Während wir in Edwards Gemächer geschlichen waren, hatte Peregrine sich an mehreren Wachposten vorbei in die Stallungen gemogelt, wo er, unbemerkt von der Nachtwache, heimlich, still und leise drei schlaftrunkene Pferde gesattelt und aufgezäumt hatte, um sie zusammen mit dem Hund zu der als Treffpunkt vereinbarten Pforte zu führen. Dort hatte er auf uns gewartet und die Tiere immer wieder mit Scheiben dieser Holzäpfel beruhigt, die er offenbar in seinen Taschen anbaute. Als sie die Schüsse hörten und die Soldaten des Herzogs aus dem Palast strömen sahen, hatte laut Kate Barnaby den jungen Peregrine mit Gewalt auf Cinnabar setzen müssen. Und kaum hatten sie das Versteck erreicht, hatte der Junge verlangt, dass sie zurückkehrten und nach mir suchten. Er wäre auf der Stelle losgelaufen, hätte ihn nicht die Furcht vor Patrouillen zurückgehalten. So war er rastlos in seinem Zimmer auf und ab geschritten. Doch als schließlich Cecils Männer mit Mistress Ashley eintrafen, um die Prinzessin in Sicherheit zu bringen, war er nicht mehr zu halten gewesen.
Dieselbe bedingungslose Hingabe hatte ihn darin bestärkt, mich so lange zu bearbeiten, bis ich einwilligte, ihn auf meine neueste Mission mitzunehmen. Mit einer gewissen Berechtigung hatte er sich darauf berufen, dass ich eine Schwäche für Katastrophen hatte und es wirklich das Beste für mich wäre, wenn ich von einem Freund begleitet würde. Er hatte also auf ganzer Linie gewonnen. Dennoch war es ein Fehler von mir gewesen, ihn so zu behandeln, wie er behandelt werden wollte, und so zu tun, als wäre er kein Kind mehr. Er war immer noch eines. Und als ich nun die Sorge in seinen Augen sah, versicherte ich ihm: »Ja, ich liebe sie. Aber du wirst immer einen Platz bei uns haben. Das verspreche ich dir.«
Nervös knetete Peregrine seinen Umhang. »Wirklich?«
»Wirklich.« Ich wollte ihm zur Bekräftigung meiner Worte durchs Haar fahren, als das ferne Donnern von Hufen an mein Ohr drang.
Wir beide erstarrten. Ich zückte meinen neuen Dolch. Das Schwert hatte ich Kate anvertraut, bevor ich seinen neuerlichen Verlust riskierte. Peregrine zog sein Messer.
Das Getöse von den mit Eisen beschlagenen Hufen schwoll rasch an. »Vergiss nicht«, flüsterte ich, »wir zeigen uns erst, wenn wir wissen, dass sie es ist und nicht irgendein vom Herzog ausgesandter Lockvogel, der ihre Anhänger aufstöbern soll.«
Peregrines Augen weiteten sich. Jetzt war das Getöse so nahe, dass wir fast meinten, ein Infanterieregiment käme auf uns zu, doch als ich hinausspähte, entpuppte dieses sich als eine kleine Gruppe von Reitern, deren schweißbedeckte Tiere Lehmklumpen aufwirbelten. Um die Reiter blähten sich dunkle Umhänge. Sie trugen keine Fackeln, aber im Vorbeigaloppieren blickte ihr Anführer kurz zu den Büschen hinüber, hinter denen wir uns verbargen. Und unter der schlichten schwarzen Kappe erkannte ich sein Gesicht.
Das Herz schlug mir bis in die Kehle. Fast rechnete ich schon damit, dass er den Befehl zum Anhalten brüllen und auf uns losgehen würde. Als das Kontingent seinen Weg fortsetzte, sank ich wieder in die Hocke. »Das war Lord Robert.«
Peregrine starrte mich an. » Der Lord Robert?«
»Derselbige.« Ich sprang hoch. »Los, auf in den Wald.«
Wir liefen zurück zu den Bäumen. Cinnabar und Peregrines Pferd, das den sonderbaren Namen Deacon hatte, schnaubten, als wir in die Sättel sprangen und sie herumrissen. »Wir werden parallel zur Straße reiten«, bestimmte ich. »Hoffentlich finden wir eine Abkürzung.«
Die Nacht neigte sich ihrem Ende zu. Auch wenn es noch einige Zeit dauern würde, kündigte sich die Dämmerung an. Im Schutz der Bäume galoppierten wir am Waldrand entlang. Umgestürzten Stämmen, die eine große Gefahr für unsere Tiere darstellten, wichen wir aus oder sprangen darüber hinweg. Insofern war ich dem spärlichen Mondlicht überaus dankbar. Dass ich nicht weit sehen konnte, war zwar bedauerlich, andererseits waren Lord Robert und seine Männer durch die Dunkelheit ebenso beeinträchtigt wie wir. Denn falls sie uns entdeckten – das stand fest –, würden sie uns eine gnadenlose Verfolgungsjagd liefern.
