«Wir müssen die Stadt schnell einnehmen», sagte der König ernst. Dann trat er von der Brustwehr zurück. «Spricht der Heilige immer noch zu dir?», fragte er, und Hook war so erstaunt, dass sich der König an ihn erinnerte, dass er kein Wort über die Lippen brachte und nur hastig nickte. «Das ist gut», sagte Henry, «denn wenn Gott auf unserer Seite ist, dann kann uns nichts bezwingen. Denke immer daran!»Er warf Hook ein knappes Lächeln zu. «Und wir werden siegen», fügte er sanft hinzu, fast als spräche er wieder zu sich selbst. Dann ging er durch den Graben zurück zu der Sau, wo ein Dutzend Männer auf ihn warteten.
Und Hook ging schlafen.
Am nächsten Morgen wurde eine Kanone abgefeuert, und dann bebte die Erde.
Hook stand mit Sir John ganz vorne im Stollen, um noch einmal auf die Geräusche der französischen Stollengräber zu lauschen. Und mit einem Mal bebte die Erde, und die Binsenlichter flackerten heftig.
Alle kauerten sich im Halbdunkel nieder und lauschten angestrengt. Einer der Stollengräber hustete, und Hook wartete, bis sich der Nachhall des Hustens verflüchtigt hatte. Dann lauschte er. Lauschte. Lauschte auf den Tod.
Eine zweite Kanone feuerte, und die Erde zitterte, während die winzigen Flammen erneut tanzten und Staub rieselte und sich Erdklumpen von der Decke lösten, um in den Schlick auf dem Tunnelboden zu fallen. Das Grollen des Kanonenschusses schien niemals aufhören zu wollen. Dann folgte ein stöhnendes Geräusch, ein Knarzen, als ob sich die Eichenstützen unter dem Gewicht der Erde bögen, das sie trugen.
«Hook?», fragte Sir John.
Hook hörte einen kratzenden Ton, so schwach, dass er sich fragte, ob er ihn sich nur eingebildet hatte, aber dann kam ein gedämpftes Knacken, dem erneute Stille folgte. Nach einer Weile begann das Kratzen erneut, und dieses Mal war Hook sicher, es wirklich gehört zu haben. Die Männer im Tunnel beobachteten ihn besorgt. Er wechselte auf die andere Wandseite des Tunnels und legte ein Ohr an das Kalkgestein.
Kratzen. Hook sah Dafydd ap Traharn an. «Wie grabt Ihr jetzt, Sir?», fragte er.
«So, wie wir es immer machen», sagte der Waliser verwirrt.
«Zeigt Ihr es mir?»
Der Waliser nahm eine Spitzhacke, ging damit zur Stirnseite des Tunnels, und statt die Spitzhacke in das weiche Gestein zu schlagen, zog er es in einer natürlichen Spalte nach unten. Er wiederholte die Bewegung, vertiefte die Spalte, drückte dann die Metallspitze seines Werkzeugs hinein und versuchte einen Brocken Gestein zu lockern. Doch das Loch war noch nicht tief genug, sodass er erneut die Stahlspitze durch die Furche zog. Er kratzte an dem Gestein. Er arbeitete leise, wollte verhindern, dass die Franzosen hören könnten, wie nahe der Stollen schon an die Bastion reichte.
Er machte dasselbe Geräusch, das Hook hörte. Beide Seiten versuchten, so leise wie möglich zu arbeiten.
«Sie sind sehr nahe», sagte Hook.
« Cymorth ni, 0 Arglwydd », murmelte einer der Stollengräber und bekreuzigte sich.
«Wie nahe?», wollte Sir John wissen, ohne auf die Bitte um Gottes Beistand einzugehen.
«Das kann ich nicht sagen, Sir John.»
«Gott verdamme diese gottverdammten Bastarde», knurrte Sir John.
«Sie könnten auch über uns sein», warf Dafydd ap Traharn ein, «oder unter uns.»
«Man weiß, wann sie wirklich nahe herangekommen sind», sagte Hook, «denn dann hört man das Kratzen genau.»
«Kratzen?», fragte der Waliser.
«Das ist es, was ich höre, Sir.»
«Und dann hacken sie die letzten paar Fuß Erde durch», sagte Dafydd ap Traharn, «und stürzen sich auf uns wie die Dämonen aus der Hölle.»
«Aber wir erwarten sie», sagte Sir John. «Wir werden diesen Tunnel nicht aufgeben! Wir brauchen ihn! Wir werden unter der Erde gegen diese Bastarde kämpfen. Dann können wir es uns auch sparen, hinterher noch Gräber für sie auszuheben, was?»
