Ich habe dagegen meinen Freigelassenen nie erlaubt, etwa Kreide unter das Weizenmehl oder gewisse Erdöle unter das Speiseöl zu mischen – Betrügereien, durch die sich schon so mancher unverschämte Emporkömmling ein Vermögen gemacht hat. Man kann für so etwas übrigens gekreuzigt werden! Ich sprach einmal mit Fenius Rufus darüber, als er noch Aufseher über die staatlichen Getreidelager und Mühlen war, selbstverständlich ohne Namen zu nennen. Er warnte mich und sagte mir, daß niemand in seiner Stellung im Falle einer Mehlverfälschung Nachsicht üben dürfe, wer auch immer der Schuldige sei. Man dürfe bestenfalls einmal eine auf See beschädigte Ladung aus den staatlichen Vorräten ersetzen, um einem Freund in der Not zu helfen, aber das sei auch schon alles. Zuletzt gestand er mir seufzend, daß er trotz seinem hohen Amte im Grunde eher arm bleiben mußte.
Von Fenius Rufus gehen meine Gedanken zu Tigellinus. Man hatte vor Nero schlecht über Tigellinus zu sprechen begonnen und flüsterte dem Kaiser warnend ins Ohr, er setzte, indem er mit ihm Umgang pflegte, seinen Ruf aufs Spiel. Allzu rasch sei Tigellinus nach seiner Ernennung zum Präfekten reich geworden, und die vielen unüberlegten Geschenke Neros genügten nicht als Erklärung, obgleich dieser die Gewohnheit hatte, seine Freunde so reich zu machen, daß sie in den Ämtern, in die er sie einsetzte, nicht der Versuchung erlagen, Bestechungsgelder anzunehmen. Wie weit es mit der Freundschaft wirklich her war, weiß man trotz allem nicht. Ich möchte behaupten, daß ein Gewaltherrscher gar keine echten Freunde haben kann.
Die schlimmste Anklage gegen Tigellinus war in Neros Augen die, daß er in jungen Jahren Agrippinas heimlicher Liebhaber gewesen und deshalb aus Rom verbannt und zu einem armseligen und gefährlichen Dasein verurteilt worden sei. Als Agrippina die Gemahlin des Claudius wurde, richtete sie es so ein, daß Tigellinus zurückkehren konnte und zugleich mit ihm auch Seneca, der seinerseits ein zweifelhaftes Verhältnis mit Agrippinas Schwester gehabt hatte. Ich glaube zwar nicht, daß Tigellinus und Agrippina ihre frühere Beziehung wieder aufnahmen – jedenfalls nicht, solange Claudius lebte –, aber eine gewisse Schwäche hatte er immer für sie gehabt, obwohl er dann ihre Ermordung aus politischen Gründen nicht verhindern konnte.
Wie dem auch sei: Nero hatte Ursache genug, den erfahrenen Fenius Rufus wieder neben Tigellinus zum zweiten Prätorianerpräfekten zu ernennen. Er behandelte die ausländischen Prozesse, und Tigellinus kümmerte sich um die militärischen Angelegenheiten. Tigellinus war begreiflicherweise erbittert, denn nun versiegten seine besten Einnahmequellen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ein Mensch noch so reich sein kann: er wird darum immer noch darauf bedacht sein, sein Vermögen zu vermehren. Das ist nicht tadelnswerte Habgier, sondern ein Streben, das gleichsam in der Natur des Reichtums begründet und stärker als der Mensch ist.
Aufgrund der verworrenen wirtschaftlichen Lage stiegen die Preise unaufhaltsam weiter, und schließlich machte die, Steigerung mehr aus als das Fünftel, um das Nero den Münzwert gesenkt hatte. Nero erließ zahllose Verordnungen, um die Preise zu halten und die Wucherer zu bestrafen, aber die Folge davon war nur, daß die Waren verschwanden. In den Hallen und auf dem Markt konnten die Leute bald weder Fleisch noch Linsen oder Grün und Wurzelgemüse kaufen, sondern mußten weite Wege aufs Land hinaus wandern oder sich an die Händler halten, die in der Morgendämmerung mit ihren Körben von, Haus zu Haus schlichen und den Ädilen trotzten, indem sie zu Oberpreisen verkauften.
Ein wirklicher Mangel herrschte bei alledem nicht. Es verhielt sich eben nur so, daß niemand seine Ware zu einem unnatürlichen Zwangspreis hergeben wollte, sondern lieber faulenzte oder seine Vorräte einschloß. Wenn man beispielsweise neue Festsandalen, eine gute Tunika oder auch nur eine Spange brauchte, mußte man zunächst einmal bitten und betteln, bis der Händler endlich die begehrte Ware unter dem Ladentisch hervorholte, und dann auch noch gegen das Gesetz verstoßen, indem man den richtigen Preis dafür zahlte.
