Ich zog das Wams wieder an, dankbar, etwas Trockenes am Leib zu haben. Ich war bis auf die Knochen durchgefroren.
»So richtig konnten wir ihn nicht sehen«, berichtete Peregrine weiter. Er war aufgeregt, jetzt, da ihm dämmerte, dass sie mir gerade das Leben gerettet hatten. »Es war schon zu dunkel, und er war ganz in Schwarz gekleidet. Aber Barnaby ist er trotzdem aufgefallen. Der Bursche hat richtige Habichtsaugen – zu deinem Glück. Und wenn wir nicht zufällig dein Wams entdeckt hätten, wären wir nie auf die Idee verfallen, hier unten nach dir zu suchen.« Er verstummte und betrachtete mich voller Ehrfurcht. »Jemand muss sich deinen Tod wirklich dringend gewünscht haben.«
»Allerdings. Hatte dieser Mann jemanden dabei?« Eigentlich hatte ich es gar nicht mehr nötig, mich nach dem Mann in Schwarz zu erkundigen. Ich wusste ja längst, wer er war.
Barnaby schüttelte den Kopf. »Er war allein. Merkwürdig – man hätte meinen können, er wollte von uns gesehen werden. Er hätte alle möglichen Wege nehmen können, legte es aber darauf an, unmittelbar vor unseren Augen herumzuspazieren.«
Endlich hatte ich Zeit, mich zu sammeln. Ich fuhr mir mit der Hand durch das schlammbedeckte Haar, dann verbeugte ich mich vor dem jungen Riesen. »Ihr müsst Master Fitzpatrick sein, König Edwards Freund. Darf ich mich Euch vorstellen? Ich bin Brendan Prescott. Ich verdanke Euch mein Leben.«
Er konnte nicht älter als achtzehn Jahre sein. Groß und von der Statur eines Wachturms, war er trotz seines pickligen Gesichts und seiner unter der Kappe hervorquellenden strähnigen roten Mähne alles andere als hässlich – im Gegenteil. Der Größe seiner Hände und des durchnässten Wamses nach zu schließen, musste er derjenige gewesen sein, der die Tür zur Zelle geöffnet hatte.
In beiläufigem Ton erklärte Barnaby: »Peregrine hat mir gesagt, wer Ihr seid. Ihr gehört zu den Bediensteten der Dudleys. Außerdem hat er mir erzählt, dass Ihr ein Freund Ihrer Hoheit seid. Sie ist wie eine Schwester für mich. Und das ist der Grund, warum ich sofort bereit war, Euch zu helfen. Aber ich muss Euch warnen. Wenn Ihr Böses gegen sie im Schilde führt« – zur Bekräftigung seiner Worte schüttelte er seine gewaltigen Fäuste –, »werden Euch die Folgen nicht gefallen.«
Ich nickte. »Vertraut mir ruhig. Ich will ihr nichts Böses. Wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich Euch alles ausführlich erklären, aber leider müssen wir schleunigst handeln. Die Prinzessin ist in Gefahr.« Ich richtete mich auf und riss die knisternde Fackel aus ihrer Verankerung in der Mauer.
»Seine Majestät ist in Greenwich, in den Geheimgemächern«, meldete sich Peregrine zu Wort. »Barnaby hat mir gesagt, dass er sich hier schon seit Wochen aufhält. Habe ich dir nicht versprochen, dass ich alles für dich auskundschafte, worum du mich bittest?«
Mein Blick wanderte über die Flamme hinweg zu Barnaby. Der starrte mich mit grimmigem, entschlossenem Blick an. Wir setzten uns in Bewegung. Dabei mussten wir immer wieder durch knöcheltiefes Wasser waten. Als wir die Treppe erreicht hatten, wagte ich zu fragen: »Ist Seine Majestät sehr krank, Master Fitzpatrick?«
»Edward liegt im Sterben«, murmelte Barnaby mit brechender Stimme.
