»Schwer genug«, erwiderte die raue Stimme. »Schließlich haben wir bisher nicht die geringste Spur von ihnen gesehen. Ich sage: Wir sollten uns ostwärts halten. Auch dort gibt es ganze Horden von papistischen Sympathisanten.«
»Und ich sage, ich habe genug von Eurem elenden Widerspruch!« Wütend schlug sich Robert auf den Oberschenkel, doch ich kannte ihn zu gut, um mich davon täuschen zu lassen. In seiner Stimme entdeckte ich ein Beben. Mein ehemaliger Herr hatte Angst, und das beflügelte meine Hoffnung. »Seit wir aufgebrochen sind, liegt Ihr mir damit in den Ohren«, knurrte er. »So langsam frage ich mich, welche Absicht Ihr damit verfolgt. Seid Ihr für oder gegen uns, Master Durot?«
Ich beobachtete, wie Durot sich auf seinem Pferd zu ihm umdrehte, eine große, muskulöse Gestalt, bekleidet mit gestepptem Wams und übergroßer Kappe und bewaffnet mit Schwert, kurzem Bogen und einem Köcher voller Pfeile. »Wenn Ihr meine Loyalität anzweifelt, und damit auch die meines Herrn, Lord Arundel, kann ich jederzeit nach London zurückreiten und Meldung über Eure Fortschritte erstatten. Ich sehe keine Notwendigkeit, diese sinnlose Jagd fortzusetzen.«
Robert funkelte ihn an. »Ihr vielleicht nicht, aber Euer Herr, der Earl, umso mehr. Die Plünderung der Abteien hat ihm ein gewaltiges Vermögen eingebracht. Ich glaube nicht, dass er große Lust verspürt, sich vor Königin Mary und deren Mönchen zu rechtfertigen. Darum schlage ich vor, dass Ihr meinen Befehlen folgt, es sei denn, Ihr wollt Euren Herrn lieber an einem Galgen baumeln sehen.«
Als Durot darauf keine Antwort gab, wandte Robert sich zu den anderen um. »Hat noch jemand Anlass zu Beschwerden? Sprecht sie besser jetzt aus. Später werde ich sie nicht mehr dulden.« Als alle stumm blieben, befahl er: »Wir reiten ostwärts. Die Gegend ist verseucht mit katholischen Grundbesitzern. Die Gesuchte könnte sich bei jedem Einzelnen davon versteckt halten. Und wenn wir Haus für Haus absuchen müssen, dann tun wir das eben.« Die nächsten Worte schleuderte er Durot förmlich entgegen: »Damit wir das nicht vergessen: Ihr Verstand reicht nicht aus, um uns zum Narren zu halten, selbst wenn sie das versucht.«
Darin widersprach ihm keiner. Sie rammten ihren Pferden die Sporen in die Flanken und galoppierten davon.
Ich bestieg wieder Cinnabar. Peregrine wartete an der Weggabelung. »Nach Suffolk«, wies ich ihn an.
Wir ritten unermüdlich weiter. Die Stunden verstrichen, und die Morgenröte tauchte den Horizont in ein malvenfarbenes Licht. Auch wenn ich mich auf mein Gefühl verlassen hatte, beschlichen mich doch leise Zweifel, als mit der Sonne eine gefällige Landschaft mit sanften Hügeln und Tälern auftauchte. Hatte ich am Ende zu sehr auf mein Wunschdenken gehört und die kalte Realität außer Acht gelassen?
War Mary wirklich so weit gekommen, oder wurde sie genau in diesem Moment mit der Spitze eines Dudley-Schwerts im Rücken aus ihrem Versteck abgeführt, damit man sie zum Tower bringen konnte? Statt ihr hinterherzujagen, hätte ich nach Hatfield eilen sollen, um Elizabeth und meine geliebte Kate zu warnen und gleich weiter zum nächsten Hafen zu reiten, bevor der Herzog uns alle verhaftete.
Ich fuhr mir mit der Hand über das Kinn. Mein Bart stach mich. Und die Kappe drückte mich. Ich zerrte sie vom Kopf und ließ mein verfilztes Haar über die Schultern fallen. Ein Blick zu Peregrine hinüber bestätigte mir, dass der Junge im Sattel eingenickt war. Wir mussten so bald wie möglich Rast einlegen. Auch wenn die Pferde noch bei Kräften waren, wir selbst würden nicht mehr lange durchhalten.
Eine halbe Stunde später erspähte ich ein zwischen Obstgärten eingebettetes Herrenhaus, über dessen Kamin und Innenhof bläulicher Rauch hing. Es wirkte fast verlassen.
