Die Störung kam Agrippina offensichtlich ungelegen, aber wie immer erhellte sich ihre Miene, als sie Nero erblickte. Sie wünschte mir Erfolg, warnte mich vor dem Leichtsinn und sagte, sie hoffe, ich würde mir von der griechischen Bildung das Beste aneignen, aber als guter Römer zurückkehren.
Ich stammelte etwas, sah ihr in die Augen und machte eine bittende Gebärde. Sie verstand auch ohne Worte, was ich wollte. Der vornehme Freigelassene Pallas würdigte mich nicht eines Blickes, sondern raschelte nur ungeduldig mit seiner Papyrusrolle und schrieb ein paar Zahlen auf eine Wachstafel. Agrippina forderte Nero auf, zu seinem Nutzen zuzusehen, wie geschickt Pallas hohe Zahlen addierte, und führte mich in einen anderen Saal. »Es ist besser, wenn Nero nicht hört, wovon wir reden«, sagte sie. »Er ist noch ein unschuldiger Knabe, wenn er auch schon die Toga trägt.«
Das war nicht wahr, denn Nero selbst hatte sich damit gebrüstet, daß er mit einer Sklavin geschlafen und es spaßeshalber auch mit einem Knaben versucht hatte, aber das konnte ich seiner Mutter nicht sagen. Agrippina betrachtete mich mit ihrem klaren, ruhigen Blick, seufzte und sagte: »Du willst von Claudia hören. Ich möchte dich nicht enttäuschen, denn ich weiß selbst, wie schwer man diese Dinge nimmt, wenn man jung ist, und doch ist es besser für dich, man öffnet dir beizeiten die Augen, wenn es auch schmerzt. Ich habe Claudia überwachen lassen. Um deinetwillen mußte ich ja die Wahrheit über ihren Lebenswandel in Erfahrung bringen. Es kümmert mich nicht, daß sie gegen das ausdrückliche Verbot verstoßen und die Stadt betreten hat, und es ist mir auch gleichgültig, daß sie zusammen mit Sklaven an gewissen geheimen Mählern teilgenommen hat, bei denen es nicht ganz schicklich zugegangen sein soll, aber es ist unverzeihlich, daß sie sich außerhalb der Stadtmauern und ohne die unerläßliche Gesundheitsüberwachung für ein paar schäbige Münzen an Fuhrleute, Hirten und dergleichen verkaufte.«
Diese schreckliche, unglaubliche Beschuldigung verschlug mir den Atem. Agrippina sah mich mitleidig an und fuhr fort: »Der Fall wurde ohne großes Aufsehen vor dem Ordnungsgericht verhandelt, und es gab genug Zeugen, die ich dir jedoch lieber nicht nennen will, damit du dich nicht zu sehr schämen mußt. Aus Barmherzigkeit wurde Claudia nicht nach Vorschrift bestraft. Man hat sie nicht ausgepeitscht und ihr nicht einmal das Haar geschnitten. Sie wurde in ein geschlossenes Haus in einer kleinen Landstadt gebracht, wo sie bessere Sitten lernen kann. Ich sage dir nicht, wo es ist, damit du mir keine Dummheiten machst. Wenn du sie nach deiner Rückkehr aus Griechenland sehen willst, kann ich es einrichten, vorausgesetzt, daß sie sich gebessert hat, aber du mußt mir versprechen, daß du vorher keinen Versuch unternehmen wirst, mit ihr in Verbindung zu treten. Das bist du mir schuldig.«
Ihre Worte waren mir so unfaßbar, daß mir schwindelte, und ich fühlte, wie meine Knie nachgaben. Unwillkürlich erinnerte ich mich an alles, was mir an Claudia ungewöhnlich vorgekommen war, und ich dachte an ihre Erfahrenheit und Heißblütigkeit. Agrippina legte ihre schöne Hand auf meinen Arm, schüttelte den Kopf und ermahnte mich: »Prüfe dich selbst, Minutus. Allein deine jugendliche Eitelkeit hindert dich daran, augenblicklich zu erkennen, wie grausam du hintergangen wurdest. Zieh die Lehre aus dem Geschehenen, und schenke verderbten Frauen und ihren Einflüsterungen nicht mehr soviel Glauben. Es war dein Glück, daß du dich noch rechtzeitig aus ihrer Umgarnung retten konntest, indem du dich an mich wandtest. Wenigstens darin hast du klug gehandelt.«
Ich starrte sie an und versuchte, in ihrem schönen Gesicht mit der zarten Haut und in ihren klaren Augen das geringste Anzeichen von Unsicherheit zu entdecken. Sie streichelte meine Wange und bat: »Sieh mir in die Augen, Minutus Lausus. Wem glaubst du mehr: mir oder diesem gewöhnlichen Mädchen, das dein blindes Vertrauen so grausam enttäuschte?«
Sowohl meine gesunde Vernunft als auch meine verwirrten Gefühle sagten mir, daß ich dieser gütigen Frau, der Gemahlin des Kaisers, mehr glauben müsse als Claudia. Ich senkte den Kopf, denn heiße Tränen der Enttäuschung stiegen mir in die Augen. Agrippina drückte mein Gesicht an ihren weichen Busen, und plötzlich spürte ich bei all meinem überschwenglichen Schmerz ein heißes Zittern in meinem Körper und errötete noch mehr über mich selbst.