Die Langbögen waren zu lang, um im Tunnel eingesetzt zu werden, und deshalb ließ Sir John um die Mittagszeit ein halbes Dutzend Armbrüste in den Stollen bringen. «Wenn sie durchbrechen», erklärte er Hook, «dann begrüß sie damit. Und anschließend benutzt ihr eure Kriegsäxte.»
Das feindliche Kratzen war jetzt lauter geworden, so laut, dass Dafydd ap Traharn entschied, es habe keinen Zweck, sich noch länger um möglichst leises Vorgehen zu bemühen. Die Männer begannen, ihre Spitzhacken zu schwingen, und erfüllten das Ende des Tunnels mit Lärm und einem feinen Staub, der zum Husten reizte. Immer wieder traf die Spitze einer Hacke auf Flintstein, sodass eine leuchtende Funkengarbe durch den dämmrigen Stollen flog. Die Funken sahen aus wie Sternschnuppen. Sie erinnerten Hook daran, dass sich seine Großmutter bei ihrem Anblick jedes Mal bekreuzigt hatte. Dazu hatte sie hastig ein Gebet aufgesagt und behauptet, dass es von den dahinschießenden Sternen mitgenommen würde. Er schloss die Augen, wenn die Funken flogen, und betete für Melisande und für Pater Christopher und für seinen Bruder Michael. Michael wenigstens war in England, weit weg von den Perrill-Brüdern und ihrem geisteskranken Priester-Vater. «Noch ein Tag Arbeit», sagte Dafydd ap Traharn und unterbrach Hook damit in seinen Gedanken an zu Hause, «und wir können damit anfangen, die Kammer zu bauen. Und dann lassen wir den Turm der Barbakane einstürzen wie die Mauern von Jericho!»
Die Feldkämpfer und die Bogenschützen saßen an den Wänden des Tunnels und zogen ihre Füße ein, wenn die Stollengräber Erde hinaustrugen oder die Balken zum Abstützen hereinbrachten. Sie lauschten auf die Geräusche der französischen Stollengräber. Sie waren nicht mehr zu überhören, und sie hörten sich an wie eine Drohung. Sie kamen aus Richtung Norden, von wo der Feind offenkundig mit einer Gegengrabung auf den Tunnel der Engländer treffen wollte. Im staubigen Licht der schwachen Flammen beobachtete Hook die Wand des Tunnels. Jeden Moment erwartete er, dass sich dort ein großes Loch auftat, durch das ein bewaffneter Feind brechen würde. Sir John verbrachte den größten Teil des Nachmittags mit gezogenem Schwert und düsterer Miene im Tunnel. «Wir müssen sie in ihr Loch zurücktreiben», sagte er, «und dann ihren Stollen zum Einsturz bringen. Mein Gott, hier unten riecht es wie in einer Abortgrube !»
«Es ist ja auch eine Abortgrube», sagte Dafydd ap Traharn trocken. Einige der Stollengräber waren krank geworden und beschmutzten den feuchten Schlickuntergrund.
Sir John verließ den Tunnel erst am Spätnachmittag und schickte eine Stunde später einen Trupp, der die Tunnelwache ablösen sollte. Die neuen Männer kamen in gebückter Haltung durch den Tunnel und warfen im Halbdunkel monströse Schatten an die Wände. «Gott steh mir bei», knurrte eine Stimme, «diese Luft ist ja nicht zu atmen.»
«Ihr habt Armbrüste für uns, oder?», fragte eine andere Stimme.
«Ja, haben wir», bestätigte Hook, «und sie sind gespannt.»
«Gut, dann lasst sie für uns so», sagte der Mann und bemühte sich, die Bogenschützen zu erkennen, die er ablöste. «Hook? Bist du das?»
«Sir Edward!», sagte Hook. Sir Edward Derwent, Lord Slaytons Mann, der Hook in London vor dem Hausgericht und dessen unausweichlichem Urteil gerettet hatte, lächelte ihn im Halbdunkel an. «Ich habe schon gehört, dass du hier bist», sagte er, «wie geht es dir?»
«Ich lebe noch», sagte Hook und grinste.
«Gott sei's gedankt, obwohl nur Gott weiß, wie hier unten irgendwer überleben kann.»Sir Edward, dessen vernarbtes Gesicht halb von seinem Helm verdeckt wurde, lauschte auf die verdächtigen Geräusche. «Klingt, als wären sie sehr nahe!»
«Das glauben wir auch», sagte Hook.
«Aber man kann sich leicht täuschen», warf Dafydd ap Traharn ein, «sie könnten noch zehn Schritt entfernt sein. Unter der Erde sind Geräusche schwer einzuschätzen.»
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