»Peregrine, wach auf. Ich glaube, wir haben sie entdeckt.«
Der Junge schreckte hoch und starrte mich verwirrt an. »Woher weißt du das?«
»Schau dir den Hof an. Dort sind Pferde angebunden … sieben, um es genau zu sagen.«
Wir ritten in den Hof. Um zu zeigen, dass unsere Klingen unter dem Gürtel in der Scheide steckten, die Hände leer und die Köpfe unbedeckt waren, hatten wir die Umhänge über die Schultern zurückgeschlagen. Ich schärfte Peregrine ein, nur noch meinen neuen Namen zu benutzen und sich seine Unsicherheit nach Möglichkeit nicht anmerken zu lassen, während ich wiederum eine Ruhe vorgab, die ich nicht empfand, als die Bediensteten, alles Stallknechte, die mit der Vorbereitung der Pferde für einen Ausritt beschäftigt waren, mitten beim Umschnallen der Steigbügel erstarrten. Einer der drei Aufseher hob eine Feuerwaffe. Die anderen zwei näherten sich mit bedrohlichem Gebaren. Beide waren im mittleren Alter und trugen die Uniform von Leibgardisten. Ihre bärtigen Gesichter waren hager.
Der Ältere der zwei – der trotz aller Bemühungen, wie ein schlichter Diener zu wirken, die Würde eines Haushofmeisters zur Schau trug – bellte: »Wer seid Ihr? Was ist Euer Begehr?«
»Wer ich bin, tut nichts zur Sache«, gab ich zurück. »Mein Begehr ist, der Königin eine Botschaft zu überbringen.«
»Königin? Was für eine Königin?« Der Mann lachte. »Ich sehe hier keine Königin.«
»Ihre Majestät, Königin Mary. Die Botschaft ist vom Kronrat.«
Die Männer wechselten einen kurzen Blick. »Hole Lord Huddleston«, wies der Ältere den anderen an, der sofort loslief. »Und du hältst die Muskete auf ihn gerichtet, Jerningham«, befahl er dem Mann mit der Schusswaffe. Die Stallknechte verharrten regungslos. »Absteigen«, knurrte er. Peregrine und ich gehorchten.
Einen Augenblick später kam ein gehetzt wirkender, beleibter Mann, welcher der gerade erwähnte Huddleston sein musste, herbeigehastet. »Ich habe ihr geraten, das nicht zu tun, Master Rochester!«, rief er in besorgtem Ton. »Aber sie besteht darauf, die Männer im Saal zu empfangen, vorausgesetzt, sie sind unbewaffnet.«
Rochester maß mich mit strengem Blick. »Euer Bursche bleibt hier.«
Mit knurrendem Magen, weil mir von irgendwoher Bratengeruch in die Nase stieg, wurde ich zum Herrenhaus eskortiert. Rochester schritt neben mir einher, der bewaffnete Jerningham lief hinter mir, und Huddleston bildete die Vorhut. Bei der Eingangstür blieb Jerningham im Schatten zurück und würde zweifellos seine Waffe weiterhin auf mich gerichtet halten. Rochester und Huddleston führten mich ins Innere.
Vor einem Tisch stand eine schmale Gestalt in Bäuerinnentracht. Während die Männer sich verbeugten, ließ ich mich auf ein Knie sinken. Dabei erspähte ich eine auf dem Tisch ausgebreitete Landkarte sowie Feder und Papier, eine Flasche und einen Kelch.
Eine erstaunlich barsche Stimme befahl: »Erhebt Euch.«
Ich richtete mich vor Mary Tudor auf.
Sie ähnelte Elizabeth in nichts. Gemeinsamkeiten bestanden eher mit ihrer Cousine, Jane Grey. Sie war klein und zu mager, ihr ergrauendes Haar, das sich unter einer Haube in der Mitte teilte, wies noch Spuren von Rotgold auf. Anders als bei der noch sehr jungen Jane standen Mary ihr Alter und ihre vielen Leiden ins Gesicht geschrieben, hatten sich in Form von Furchen in ihre Stirn gegraben und umrahmten als Netz von Falten ihre Lippen und das schlaffe Kinn. Mit dick geschwollenen Fingern umklammerte sie ihren Gürtel. Einzig die tief umschatteten graublauen Augen ließen die unbezähmbare Kraft der Tudors erkennen. Voller Energie forderten sie die meinen heraus, und das mit einer Direktheit, die zu verstehen gab: Sie war etwas Höheres.
Elizabeths Worte fielen mir wieder ein: Seit jeher traut sie den Menschen immer nur das Schlechteste zu, nie das Beste. Manche sagen, das sei die Spanierin in ihr. Ich aber meine, es ist unser Vater .
Ihre schneidende Stimme gellte mir in den Ohren. »Mir wurde gesagt, Ihr hättet eine Nachricht.« Sie streckte die Hand aus. »Ich möchte sie sehen.«
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