In Korinth war er früher schon einmal gewesen, und er verschaffte uns Unterkunft in einer Herberge in der Nähe des Neptuntempels, die den Namen »Schiff und Laterne« führte. Es entsetzte ihn, daß ich nicht unverzüglich in den Tempel eilte, um ein Dankopfer für den glücklichen Ausgang der gefährlichen Seereise darzubringen, sondern als erstes zum Forum ging, um mich beim Prokonsul zu melden.
Der Sitz des Prokonsuls in Achaia war ein stattliches Gebäude mit einem Säulenportal. Der äußere Hof war von einer Mauer mit einem Wachhaus umgeben. Die beiden Legionäre, die vor dem Tor auf Posten standen, stocherten sich in den Zähnen, schwatzten mit den Vorübergehenden und hatten Schild und Lanze an die Mauer gelehnt. Sie schielten spöttisch nach meiner schmalen roten Borte, ließen mich aber ohne Fragen ein.
Der Prokonsul Lucius Annaeus Gallio empfing mich auf griechische Art gekleidet, nach Salben duftend und mit einem Blütenkranz auf dem Haupt, als wäre er im Begriff, zu einem Fest zu gehen. Er machte mir einen gutmütigen Eindruck und Keß sofort Wein aus Samos bringen, während er den Brief seines älteren Bruders Seneca und das andere Schreiben las, das ich ihm als Kurier des Senats überreicht hatte. Ich ließ meinen Glasbecher halb geleert stehen und verlangte nicht nach mehr Wein, da ich die ganze Welt, in der ich zu meinem Unglück geboren worden war, tief verachtete und überhaupt von den Menschen nichts Gutes mehr glauben mochte.
Als Gallio seine Briefe gelesen hatte, sah er mich ernst und aufmerksam an. »Ich glaube, du trägst die Toga am besten nur bei den Gerichtssitzungen«, schlug er mir vorsichtig vor. »Wir müssen bedenken, daß Achaia Achaia ist. Seine Zivilisation ist älter oder jedenfalls in unvergleichlich höherem Maße geistig als die römische. Die Griechen leben nach ihren eigenen Gesetzen und sorgen selbst für die Aufrechterhaltung der Ordnung. Rom verfolgt in Achaia eine Politik der Nichteinmischung. Wir lassen den Dingen ihren Lauf, solange man uns nicht ausdrücklich bittet einzuschreiten. Verbrechen gegen das Leben sind eine Seltenheit. Am meisten machen uns, wie in allen Hafenstädten, die Diebe und Betrüger zu schaffen. Amphitheater gibt es in Korinth keines, aber einen prächtigen Zirkus mit Wagenrennen. Die Theater sind jeden Abend geöffnet, und alle anderen Vergnügungen, die für einen anständigen jungen Mann in Frage kommen, gibt es im Übermaß.«
Ich antwortete verdrossen: »Ich bin nicht nach Korinth gekommen, um mich zu unterhalten, sondern um mich auf die Beamtenlaufbahn vorzubereiten.«
»Gewiß, gewiß«, stimmte Gallio mir bei. »Mein Bruder schreibt es mir in seinem Brief. Vielleicht meldest du dich zuerst einmal beim Kohortenführer unserer Garnison. Er ist ein Rubrius, behandle ihn also höflich. Im übrigen kannst du dafür sorgen, daß der Waffendienst wieder ernstgenommen wird. Die Leute sind unter seinem Kommando nachlässig geworden. Später gehst du dann auf Reisen und inspizierst die anderen Garnisonen. Viel sind es ohnehin nicht. Athen und gewisse andere heilige Städte betritt man aber tunlichst nicht in militärischem Aufzug. Die zerlumpte Kleidung des Philosophen ist dort eher am Platze. Einmal in der Woche halte ich hier vor dem Haus Gericht, und da mußt du natürlich zugegen sein. Die Sitzungen beginnen nicht zeitig am Vormittag, sondern am Nachmittag. Man muß sich an die Sitten des Landes halten, in das man kommt. Aber jetzt will ich dich durch das Haus führen und dich mit meinen Kanzleivorstehern bekanntmachen.
Freundlich plaudernd stellte er mich seinem Kassenverwalter und seinem Juristen, dem Vorsteher der Steuerbehörde für Achaia und dem römischen Handelsdelegierten vor.
