Ich blickte ihm in die kühl abschätzenden Augen. »Mein Geschäft mit Euch ist rein privater Natur. Ich werde es Ihrer Majestät überlassen, jedwede Strafe zu verhängen, die ihr angemessen erscheint.«
»Ah! Dann muss ich sagen, Ihr bleibt Eurem Charakter erstaunlich treu. Ihr glaubt, dass Mary Unrecht getan wurde und dass ich dabei die Hände im Spiel hatte.«
»Würdet Ihr denn leugnen, dass Ihr dem Herzog die Information geliefert habt, die er benötigte, um sie verfolgen zu können? Oder war es purer Zufall, dass Lord Robert auf derselben Straße geritten ist wie ich und dann auch noch zur selben Zeit?«
Cecil lehnte sich zurück und schlug die mit der schmucken schwarzen Hose bekleideten Beine übereinander. »Ich leugne nicht, dass ich ihn in die richtige Richtung geschoben habe. Andererseits habe ich kein Sterbenswörtchen von mir gegeben, als ich hörte, wie Lord Arundel Durot – oder vielmehr unseren tapferen Fitzpatrick – damit beauftragte, Lord Roberts Begleitung zu infiltrieren, obwohl ich wusste, dass er die Jagd hintertreiben konnte. Ihr seht also, ich bin nicht zur Gänze Marys Feind.«
In meinen Ohren klang seine Stimme wie Sirenengesang – beruhigend, melodisch und nur allzu überzeugend. Noch vor wenigen Tagen hätte ich mich davon betören lassen.
»Ihr lügt! Mary ist die Letzte, die Ihr auf dem Thron sehen wollt. Gegen sie habt Ihr ebenso emsig wie gegen den Herzog gearbeitet. Wäre es nach Euch gegangen, wäre sie auf der Straße verhaftet oder, besser noch, auf der Flucht getötet worden. Das sah Euer Plan vor. Zu ihrem Glück war sie nicht so leichtgläubig, wie Ihr dachtet.«
»Ich habe nie verhehlt, wem meine eigentliche und höchste Treue gilt.« Sein Blick ruhte auf meiner Hand, die sich immer fester um das Schwert schloss. »Ihr müsst wissen, dass Ihre Hoheit unabhängig von dem, was Ihr vielleicht glaubt, meiner nun mehr bedürfen wird als bisher. Sie und Mary stehen sich nicht so nahe, wie Schwestern das sollten.«
Erneut griff er nach seiner Tasche. »Finger weg!«, blaffte ich.
Er verharrte. »Ich werde meine Brille und das Zifferrad brauchen. Ich nehme an, dass der Brief, den Ihr überbringt, in ihrem üblichen Code verfasst ist? Ihr müsst sie sehr beeindruckt haben, denn sie vertraut ihre private Korrespondenz niemals Fremden an.«
Er wusste , dass ich einen Brief für ihn dabeihatte! Mich beschlich das beunruhigende Gefühl, dass ich mich mit jemandem duellierte, der mir in jeder Hinsicht überlegen war und jedes Manöver, seine Pläne zu durchkreuzen, abwehrte. Verwirrt versuchte ich, aus all dem, was ich empfand, sah und hörte, schlau zu werden, die Einzelteile herauszunehmen und auf eine unausgesprochene Botschaft hin zu analysieren. Als mir das schließlich gelang, hätte ich beinahe über meine eigene Naivität laut aufgelacht: dass ich jemals hatte glauben können, ich hätte alles herausgefunden, was es über diesen hintergründigen, undurchschaubaren Mann zu wissen gab!
»Das wart Ihr ! Ich habe zufällig belauscht, wie Lady Dudley Robert erzählte, dass irgendjemand am Hof Mary Informationen zukommen ließ; Walsingham hat dasselbe vermutet. Und Ihr habt Mary mit Eurer Warnung die Flucht ermöglicht. Und dann habt Ihr Robert auf ihre Fährte gesetzt. Aber mit der Warnung an Mary hattet Ihr schon vorher für Euren eigenen Schutz gesorgt. Auf Framlingham hat sie mir gesagt, Ihr würdet schon wissen, was getan werden müsse. Damals hielt ich das für eine Drohung, aber es war keine, nicht wahr? Sie wird Euch verschonen, weil sie glaubt, Ihr hättet sie vor dem Herzog gerettet.«
In Cecils Stimme klang Belustigung durch. »Ich kann wohl kaum den Ruhm ganz allein beanspruchen. Soviel ich weiß, hat ihre Cousine, die Herzogin von Suffolk, ihr ebenfalls eine Verlautbarung gesandt, in der sie ihr alle möglichen Arten von schmutzigen Vorgängen am Hof schilderte. Allem Anschein nach hat Madame Suffolk offene Rechnungen mit den Dudleys zu begleichen.«
Es überraschte mich keineswegs, von den Machenschaften der Herzogin zu erfahren. Sie hatte schließlich Rache geschworen. Wie konnte sie diese besser üben, als Übereinstimmung mit den Dudleys vorzugeben, während sie heimlich ihre königliche Cousine zu Gegenmaßnahmen anstachelte?