Nach längerem Schweigen erklärte ich: »Das tut mir leid. Nicht nur um ihn, sondern auch, weil Ihre Hoheit doch so sehr hoffte, ihn wiederzusehen. Jetzt fürchte ich, dass das nicht mehr möglich sein wird. Ich kann nur dafür beten, dass sie auf mich hört.«
»Auf mich wird sie hören«, verkündete Barnaby mit einer Selbstsicherheit, die ich als äußerst beruhigend empfand. »Ihre Hoheit, Seine Majestät und ich sind zusammen aufgewachsen. Sie und ich haben zusammen an Edwards Unterrichtsstunden teilgenommen. Wir waren sogar diejenigen, die Edward das Reiten beigebracht haben.« Ein Lächeln flackerte über seine Lippen. »Der alte König Henry brüllte immer vor Lachen, wenn Edwards Lehrer angerannt kamen und jammerten, dass wir bestraft gehörten, weil wir Seine Hoheit in große Gefahr brächten.«
Er richtete seine dunkelblauen Augen auf die meinen. Sein Lächeln erstarrte zu einer Grimasse. »Sie weiß, dass ich nie von Edwards Seite weichen würde, außer man zwingt mich dazu. Und genauso weiß sie, dass ich sogar im Exil einen Weg finden würde, über ihn zu wachen. Auf mich wird sie hören, vor allem, wenn ich ihr über den Herzog berichte.«
Wir erreichten den Park. Noch nie war ich für frische Luft so dankbar gewesen wie jetzt. Über dem Palast stiegen Lichtfontänen in den Himmel und drehten sich Feuerräder, bis sie explodierten, um dann in vielen Farben glitzernde Sterne auf die Zuschauer herabregnen zu lasssen, die eng aneinandergedrängt auf den Balkonen standen und gebannt in den Himmel schauten.
Siedend heiß fiel mir das Rendezvous ein. »Das Feuerwerk! Schnell, wo geht es zum Pavillon?«
Peregrine stürzte nach links davon. Wir folgten ihm sogleich, und nachdem wir durch eine Serie von überwucherten Zierhecken gebrochen waren, erkannte ich vor mir den Pavillon. Im stillen Wasser des Sees spiegelte sich das kunstvolle Spektakel, ja, fast schien es, als brächte er es selbst hervor. Im Näherkommen erspähte ich eine Silhouette in Schwarz, die vor der Balustrade stand. Ein, zwei Schritte von ihr entfernt bemerkte ich eine zweite Person, die in den Park hinaussah.
»Gebt mir einen Moment mit ihr«, bat ich Barnaby. »Ich will sie nicht überrumpeln.« Er zeigte mit einem Nicken sein Einverständnis, und während er und Peregrine sich niederkauerten, wagte ich mich in das von Mondlicht und künstlichem Feuer erhellte Freie.
Die Gestalt in Schwarz wandte sich zu mir um. Ich trat näher und sank vor ihr auf die Knie. Kate, die an ihrer Seite stand, schnappte erschrocken nach Luft. Ich hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich mit meiner verschmutzten Kleidung, den Blutergüssen, Schnittwunden und meinem blutverkrusteten Gesicht einen fürchterlichen Anblick bieten musste.
Es sprach für Elizabeth, dass sie sich eines Kommentars enthielt, auch wenn ihr die Sorge deutlich anzumerken war. »Junker Prescott, erhebt Euch bitte.« Sie hielt kurz inne. »Ist es nicht ein bisschen spät für ein Bad im See?«
Ich grinste schief. »Ein Unfall, Eure Hoheit. Es sieht schlimmer aus, als es ist.«
»Gott sei Dank.« Ihre Augen glänzten. Ihr mit eingeflochtenen Perlen geschmücktes Haar lockte sich in ihrem Nacken. Sie wirkte entwaffnend jung, und die Strenge ihres schwarzen Umhangs mit der Halskrause und den Seidenbündchen an den Handgelenken betonte ihre zierliche Figur. Nur ihre Hände verrieten sie, diese zarten Finger, die nervös ein Taschentuch kneteten.
»Nun?«, forderte sie mich auf. »Werdet Ihr sprechen? Hat ein Unfall auch Euren Herrn aufgehalten?«
»Eure Hoheit, leider überbringe ich eine Nachricht über Seine Majestät, Euren Bruder. Und über Eure Cousine, Lady Jane.« Ich zögerte und benetzte meine ausgetrockneten Lippen. Auf einmal wurde mir klar, wie unwahrscheinlich, ja grotesk meine Geschichte klingen würde, zumal ich keinerlei Beweise in Händen hatte. Und dann erfasste mich auch noch eine beunruhigende Vorahnung, dass sie bereits genau wusste, was ich ihr mitteilen würde.
»Ich höre«, sagte sie.
»Seine Majestät, Euer Bruder, liegt im Sterben«, erklärte ich leise. »Der Herzog hält seine Krankheit geheim, damit er Lady Jane und seinen Sohn Guilford auf den Thron setzen kann. Er plant, Euch und Eure Schwester, Lady Mary, gefangen zu nehmen und im Tower unter Hausarrest zu stellen. Wenn Ihr in Greenwich bleibt, kann niemand für Eure Sicherheit bürgen.«
Ohne die Augen von mir abzuwenden, fragte Elizabeth: »Kate, trifft das zu?«
Kate Stafford trat vor. »Leider ja.«
»Und du wusstest Bescheid? Cecil … wusste Bescheid?«
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