persönliche Mitteilung, die ausschließlich für ihre Ohren bestimmt ist. Wenn Ihr keine absolut verlässliche Form der Übermittlung findet, zerstört Ihr den Brief. Er darf nicht in falsche Hände fallen.«
»Sehr wohl, Eure Majestät.« Damit trug sie mir sehr viel mehr auf, als ich erhofft hatte. Ein einziger Brief würde schon gefährlich genug sein. Nicht auszudenken, was mir bei zweien drohen konnte.
»Ich erwarte in beiden Fällen keine Antwort«, ließ sie mich wissen. »Ich dürfte ohnehin bald genug in London eintreffen. Aber wenn Ihr eine Kunde erhaltet, die mein Vorgehen beeinflussen könnte, ob günstig oder nicht, erwarte ich, umgehend in Kenntnis gesetzt zu werden. Eure Treue jenen gegenüber, die Euch angeworben haben, darf nicht diejenige zu Eurer Königin ersetzen. Habt Ihr verstanden?«
»Selbstverständlich.« Ich wollte mich über ihre Hand beugen, doch sie entzog sie mir. Als ich nach oben schielte, betrachtete sie mich mit einem Ausdruck, als würde sie mich nicht mehr kennen. »Überbringt Master Cecil meine Grüße«, sagte sie kalt. »Auch wenn es nicht in meinen Anweisungen steht, richtet ihm von mir aus, dass er weiß, was er tun muss.«
Ich steckte die Schreiben wortlos ein und entfernte mich in gebeugter Haltung rückwärtsgehend aus dem Saal.
Über der Themse bildeten Nebelschwaden einen flüchtigen Schleier. Doch da die Vormittagssonne schon jetzt einen goldenen Glanz auf das Gewimmel und Gedränge von London warf, versprach der Tag, heiß zu werden.
Es war ein kurzer Ritt von eineinhalb Tagen gewesen. Auf lange Pausen hatte ich verzichtet. Unterwegs hatte ich nicht nur die Hauptwege, sondern auch alle größeren Siedlungen gemieden. Diskrete Befragungen hatten ergeben, dass sämtliche Städte voller Anhänger der Königin waren und man in Erwartung des Herzogs die Tore verrammelt und mit Soldaten bemannt hatte. Wie stets, wenn eine Situation in Chaos münden konnte, wimmelte es auf den Straßen von Gesindel. Da war ein einsamer Reiter eine leichte Beute. So hatte ich in der Nacht vorsichtshalber Zuflucht in einem Wald gesucht und meine Reise noch vor der Morgendämmerung fortgesetzt.
Jetzt stand ich auf der Kuppe eines Hügels, ein Aussichtspunkt, von wo aus ich einen guten Blick auf den Ort hatte, in dem alles angefangen hatte. War es wirklich erst elf Tage her, dass ich diese Stadt erstmals mit den Augen eines ehrfürchtigen Jungen erblickt hatte, der darauf brannte, sein Glück zu machen? Und jetzt bereitete sie mir ein flaues Gefühl in der Magengrube. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich danach verzehrt zu wissen, wer ich war und woher ich kam. Dennoch sehnte sich ein Teil meiner selbst danach, umzukehren, mich im gewöhnlichen Leben zu verlieren, eine Welt zu vergessen, in der von königlichen Frauen geborene Söhne verlassen wurden und Männer Könige opferten, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen. Jetzt wusste ich, dass die Antworten, die ich in London zu finden gehofft hatte, mir nichts offenbaren würden, was ich hören wollte.
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