»Nicht über alles.« Kate wich meinem Blick nicht aus, obwohl sie gerade bestätigt hatte, dass sie mit Cecil zusammenarbeitete. »Aber ich habe nicht die geringsten Zweifel an Junker Prescotts Wort. Er hat offenbar gute Gründe, das zu melden.«
Elizabeth nickte. »Auch ich habe nicht die geringsten Zweifel. Seit dem Tag, als Northumberland mir die Bitte nicht gewährte, Edward zu besuchen, hege auch ich den Verdacht, dass etwas dieser Art im Gange ist. Wahrscheinlich kann ich von Glück reden, dass ich noch frei bin.« Sie hielt inne. Ihre Augen ruhten weiter auf mir. »Wisst Ihr, warum man mich noch nicht verhaftet hat?«
Ich nickte. »Ich glaube, Seine Lordschaft hat es noch nicht gewagt. Er fürchtet, es könnte Eurer Schwester zu Ohren kommen und sie dazu veranlassen, außer Landes zu fliehen. Damit wäre auch erklärt, warum er meinem Herrn, Lord Robert, befohlen hat, zuerst sie gefangen zu nehmen. Es heißt, jemand am Hof würde sie mit Informationen versorgen.«
»Dessen bin ich mir sicher«, bestätigte Elizabeth. »Schließlich sprechen wir von John Dudley. Inzwischen hat er sich mehr Menschen zu Feinden gemacht, als Mary das jemals könnte.«
»Dann dürfen wir Euer Glück nicht länger herausfordern. Ich habe Freunde, die Euch helfen können, ihm zu entkommen. Selbst der Gefährte Seiner Majestät, Master Fitzpatrick …«
»Nein.«
Einen Moment lang schienen sogar die letzten Explosionen des Feuerwerks innezuhalten.
»Nein?« Ich war überrascht. Sicher hatte ich mich verhört.
»Nein.« Ihr Gesicht zeigte feste Entschlossenheit. »Ich verlasse Greenwich nicht. Noch nicht.«
»Nach allem, was wir gerade vernommen haben, kann Eure Hoheit doch nicht planen hierzubleiben!«, rief Kate. »Das wäre Wahnsinn. Wir haben Master Cecil versprochen, dass Ihr …«
»Ich weiß, was wir versprochen haben. Ich habe gesagt, dass ich seinen Rat in Erwägung ziehen würde. In Erwägung ziehen, Kate, nicht beherzigen. Und jetzt muss ich mein Vorhaben ausführen. Ich könnte nicht in dem Bewusstsein weiterleben, das versäumt zu haben.«
»Mylady«, begehrte ich auf und bekam dafür die volle Wucht ihres Blicks zu spüren. »Ich bitte Euch«, fuhr ich gedämpfter fort, »überlegt es Euch noch einmal. Was Ihr auch tut, Ihr habt es nicht in der Hand, den Herzog von seinem Weg abzubringen. Ebenso wenig könnt Ihr hoffen, Seine Majestät zu retten. Unter den augenblicklichen Bedingungen müsst Ihr zusehen, dass Ihr Euch selbst rettet, um Englands willen.«
Sie schürzte die Lippen. »Ich höre Cecil durch Euch sprechen, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Bleibt Euch selbst treu, Prescott. So seid Ihr mir lieber – frech, tollkühn und zu allem entschlossen, was eben nötig ist.«
Ich hätte vielleicht gelächelt, wäre die Lage nicht so ernst gewesen. »Gut. Frech, wie ich bin, muss ich dann darauf hinweisen, wie gefährlich es für Euch wäre, die Verabredung mit meinem Herrn einzuhalten. Lord Robert strebt nach höheren Zielen, als es Eure Hoheit ahnt. Er wird Euch auf jede ihm mögliche Weise täuschen. Er hat sich geweigert, Eure Schwester zu verfolgen, weil er glaubt, dass Ihr seinen Hochzeitsantrag annehmt.«
Auf ihrem Gesicht ging eine Veränderung vor sich, fast unmerklich zwar, doch ich nahm sie wahr. Die zarte Haut um ihre Mundwinkel straffte sich, und durch ihre Augen zuckte ein dunkler Strahl.
»Und ich«, sagte sie sanft, »weiß am besten, wie ich mit ihm umzugehen habe.« Sie reckte das Kinn vor. »Außerdem ist es jetzt zu spät. Da kommt er.«
Ich wirbelte herum. Kate riss mich zurück. »Schnell!«, zischte sie. »Versteckt Euch!«
Ich kletterte über die Balustrade und landete mit einem – wie es mir vorkam – ohrenbetäubenden Lärm in den Hagedornbüschen auf der anderen Seite. »Sehr anmutig«, murmelte Peregrine. Er und Barnaby waren lautlos herangeschlichen. Beide waren mit Dolchen bewaffnet. Peregrine reichte mir einen. Mein alter Dolch, den mir Master Shelton geschenkt hatte, fiel mir wieder ein. Ich hatte mit Stokes noch ein Hühnchen zu rupfen, allein schon wegen des Diebstahls des guten Stücks. Was meine Kappe betraf, war sie anscheinend endgültig verloren.
