Mit grimmiger Miene und den Flöten im Arm eilte Marcus hinter ihm her. Als sie zur Hauptstraße kamen, lief der Sklave zu ihm vor und sagte mit leiser Stimme: »Herr, dort oben ist etwas vorgefallen, was du wissen solltest.«
»Hm?« machte Archimedes, wobei er abrupt stehenblieb und Marcus anschaute. Der Mond war aufgegangen und schien hell in die breite Straße hinein. Das entzückte Gesicht von Archimedes war deutlich zu erkennen.
Deliaf dachte Marcus ungläubig. »Ich kenne ihren Namen nicht«, sagte er verblüfft, »aber es war die Schwester des Königs. Sie hat gesagt, ich soll dir ausrichten.«
»Delia hat dir eine Nachricht für mich gegeben?« rief Archimedes noch begeisterter.
Marcus starrte ihn an. Jetzt fiel ihm wieder ein, wie zögernd das Mädchen gesprochen hatte und wie sie weggelaufen war, nachdem sie versucht hatte, ihre Botschaft wieder zurückzuziehen. Im nachhinein wirkte alles wie der erste, scheue Schritt einer Jungfrau in Richtung Liebe. »Peru!« rief er laut. Der Fluch in seiner Muttersprache überraschte ihn selbst. »Kein Wunder, daß der König seine Spione hinter dir hergeschickt hat!«
»Was?« Nun war Archimedes seinerseits überrascht. »Hinter mir? Mach dich nicht lächerlich! Da gibt es nichts auszuspionieren.«
»Mögen die Götter verhüten, daß zwischen dir und der Schwester des Königs auch nur das geringste sein sollte!«
»Ich habe sie erst zweimal im Haus des Königs gesehen, als ich dorthin ging, um mich nach dem Katapult zu erkundigen«, sagte Archimedes steif. »Sie spielt auch Aulos, und darüber haben wir uns unterhalten. Sie ist sehr gut. Was war das denn für eine Botschaft? Du hast gesagt, ich sollte sie kennen.«
Marcus fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Vielleicht war ja tatsächlich alles ganz unschuldig, dachte er, aber eines stand fest: Die Schwester des Königs - die Schwester des Königs! - ließ Archimedes insgeheim eine Warnung über die Pläne ihres Bruders zukommen. Was sah sie in ihm? Er sah nicht besonders gut aus, war nicht reich und besaß ganz sicher nicht den geschliffenen Charme eines Verführers. Aber schon in Alexandria hatte er die Gunst von Lais gewonnen, und jetzt das!
Zu seinem Bedauern konnte er das nicht einmal Arata erzählen, obwohl er wußte, wie sehr sie sich wegen der Spione des Königs Sorgen machte. Außerdem hatte er einen tiefen Respekt vor ihrem gesunden Menschenverstand. Aber die Mutter seines Herrn konnte er am allerwenigsten mit den romantischen Torheiten ihres Sohnes belästigen.
»Nun?« wollte Archimedes wissen.
»Sie meinte, ich soll dir sagen, daß sie dir alles Gute wünscht«, sagte er schließlich. »Und sie warnt dich, daß du vorsichtig sein mußt, wenn dein Beweis gut ausgeht, weil dich ihr Bruder vielleicht zu einem Vertrag überreden könnte, der dich zu etwas verpflichtet, was du später eventuell bereust.«
Archimedes strahlte. »Das ist ja wunderbar!« Er ging weiter, aber diesmal wirkte sein Gang leicht angeberisch.
»Wunderbar? Hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe?« fragte Marcus wütend.
»Ja, natürlich. Delia wünscht mir Glück, und der König wird mir einen Vertrag anbieten, wenn mein Beweis gut abläuft. Ich danke den Göttern!«
Marcus stöhnte.
»Was ist denn nun schon wieder?«
Nach einem Blick in seine selbstbewußt strahlenden Augen stöhnte Marcus erneut. »Nichts«, sagte er verzweifelt, »gar nichts.«
Im Haus des Königs saß Hieron in der Pförtnerloge des Türhüters. Er hatte die Füße auf die Lehne der Liege gestützt, nippte an einem Becher mit kaltem Wasser und besprach, wie er es nach jedem Bankett zu tun pflegte, den vergangenen Abend mit Agathon. Er hörte seinen Gästen zu, während sein Türhüter den Sklaven der Gäste zuhörte, und hinterher verglichen sie ihre Eindrücke. Diese Technik hatte sich oft als nützlich erwiesen. Der Türhüter hatte herausgefunden, daß sich der Sklave des einen Offiziers Sorgen machte, weil sein Herr zuviel getrunken hatte, während einer der Räte der Stadt kürzlich eine größere Geldsumme ausgegeben hatte.