Wie hatte Robert nur so schnell die Fährte aufgenommen? Wir hatten damit gerechnet, dass der Herzog ihn auf Mary ansetzen würde, doch ihr Gut war meilenweit von uns entfernt. Irgendwie hatte Robert herausgefunden, dass sie auf dem Weg nach Norden war, und dann beschlossen, sie vor sich herzutreiben. Dabei zeigte er die gleiche erbarmungslose Entschlossenheit wie beim Werben um Elizabeth, nur dass er diesmal keinen Ring im Gepäck hatte, sondern einen Haftbefehl.
Peregrine riss mich aus meinen Gedanken. »Sie halten an.«
Ich zügelte Cinnabar. Angestrengt spähte ich zu einer Weggabelung weiter vorn. »Reite ein Stück weiter, und warte auf mich«, forderte ich ihn auf. »Wenn irgendetwas passiert, spiele nicht den Helden. Kehre umgehend nach Hatfield zurück. Und das meine ich so, wie ich es sage.«
Vorsichtig näherte ich mich der Gruppe. Cinnabar hatte einen leichten Tritt, aber ein gelegentliches Knacken von Zweigen oder ein Klirren des Pferdegeschirrs ließ sich nicht vermeiden. Bei jedem Geräusch, gleichgültig, wie leise, zuckte ich zusammen. In meiner Kindheit hatte ich oft genug mit den Dudleys gejagt, bis sich mir angesichts der Grausamkeit dieses Zeitvertreibs irgendwann der Magen umgedreht hatte. Ich hatte gesehen, welches Entzücken es Robert bereitete, Beute aufzuspüren. Wie viel mehr Genuss würde es ihm bereiten, den Junker zu hetzen, der sein Vertrauen missbraucht hatte?
Doch niemand hörte mich, was wahrscheinlich daran lag, dass sie in eine lautstarke Debatte vertieft waren. Ich ließ mich aus dem Sattel gleiten und setzte meinen Weg zu Fuß fort, bis ich nahe genug herangekommen war, um sie belauschen zu können, wenn auch nicht so nahe, dass mein Entkommen ausgeschlossen war, falls sie mich bemerkten.
Ich zählte neun Männer, und innerhalb des Stimmengewirrs war Robert der lauteste.
»Weil ich es sage! Himmelherrgott, bin ich etwa nicht der Führer hier? Ist es etwa nicht mein Kopf, der rollt, wenn wir diese papistische Hexe nicht kriegen?«
»Mit Verlaub«, knurrte eine raue Stimme, »wir alle haben viel zu verlieren, Mylord. Keiner von uns will erleben, wie eine katholische Königin uns die Inquisition auf den Hals hetzt. Allein schon deshalb hätten wir unsere Soldaten nicht zurücklassen dürfen, damit sie auf uns warten. Was, wenn sie mehr Soldaten hat, als wir glauben?«
Robert schnaubte. »Ihr habt doch ihren Haushofmeister in Hoddesdon gehört. Sie reist bestenfalls mit sechs Begleitern: ihrem Kämmerer, dem Sekretär, dem Haushofmeister und drei Hofdamen. Um sie zu ergreifen, brauchen wir keine Horde von Soldaten. Die würden uns bloß aufhalten.«
Ich grinste. Jetzt waren sie hier in der tiefsten Provinz, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, und immer noch schlotterten ihnen die Knie, weil sie nicht wussten, was eine in die Enge getriebene alte Jungfer alles planen mochte. Es tat gut, das zu hören. Wie ihre jüngere Schwester genoss Mary Tudor einen gewissen Ruf.
Plötzlich überlief es mich eiskalt, als ich eine schleppende Stimme hörte: »Gentlemen, vielleicht sollten wir zu einer Einigung finden, bevor sie nach Flandern in See sticht und mit einer kaiserlichen Armee im Rücken zurückkehrt. Dann werden wir nämlich auf jeden Fall mehr als eine Schar von Soldaten brauchen, das kann ich Euch versichern.«
Stokes! Er war hier, mitten unter Roberts Männern.
»Ja«, räumte Robert ein, »noch mehr Zeitverlust können wir uns nicht leisten. Sie ist aus Hoddesdon geflohen und reitet seitdem ohne Pause. Alles deutet darauf hin, dass sie auf dem Weg nach Yarmouth ist. Irgendwo muss sie aber Unterschlupf suchen, wenn auch nur, damit die Pferde sich ausruhen können. Höchstwahrscheinlich wird sie bei einem ihrer Anhänger Aufnahme finden. Jetzt frage ich Euch: Wie schwer kann es sein, eine alte Frau und ihre Diener auf dem Weg nach Norfolk aufzuspüren?«
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