Sieg werten sollen. Unglücklicherweise machte es sie jedoch wütend. Sie konnte nicht denken, wenn sie wütend war. Sie faßte sich, so gut es ging, rauschte um das Haus herum und betrat den Rasen; beim Anblick der drei Frauen, die steif wie Bilder in einer Fotogalerie dasaßen, hätte sie beinahe der Schlag getroffen. Eine dieser Frauen war Virgilia Hazard.
»Virgilia, ich bin fassungslos. Ich bin absolut fassungslos.«
»Hallo, Ashton.« Virgilia erhob sich. Sie war alt und schwer und wirkte in ihrem Kleid wie eine graue Maus. Ashton erinnerte sich an Virgilias früheres Benehmen. Ihre arroganten Äußerungen über Sitten und Gebräuche der Südstaaten. Ihre Lust auf schwarze Männer. Diese Frau war ein einziger Schandfleck. Ashton hätte ihr am liebsten ins Gesicht gespuckt, doch Mr. Herrington stand genau neben ihr. Er hätte das nicht gebilligt.
»Welch zauberhafte Überraschung«, sagte Ashton. »War dein Bruder zu beschäftigt, um ebenfalls zu kommen? Hat er dich heruntergeschickt, damit du für ihn die Hände ringst?«
Charles' Begleiterin, dieser kleine blonde Tramp, warf ihr einen wütenden Blick zu. Madeline schaute lediglich verzweifelt drein. Virgilia sagte: »Ich bedaure, daß George sich in Europa befindet.«
Ashton spitzte die Lippen. »Oh, welch ein Jammer.«
»Um Himmels willen!« rief Madeline. »Beladen wir den Wagen, und verschwinden wir von hier.«
»Einen Moment«, sagte Virgilia. »Charles und ich möchten Ashton vertraulich noch etwas sagen.«
Das überraschte die Besucher. Ashton sah, daß unten an dem zerstörten Dock Charles' häßlicher kleiner Junge wieder hinter den Gänsen herjagte. Sie studierte Virgilia, versuchte in ihrem
Gesicht irgendeine verborgene Absicht zu entdecken. Sie konnte nichts finden.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir irgend etwas Wesentliches zu besprechen hätten«, sagte sie. »Mont Royal gehört mir, und dabei bleibt's.«
»Ja, das stimmt. Trotzdem würden wir gern mit dir sprechen.«
Ashton neigte den Kopf und blinzelte. »Was meinen Sie, Fa-vor?«
»Ich sehe keinen Sinn darin, aber schaden kann es auch nicht.«
»Also gut.«
»Während Sie beschäftigt sind, kümmere ich mich um meine Angestellten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Ja, machen Sie nur«, zwitscherte Ashton. Charles warf Willa einen schnellen Blick zu, eine Art verschwörerisches Signal. Weder Ashton noch ihr Anwalt achteten darauf.
Virgilia raffte ihren grauen Rock mit der linken Hand zusammen. »Gehen wir hinein. Es wird nur einen Augenblick dauern.«
Ashtons Triumphgefühl trieb sie voran. Sie konnte es sich leisten, diesen geschlagenen Kötern gegenüber großzügig zu sein. Sie lächelte strahlend, als sie sich ohne Entschuldigung vor Virgilia in das billige kleine Zimmer drängte, das Madeline als Salon gedient hatte.
Alles war gepackt und türmte sich neben der Tür; lediglich auf einem Bord stand ein kleines Apothekerfläschchen aus dunklem, bernsteinfarbenem Glas. Schwaches Licht fiel durch den Fenstervorhang. Charles folgte den Frauen hinein. Er schloß die Tür und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. Seine Zigarre war erloschen, stank aber immer noch.
Ashtons Lächeln zitterte und schwand dahin; obwohl diese Menschen sie in keiner Weise mehr bedrohen konnten, war sie nervös. Sie räusperte sich und sagte zu Virgilia, auf den Ring an ihrer Hand deutend: »Meine Liebe, ist das ein Verlobungsring?«
»Ja.«
»Sehr hübsch. Gratuliere. Ich würde den Gentleman gern kennenlernen.« Ihr Tonfall versuchte auszudrücken: Ich würde den Mann gern kennenlernen, der verzweifelt genug ist, eine Kuh wie dich zu heiraten.