Aber sie verfolgte natürlich auch noch diese andere Angelegenheit, die der Hauptgrund für mein Kommen war. Ich beobachtete Cecil aufmerksam, als er hinzufügte: »Wie gesagt, ich bin nicht zur Gänze ihr Feind.« Er fingerte an dem Zifferrad herum. »Ach Gott, sie benutzt stets dieselbe Zahl. Wie oft habe ich ihr geraten, sich eine neue einfallen zu lassen, aber sie hört ja nie auf mich. Eine der wenigen Eigenschaften, die sie mit ihrer Schwester gemeinsam hat.«
Er griff erneut in seine Tasche und zog eine Brille mit silbernem Rahmen heraus. Dann streckte er die Hand aus. »Das Schreiben bitte.«
Ich reichte es ihm. Kalte Gewissheit begann, durch meine Blutbahnen zu sickern. Dieser Mann war tatsächlich ein meisterhafter Opportunist, ein Experte für irreführende Spiele. Was immer ich ihm zutraute, dass er es getan hatte oder im Begriff stand, es zu tun, es offenbarte nur eine weitere Schicht von Täuschungen.
Schweigend las er Marys Brief und warf nur hin und wieder einen Blick auf das Zifferrad in seiner anderen Hand. Als er fertig war, nahm er seine Brille ab und legte Papier und Rad beiseite.
»Und?«, fragte ich. Irgendwie spürte ich eine schwer zu erklärende Veränderung in dem Raum.
»Auch sie bleibt ihrem Charakter treu.« Er hob die müden Augen zu mir. »Sie befiehlt, dass der Kronrat, bevor er überhaupt daran denkt, sie um Gnade zu bitten, zuallererst sie unter Ausschluss aller anderen Anspruchsteller zur Königin ausrufen muss. Außerdem warnt sie all jene, die es versäumt haben, ihre Unterstützung anzubieten; sie sollen sich schleunigst vom Hof entfernen. Diejenigen, die bleiben, müssen ihre Treue damit beweisen, dass sie den Herzog, seine Söhne und auch Jane Grey in Haft nehmen. Sie droht mit den üblichen Strafmaßnahmen, wenn ihr der Gehorsam verweigert wird. Nicht dass das der Fall sein wird. Jeder weiß, dass die Würfel gefallen sind.«
»Ihr werdet Eure Schäfchen schon ins Trockene bringen«, meinte ich, doch meine Ironie drückte keine Befriedigung aus. Im Magen verspürte ich ein schreckliches Beben, die sich verdichtende Erkenntnis, dass ich mich bei der Beurteilung Cecils getäuscht hatte.
»Glaubt Ihr das wirklich?«, fragte er mit einem wehmütigen Kopfschütteln. »Ich mag ihr ja dazu verholfen haben, dem Herzog stets einen Schritt voraus zu sein, aber glaubt nicht einen Moment lang, sie würde je vergessen, dass ich diesem Mann gedient habe. Für mich wird es an ihrem Hof keinen Platz geben.« Er seufzte. »Gleichgültig. Das Leben auf dem Lande behagt mir auch, und es ist an der Zeit, dass ich mich von alldem hier entferne.«
»Sie wird Euch verbannen?« Auf einmal empfand ich tiefe Enttäuschung. Cecil war kein Mann, den ein kluger Monarch außer Acht lassen sollte. Seine Fähigkeiten als Spion machten ihn zu einem Trumpf oder einer Belastung – je nach den Umständen.
»Sie wird es nicht direkt sagen, aber sie weiß, dass ich keine Wahl habe. Sie wird keinem von den Männern trauen, die dem Herzog oder ihrem Bruder gedient haben. Eigentlich sollte ich dankbar sein, denn anders als die übrigen Herren brauche ich mir nicht die Hände damit zu beschmutzen, dass ich meinen ehemaligen Auftraggeber in den Kerker bringe.«
Diese Hände hatten sich bereits verändert, wie mir auffiel. Die Tintenflecken unter den Nägeln waren verblasst, als hätte er schon damit begonnen, die Haut seiner letzten Rolle abzuwerfen.
»Wäre diese Geschichte anders verlaufen«, fuhr Cecil fort, »hätten wir ziemlich schnell sie in denselben Kerker gebracht. Verbannt zu werden ist wirklich ein Glück, wenn man bedenkt, dass nicht wenige Köpfe rollen werden, bevor alles vorbei ist.«
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