»Ich bitte dich, mir nicht jetzt zu danken, obwohl ich viel für dich in einer Sache getan habe, die mich anekelte«, flüsterte sie mir ins Ohr, so daß ich ihren warmen Atem fühlte und noch heftiger zu zittern begann. »Ich weiß, du wirst mir später danken, wenn du Zeit gehabt hast nachzudenken. Ich habe dich aus der schlimmsten Gefahr errettet, die einem Jüngling an der Schwelle zum Mannesalter begegnen kann.«
Aus Furcht vor Augenzeugen schob sie mich von sich und schenkte mir noch einmal ein warmes Lächeln. Mein Gesicht war so heiß und von Tränen naß, daß ich es niemandem zeigen mochte. Agrippina schickte mich durch eine Hintertür aus dem Palast. Ich ging mit gesenktem Kopf und über die weißen Pflastersteine stolpernd die steile Gasse der Siegesgöttin hinunter.
Korinth ist eine Weltstadt – von allen Städten der Welt die lebhafteste und lebensfrohste, wie die Korinther selbst versichern. Mummius zerstörte sie vor zweihundert Jahren bis auf die Grundmauern, aber in unseren Tagen hat diese aus der Asche auferstandene Stadt dank der klugen Voraussicht des Gottes Julius Caesar wieder eine halbe Million Einwohner, die aus allen Ländern der Welt stammen. Von der Akropolis aus sieht man die Straßen bis in die späte Nacht hinein in hellem Licht erstrahlen, und mit seinem bunten Treiben ist Korinth für einen jungen Mann, der bitter über seine eigene Leichtgläubigkeit nachgrübelt, ein heilsamer Erholungsort. Mein Diener Hierax dagegen muß es oft bereut haben, daß er mich auf dem Sklavenmarkt in Rom mit Tränen in den Augen flehentlich gebeten hat, ihn zu kaufen. Er konnte lesen und schreiben, massieren, kochen und mit den Händlern feilschen und sprach Griechisch und gebrochen Latein. Er bat mich, den Preis nicht allzusehr zu drücken, da sein Hausvater sich nur widerstrebend und der Not gehorchend von ihm trennte, weil er auf Grund eines ungerechten Gerichtsurteils in Geldschwierigkeiten geraten war. Ich begriff, daß Hierax eine Provision erhielt, wenn es ihm durch seine Zungenfertigkeit gelang, den Preis in die Höhe zu treiben, aber in meiner damaligen Gemütsverfassung war ich ohnehin nicht zum Feilschen aufgelegt.
Hierax hoffte natürlich, einen jungen, freundlichen Herrn zu bekommen, und fürchtete, er könnte in ein sparsam geführtes Haus voll alter Geizkragen geraten. Mein Trübsinn und meine Schweigsamkeit lehrten auch ihn schweigen, so schwer es ihn ankam, denn er war ein echt griechischer Schwätzer. Mich konnte nicht einmal die Schiffsreise zerstreuen, und ich mochte mit niemandem sprechen. Daher gab ich Hierax meine Anweisungen nach der Art des Pallas nur mit Gesten. Er diente mir nach bestem Vermögen, vermutlich weil er fürchtete, hinter meinem finsteren Äußeren verberge sich ein im Grunde grausamer Herr, der sein Vergnügen daran fand, einen Sklaven zu züchtigen.
Hierax war als Sklave geboren und erzogen worden. Kräftig war er nicht, aber ich kaufte ihn, um nicht länger suchen zu müssen und weil er kein sichtbares Gebrechen hatte. Sogar seine Zähne waren gesund, obwohl er schon dreißig Jahre alt war. Natürlich nahm ich an, daß er irgendeinen anderen, verborgenen Fehler hatte, da er wieder verkauft worden war, aber in meiner Stellung konnte ich nicht ohne Diener reisen. Anfangs war er mir eine rechte Plage. Sobald ich ihn aber gelehrt hatte, zu schweigen und ebenso düster dreinzublicken wie ich selbst, kümmerte er sich ordentlich um mein Reisegepäck, meine Kleidung und meine Mahlzeiten, und er verstand es sogar, mir meinen immer noch weichen Bart zu scheren, ohne mich allzu oft zu schneiden.
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