Virgilia schien es zu spüren. »Das glaube ich nicht. Er ist ein Farbiger.«
Das warf Ashton beinahe um. Selbst Charles schaute wie vom Donner gerührt drein. Ärger über diese merkwürdige Konfrontation in diesem dunklen, kahlen Zimmer stieg in Ashton auf. »Nun, das ist mal eine Neuigkeit. Ich frage mich, ob wir das nun hinter uns bringen könnten, was immer es auch sein mag.«
»Sofort«, sagte Virgilia. »Charles und ich möchten, daß du etwas unterschreibst, das ist alles.«
Ashton kicherte. »Unterschreiben? Meine Güte, wovon sprichst du?«
Virgilia griff nach dem Beutel, der auf einer Lattenkiste lag. Ihm entnahm sie ein einziges, zweifach gefaltetes Blatt Papier. Sie entfaltete es. »Das hier. In einer dieser Schachteln ist eine Feder. Es wird nur einen Moment dauern.«
»Was soll das? Wovon zum Teufel sprichst du?« Sie war wütend über den Mummenschanz.
»Ein ganz schlichtes, legales Dokument«, sagte Virgilia. »Eine Übertragung des Besitzes von Mont Royal auf Hazards in Pennsylvania, für einen Dollar und weitere Gegenleistungen.«
Das wirkte noch schockierender als die Nachricht von Virgi-lias Verlobung. Ashton riß Mund und Augen auf. Sie starrte sie fassungslos an, als wären sie verrückt. Sie gab jeden Schein von Höflichkeit auf.
»Du Yankee-Miststück. Du fette Hure. Wofür hältst du dich? Bist du besoffen?«
»Ich würde vorschlagen, du beruhigst dich«, sagte Charles.
»Du hältst dein Maul, du gottverdammter Taugenichts. Ihr seid beide reif fürs Narrenhaus. Es gibt nichts auf Gottes Erde, das mich bewegen könnte, dieses Papier zu unterzeichnen. Ihr seid Narren, wenn ihr das auch nur eine Sekunde lang geglaubt habt.«
»Vielleicht kann das deine Meinung ein bißchen beeinflussen«, sagte Virgilia. Von dem Bord nahm sie die bernsteinfarbene Flasche. Sie zeigte sie und holte den Stöpsel heraus.
Ashton kreischte schrill auf. »Oh, was bist du doch für eine Närrin - eine Idiotin! Ich habe dich schon immer für verrückt gehalten, jetzt bin ich mir sicher. Verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen. Charles, mach die Tür auf.«
Sie stürmte auf ihn zu, blieb dann abrupt stehen, als er, immer noch mit verschränkten Armen, nicht von der Stelle wich. Er erschreckte sie.
»Glaubst du«, Ashtons Stimme bebte ein bißchen, »glaubst du vielleicht, irgendein schäbiges kleines Geschenk könnte mich in irgendeiner Form beeinflussen? Mont Royal gehört mir, und ich werde es behalten.«
»Geschenk?« wiederholte Virgilia mit einem leicht verwirrten Lächeln. Das Lächeln verschwand wie weggewischt. »Für so was wie dich?« Ashton spürte, wie es ihr kalt über den Rücken lief. Was in Gottes Namen hatten sie vor? »Bleib stehen, Charles. Laß sie nicht raus.«
Ashtons wogender Busen verriet ihre Erregung. Sie schien ein Stückchen kleiner zu werden. Sie stemmte ihre Hände in den schwarzen Handschuhen in die Hüften. »Was geht hier vor? Was ist in dieser Flasche?«
Virgilia schwenkte den Stöpsel. »Das ist was für dein Gesicht, allerdings kein Parfüm.« Sie hielt die Flasche in die Höhe. »Vitriol.«
Charles sagte: »Schweflige Säure.«
Ashton schrie auf.
Virgilia störte das nicht. »Nur zu, schrei ruhig. Dein schwächlicher Anwalt ist zu seinen Helfern gegangen. Ansonsten hätte Willa ihn weggelockt. Für dieses Gespräch hier wirst du keinen Zeugen haben.«
Zitternd hielt Ashton still. Aus den Augenwinkeln schätzte sie die Entfernung zu Charles ein. Eine Fliege summte an Virgilias Stirn vorbei. Ashton ballte die Fäuste und schrie: »Favor!«
Schweigen. Virgilia lächelte verträumt. »Meine Liebe, es hat keinen Sinn. Selbst wenn er direkt vor der Tür stehen und sie aufbrechen würde, hätte ich noch genügend Zeit, dir das hier ins Gesicht zu schütten.« Ihr Lächeln verstärkte sich. »Du weißt, daß ich nicht zögern würde. Ich bin eine Yankee, und ich hasse dich und deine Sorte. Also würde ich vorschlagen, du unterschreibst. In der Schachtel rechts neben dir befindet sich eine alte Feder und etwas Tinte.«
»Ein solches Papier - taugt nichts«, tobte Ashton. »Ich kann damit vor Gericht gehen. Ich kann euch vor Gericht bringen. Ich muß nur sagen, ihr habt mich gezwungen.«
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