Durch das Laub beobachtete ich, wie Robert den Weg entlanglief. Er hatte mich aufgefordert, heute Abend pünktlich zurückzukehren, damit ich ihm beim Ankleiden helfen konnte. Obwohl er das nun hatte allein erledigen müssen, war es ihm gut gelungen. In einem Wams aus Goldbrokat, besetzt mit funkelnden Opalen, das ihn ein Vermögen gekostet haben musste, gab er eine beeindruckende Figur ab. Kurz blieb er stehen, um seine mit Feder und Juwelen geschmückte Kappe abzunehmen, dann stieg er die Stufen zum Pavillon hinauf. Dort oben kamen seine hohen Lederstiefel und die goldenen Sporen erst richtig zur Geltung.
Vor Elizabeth ließ er sich auf ein Knie sinken. »Ich bin von Freude überwältigt, Eure Hoheit sicher und bei bester Gesundheit anzutreffen.« Selbst in dem nach allen Seiten offenen Pavillon war sein Moschusparfum schier überwältigend, und irgendwie erinnerte er in der Tat an einen mächtigen Stier im besten Mannesalter.
Weder reichte ihm Elizabeth die Hand, noch gestattete sie ihm, sich zu erheben. Während sie ihr Taschentuch unter die Halskrause schob, antwortete sie: »Über meine Gesundheit kann ich nicht klagen. Wie es um meine Sicherheit steht, wird sich noch erweisen. Dieser Hof war noch nie eine Zufluchtsstätte für mich.«
Er blickte auf. Sie hatte in leichtem, fast beiläufigem Ton gesprochen, doch selbst er hätte nicht missverstehen können, was sie in Wahrheit meinte. Dennoch stellte er sich unwissend. Mit rauer Stimme erwiderte er: »Wenn Ihr es mir gestattet, mache ich diesen Hof und das ganze Königreich zu Eurer Heim- und Zufluchtsstätte zur Mehrung Eures Ruhms.«
»Ja.« Sie lächelte. »Das würdet Ihr für mich tun, nicht wahr, mein lieber Robin? Seit unseren Kindertagen habt Ihr mir schon immer das Blaue vom Himmel herunter versprochen.«
»Das tue ich immer noch. Ihr könnt von mir alles haben, was Ihr Euch wünscht. Ihr braucht nur darum zu bitten, und es gehört Euch.«
»Nun gut.« Sie fixierte ihn. »Ich möchte meinen Bruder sehen, bevor er stirbt, ohne dabei um mein Leben fürchten zu müssen.«
Robert erstarrte. Immer noch zu dieser unbequemen Haltung auf den Knien gezwungen, benötigte er eine ungewöhnlich lange Zeit, bis er stammelte: »Ich … ich darf nicht wagen, darüber zu sprechen. Und auch Ihr dürft das nicht.«
»Oh?« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Warum nicht? Freunde haben doch sicher nichts voreinander zu verbergen?«
»Wir nicht. Aber es ist Hochverrat, über eine solche Angelegenheit zu spekulieren, wie Ihr sehr wohl wisst.«
Sie lachte hellauf. »Es erleichtert mich zu hören, dass wenigstens ein Mitglied Eurer Familie noch ein Gewissen hat! Und dass mein Bruder – dem Anschein nach – noch lebt. Sonst wäre es ja kein Hochverrat mehr, über sein Ableben zu spekulieren, nicht wahr?« Sie machte eine Pause. »Habt Ihr nicht gesagt, ich könnte alles haben, was ich mir wünsche? Würdet Ihr mich tatsächlich in der Stunde meiner größten Not im Stich lassen?«
»Ihr spielt mit mir!« Er sprang auf – ein übermächtiger Hüne im Vergleich zu ihrer zierlichen Gestalt. »Ich bin nicht zum Spielen gekommen. Ich bin gekommen, um Euch zu warnen: Euer Recht auf den Thron ist in Gefahr.«
»Ich habe gar kein Recht darauf«, konterte sie schlagfertig. Gleichwohl bemerkte ich, dass ihre Stimme etwas weniger entschlossen klang, nachgiebiger. »Meine Schwester Mary ist die Erbin, nicht ich. Wenn Ihr also jemanden warnen müsst, dann sie.«
Robert ergriff ihre Hand. »Ich bitte Euch. Wir sind keine Kinder mehr. Wir müssen nicht mehr herausfinden, wer wen übertölpeln kann. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass das Volk Eure Schwester nicht als seine Königin haben will. Sie steht für Rom und die Vergangenheit, für alles, was es verabscheut.«
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