Aus all diesen Gründen breitete sich die Verschwörung des Piso aus wie ein Lauffeuer, als bekannt wurde, daß einige entschlossene Männer, zumeist Angehörige des Ritterstandes, bereit waren, die Macht zu ergreifen und Nero zu stürzen, sobald sie sich einig waren, wie die Macht aufzuteilen sei und wer an die Stelle des Kaisers treten solle. Die Wirtschaftskrise bewirkte, daß man in der Verschwörung Roms einzige Rettung erblickte und um jeden Preis daran teilnehmen wollte. Sogar Neros engste Freunde hielten es für vorteilhaft, sie zu unterstützen. Man nahm selbstverständlich an, daß die Verschwörung glücken werde, denn nicht nur in Rom, sondern auch in den Provinzen herrschte allgemeine Unzufriedenheit, und es fehlte wahrhaftig nicht an Geld, um sich die Mitwirkung der Prätorianer zu sichern, wenn es einmal so weit war.
Fenius Rufus, der neben seinem Präfektenamt noch immer die Getreidevorräte verwaltete, weil man bis dahin keinen ehrlichen Mann gefunden hatte, schloß sich ohne Zögern der Verschwörung an. Er erlitt aufgrund der gewaltsam niedergehaltenen Getreidepreise ungeheure Verluste und war binnen kurzer Zeit verschuldet. Nero wollte nicht begreifen, daß die Staatskasse den Unterschied zwischen dem wirklichen Preis und dem Zwangspreis hätte ausgleichen müssen. Die Großgrundbesitzer in Ägypten und Afrika waren jedenfalls nicht bereit, ihr Getreide zum Zwangspreis zu verkaufen, sondern lagerten es lieber und ließen schlimmstenfalls die Felder brachliegen.
Außer Rufus schlossen sich von den Prätorianern sowohl Kriegstribunen als auch Zenturionen ganz offen der Verschwörung an. Die Prätorianer selbst waren verbittert, weil man ihnen ihren Sold mit den neuen Münzen und ohne eine entsprechende Erhöhung auszahlte. Die Verschwörer fühlten sich ihrer Sache so sicher, daß sie ihr Unternehmen, von einigen strategisch wichtigen italischen Städten abgesehen, ganz auf Rom beschränken wollten und jede Hilfe aus den Provinzen zurückwiesen, wodurch sie mächtige und einflußreiche Persönlichkeiten vor den Kopf stießen.
Meiner Ansicht nach war ihr größter Fehler der, daß sie glaubten, ohne Hilfe der Legionen auszukommen, obwohl zumindest die am Rhein und in Britannien stehenden ihnen sofort beigesprungen wären. Corbulo im Osten würde sich vermutlich nicht beteiligt haben, denn er war nur Feldherr und wollte dem gesetzlichen Herrscher des Reiches gehorchen. Er hatte nichts als seinen parthischen Krieg im Kopf, und im übrigen mangelte es ihm an politischem Ehrgeiz. Ich glaube, er war einer der wenigen, die nicht einmal gerüchtweise von dem Plan hörten.
Seit ich meine eigenen Angelegenheiten geordnet hatte, dachte ich wohl kaum noch an die Not des Volkes. Ich war nun fünfunddreißig Jahre alt. In diesem Alter ist ein Mann reif für eine wirkliche Leidenschaft und sehnt sich nach einer ebenbürtigen, erfahrenen Frau. Man hat genug mit unreifen Mädchen gespielt und kann in ihnen bestenfalls noch einen gelegentlichen Zeitvertreib sehen.
Es fällt mir noch immer schwer, offen über das zu sprechen. was nun folgte. Ich begann Antonia zu besuchen, in aller Heimlichkeit, wie man sich denken kann, und ging immer öfter zu ihr. Wir hatten einander so erstaunlich viel zu sagen, daß ich bisweilen ihr schönes Lusthaus auf dem Palatin erst in der Morgendämmerung verlassen konnte. Sie war eine Tochter des Claudius und hatte somit ihren Anteil an des Marcus Antonius verderbtem Blut. Zudem war sie mütterlicherseits eine Aelierin. Ihre Mutter war eine Adoptivschwester des Sejanus. Das dürfte dem Wissenden als Erklärung genügen.
Wenn Du, Julius, mich nun daran erinnern willst, daß auch Deine Mutter Claudia eine Tochter des Claudius ist, so muß ich dazu sagen, daß sie sich nach Deiner Geburt und auch schon nach ihrem früheren mühevollen Leben merklich beruhigt hatte und einem Manne keine rechte Gefährtin mehr war. Ich litt in diesen Dingen einen Mangel, der mich krank machte, bis die heiße Freundschaft mit Antonia mich heilte.
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