»Und der Sklave von Archimedes?« fragte der König. »Etwas Brauchbares von ihm?«
Agathon schnaubte. »Meiner Meinung nach hat es irgend jemand gemerkt, daß wir über seinen Herrn Erkundigungen eingezogen haben. Gleich von Anfang an war er wild entschlossen, uns um keinen Preis auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten. Sobald die Musik anfing, hat er sich davongestohlen und im Garten versteckt, damit er mit keinem mehr reden mußte. Allerdings hat er behauptet, er wäre Samnite, wo er doch eindeutig ein Latiner ist.«
»Bist du dir da sicher?«
»Oh, ja. Er heißt Marcus, und als er herausfand, daß der Sklave von Aristodemos ein echter Samnite ist, war er entsetzt.« Agathon lachte meckernd. »Dann mußte er so tun, als ob er vergessen hätte, wie man Oskisch spricht, aber er war so ein armseliger Lügner, daß es einem leid tat.«
Der König runzelte die Stirn.
»Ich werde das überprüfen«, sagte Agathon sofort. »Aber er ist seit dreizehn Jahren im Haushalt von Phidias, und meinem Eindruck nach steht er loyal zu seinem Herrn.«
Hieron nickte nachdenklich und trank einen Schluck Wasser.
»Vermutlich Fehlanzeige«, sagte er, »aber man kann ja nie wissen. Behalte ihn im Auge.«
»Jawohl, Herr«, sagte Agathon. Einen Augenblick beobachtete er seinen Herrn, dann sagte er: »Und du, Herr? Was halten die Gäste vom Krieg?«
Hieron streckte sich und setzte sich auf. »Wir haben nicht darüber diskutiert.«
Agathon zog die Augenbrauen hoch. »Muß aber schwierig gewesen sein.«
Hieron grinste. »Nicht allzusehr. Archimedes hat von den Eiern bis zum Steinbutt über ideale Mechanik doziert. Danach waren sämtliche anderen Gäste absolut selig, sich über irgend etwas zu unterhalten, das nichts mit Mechanik zu tun hatte. Man mußte nur sehr wenig steuern.«
Nervös räusperte sich Agathon. »Herr.«, er hielt inne.
»Was?« fragte Hieron.
Als Agathon keine Antwort gab, beugte sich der König lächelnd vor und meinte: »Möchtest du vielleicht über den Krieg reden, Ari-stion?«
Das war ein alter Spitzname - die Verkleinerungsform von »Bester« anstelle von Agathons richtigem Namen, der »Guter« bedeutete. Der Sklave schöpfte daraus Mut, blickte seinem Herrn in die Augen und sagte: »Was wird geschehen, Herr?«
Hieron seufzte. »Was immer das Schicksal bestimmt, mein Freund. Dennoch hoffe ich, daß mir die Römer bessere Bedingungen anbieten werden als bei Messana, sobald sie sich die Zähne an unseren Verteidigungslinien ausgebissen haben.«
Lange Zeit saß Agathon schweigend da. Es war die nackte Hoffnung, die da sprach, und eine schwer begrenzte obendrein. »Dann gibt das Bündnis also keinen Anlaß zur Hoffnung mehr«, sagte er schließlich, »jedenfalls keine Hoffnung auf Sieg.«
»Die Hoffnung bleibt uns immer«, erwiderte Hieron gelassen, »aber ich erwarte nichts, nein. Karthago hat noch keine Bedingungen mit Rom ausgehandelt und sich nicht offen gegen uns gestellt. Und solange das so bleibt, werde ich in der Öffentlichkeit so tun, als ob es unser fester Verbündeter wäre. Aber die Karthager hatten eine Flotte, die eigentlich die Meerenge bewachen sollte. Offensichtlich ist es ihnen nicht gelungen, die Römer vom Übersetzen nach Sizilien abzuhalten. Und während wir Messana belagert haben, haben die Römer mit mir und mit den Karthagern verhandelt - jeweils getrennt. Als ich meinem verbündeten Oberbefehlshaber den Vorschlag machte, ich würde jemanden als Beobachter zu seinen Verhandlungen schicken und er umgekehrt zu meinen, hat er es abgelehnt. Und als uns die Römer angriffen, haben die Karthager keinen Finger gerührt. Agathon, der Feind, verfügte über zwei Legionen - zehntausend der wildesten Krieger der Welt. In Windeseile machten sie einen Ausfall aus der Stadt und griffen unseren Belagerungsring an. Wir haben sie abgewehrt und den halben Weg wieder Richtung Stadtmauer zurückgetrieben. Wenn die Karthager die Römer bei ihrem Rückzug von der Flanke her angegriffen hätten, wäre es ein echter Sieg gewesen, aber sie haben nichts gemacht - gar nichts! Haben nur ihre Truppen zur Verteidigung des eigenen Lagers aufgezogen und sich dann hingestellt und zugeschaut. Oh, ja, nachher sandte Hanno einen Boten, um mir zu meinem Sieg zu gratulieren, und erklärte, ihm hätte die Zeit gefehlt, um seine Streitkräfte aufzustellen. Aber seit diesem Gefecht war absolut klar, wie Hanno diesen Krieg zu führen gedenkt. Er hofft, daß er uns benutzen kann, um die Römer zu schwächen, die Römer, um uns zu zerbrechen, und wenn alles vorbei ist, Sizilien für Karthago zu beanspruchen. Deshalb bin ich im Schutz der Dunkelheit abgezogen und heimgekommen.
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