»Ich würde dich gern in meinem Haus wohnen lassen«, sagte Gallio, »aber es ist für Rom vorteilhafter, wenn du dir in der Stadt eine Bleibe suchst, entweder in einer guten Herberge oder in einem eigenen Haus. Du kommst auf diese Weise mit der Bevölkerung in Berührung und lernst ihre Sitten, ihre Wünsche und Beschwerden kennen. Denk immer daran, daß wir Achaia äußerst behutsam anfassen müssen. Ich erwarte gerade einige Gelehrte und Philosophen zum Mittagessen und würde dich gern mit einladen, aber ich sehe, daß du von der Reise erschöpft bist und daß das Essen dir nicht schmecken würde, nachdem dir nicht einmal mein Wein zugesagt hat. Ruhe dich zuerst von deinen Anstrengungen aus, lerne die Stadt ein wenig kennen und melde dich dann bei Rubrius, wann es dir beliebt. Es eilt keineswegs.«
Zuletzt stellte mich Gallio auch seiner Gattin vor. Sie war in einen goldgestickten griechischen Mantel gekleidet und trug Sandalen aus vergoldetem Leder an den Füßen und einen Goldreif in ihrem kunstvoll aufgesteckten Haar. Sie blickte schelmisch zuerst mich und dann Gallio an, wurde ernst und begrüßte mich mit einer so trüb und düster klingenden Stimme, als drückten sie alle Sorgen der Welt, schlug sich plötzlich die Hand vor den Mund, kicherte und lief davon.
Ich fand, daß die aus Spanien gebürtige Helvia bei all ihrer Schönheit doch noch sehr kindisch war. Gallio unterdrückte ein Lächeln, blickte seiner Gattin erst nach und bestätigte mir meine eigene Meinung: »Ja, Lausus, sie ist zu jung und kann die Pflichten, die ihre Stellung ihr auferlegt, noch nicht ernst nehmen. Zum Glück ist das hier in Korinth nicht weiter von Bedeutung.«
Tags darauf überlegte ich lange, ob ich eine Nachricht in die Garnison schicken sollte, um für meinen Antrittsbesuch ein Reitpferd und eine Ehrenwache zu bekommen, worauf ich selbstverständlich ein Recht hatte. Da ich aber meinen Vorgesetzten Rubrius noch nicht kannte, hielt ich es zuletzt doch für das beste, eher bescheiden aufzutreten. Ich legte daher nur nach Vorschrift meinen Brustharnisch mit dem silbernen Adler an, zog die eisenbeschlagenen Schuhe und die Beinschienen an und setzte den Helm mit dem roten Federbusch auf. Um die Schultern legte mir Hierax den kurzen roten Kriegstribunenmantel.
Mein Aufzug erweckte so viel Aufsehen in der Herberge, daß sogar die Köche und die Putzweiber sich in der Tür drängten, um einen Blick zu erhaschen. Als ich mit klirrender Rüstung ein Stück marschiert war, begannen die Leute hinter und neben mir herzulaufen und zu gaffen. Die Männer zeigten auf meinen Helmbusch und riefen etwas, was ich nicht verstand, die Frauen betasteten meinen Brustharnisch, und einige Straßenjungen gingen schreiend und grölend im Gleichschritt neben mir her. Es dauerte dennoch eine Weile, bis ich endlich begriff, daß man mich verspottete.
Ich empfand meine Lage als so peinlich, daß ich am liebsten mein langes Reiterschwert gezogen und mit der flachen Klinge um mich gehauen hätte, sagte mir jedoch, daß das nur zu noch größerem Aufruhr führen würde, und wandte mich mit rotem Kopf an einen Ordnungswächter. Der verjagte mit seinem Rohrstock die Gassenjungen, um mir einen Weg zu bahnen. Trotzdem folgten mir noch immer mindestens hundert Menschen bis zum Tor der Garnison.
Die Posten nahmen hastig Schild und Lanze von der Mauer, und der eine blies auf seinem Horn Alarm, als er den johlenden Volkshaufen auf die Kaserne zukommen sah. Die Leute dachten jedoch nicht daran, den Bereich der Garnison zu betreten und sich dafür ein paar Stockhiebe einzuhandeln. Sie hielten im Halbkreis vor den Lanzenspitzen der Soldaten, riefen mir Glückwünsche zu und beteuerten, sie hätten seit Jahren keinen so erhebenden Anblick mehr genossen.
Der Oberzenturio der Kohorte kam im Untergewand auf mich zugerannt. Eine Handvoll mit Lanze und Schild bewaffneter Legionäre rottete sich zu einem formlosen Haufen auf dem Hof zusammen. Man möge mir verzeihen, daß ich sie in der Dummheit meiner Jugend anbrüllte und ihnen Befehle erteilte, wozu ich gar nicht berechtigt war, da ich mich noch nicht bei Rubrius gemeldet hatte. Ich jagte sie im Laufschritt zur Mauer und wieder zurück und befahl ihnen, ordentlich anzutreten, dann bat ich den Zenturio, den Befehl zu übernehmen. Er stand breitbeinig vor mir, die Arme in die Seiten gestemmt und mit langen Bartstoppeln im Gesicht, und antwortete verblüfft: »Rubrius schläft noch nach einer schweren Nachtübung, und es geht nicht an, ihn zu wecken. Auch die Mannschaft ist müde von der Übung. Wie wäre es, wenn du erst einmal einen Schluck Wein mit mir tränkest und mir sagtest, wer du bist, woher du kommst und warum du stirnrunzelnd und zähneknirschend auf uns niederfährst wie der Kriegsgott selbst?«
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