Alexandre Dumas der Ältere - Liebesdramen
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Dumas (père), Alexandre
Liebesdrahmen
Erster Theil
Erstes Capitel.
Welches allen ersten Capiteln gleicht
Wenn wir uns die Erlaubniß nehmen, unsere Leser nach Châteaudun zu führen, so sind mir im Voraus auf die Frage gefaßt: Was ist Châteaudun? wo liegt es?
Châteaudun ist die vormalige Hauptstadt der Grafschaft Dunois in Beauce. Und um jeder weitern Interpretation zuvorzukommen, setze ich hinzu, daß die Landschaft Beauce, welche in das Gebiet von Chartres, in Dunois und Vendomois zerfiel, ein prosaisches Aussehen hat und folglich den Poeten, Künstlern und andern Leuten, die keinen Werth auf Grundrenten legen, sehr häßlich erscheinen muß; wer hingegen fette Weizen- und Kleefelder mit einem gelb- und grüngestreiften Horizont den reizendsten Gebirgspartien der Alpen und Pyrenäen vorzieht, wird Beauce für das schönste Land der Welt halten.
Jeder Reisende, der durch dieses Land kommt, wird indeß zugeben, daß einige Bauminseln in diesem Getreidemeere, wie grüne Oasen in der Wüste, reizender scheinen, als sie wirklich sind.
Eine solche angenehme Unterbrechung der Einförmigkeit findet statt, wenn man, von Chartres kommend, über den Pappeln am Ufer des Loir den Höhenrücken bemerkt, auf welchem das Städtchen Châteaudun und das alte prächtige Schloß Montmorency erbaut ist.
Felsengruppen, Schluchten, grüne Bäume, mitten in der flachen, eintönigen Beauce! Man könnte die Landschaft, die sich plötzlich entrollt, für eine Theaterdecoration halten.
Diese liebliche Oase ist mit Schlössern und Landhäusern übersäet, deren Bewohner in sehr lebhaftem Verkehr mir einander stehen.
Dies war zumal im Anfange der Regierung Ludwig Philipps der Fall, in jener Zeit, wo wir Gelegenheit hatten, in einige Gesellschaftskreise von Châteaudun eingeführt zu werden und von den Ereignissen, die wir erzählen wollen, Kenntniß zu bekommen.
Es war die Zeit, wo eine jetzt in den Ehestandskatakomben begrabene Generation im vollen Glanz der Jugend strahlte, eine Generation, welche durch die von einer Revolution so gewaltsam geöffneten Thore um das Jahr 1832 in die große Welt einzog.
Es war ein seltsames Geschlecht, lebhaft, erregbar, leichtsinnig, gewissermaßen wie die Krieger des Kadmus, aus Drachenzähnen hervorgegangen, während eines kurzen Friedens zwischen zwei blutigen Kämpfen geboren, unter Trommelschlag aufgewachsen; ein Geschlecht, das in dem Alter, wo andere Kinder Ballspielen, nicht in Soldatenuniform, sondern in der Schälerjacke, mit der Flinte auf dem Rücken fortzog, um Paris zu vertheidigen.
Die Väter waren im Kampf gefallen; ihre nun verwaisten Söhne hatten sie kaum gekannt. Eines Morgens waren sie, wie einst Rodrigo zu Ximenes, auf blutbeflecktem Roß vor die Thür gekommen und ohne abzusteigen, nahmen sie Abschied von ihren Frauen, ließen sich ihre Kinder aufs Pferd reichen, küßten sie, gaben sie ihren Müttern zurück und ritten fort.
Als endlich der große Feldherr, der die Seele aller dieser Körper gewesen war, in einem Sturme verschwand und eine mit Pulverrauch angefüllte, von Blitzen durchzuckte Atmosphäre zurückließ, wankte die Generation auf den Trümmern eines für den Krieg gebornen Reiches. Sie war zum Frieden verurtheilt: in den Nächten träumte sie von den sandigen Ebenen Egyptens, von den schneebedeckten Bergen Syriens, und als sie erwachte, erblickte sie statt jenes Kriegsgottes, statt jener Heldengestalten mit Erstaunen eine schwerfällige sechsspännige vergoldete Kutsche, und in derselben einen bejahrten kränkelnden König, der für die alten Mäntel, von denen man die Bienen abgekratzt, neue mit Lilien besetzte Fracks austheilte.
Zwei Welten standen einander gegenüber: die bis zu Ludwig dem Heiligen zurückreichende Welt der Vergangenheit, und die mit Napoleon entstandene Welt der Gegenwart und Zukunft.
Und zwischen diesen beiden Welten, einem nur in flüchtigen Umrissen sichtbaren, aber furchtbar drohenden Gespenst gleich jene Göttin, die drei Jahre lang ein Schaffot als Thron erwählt und nach schweren blutigen Geburtswehen die Freiheit gebar.
Es war eine fieberhaft aufgeregte, aber ehrliche, würdevolle, überzeugungstreue Zeit. Der Börsenschwindel hatte unsere Gesellschaft noch nicht ergriffen; die Stunde hatte noch nicht geschlagen, wo ein Pair von Frankreich, ohne Aergerniß zu geben, sich unter die Coulissiers der Börse mischen konnte.
Es war daher natürlich, daß die jungen Leute, die das Fontanell der Spekulation noch nicht hatten, von einer unbeschreiblichen Unruhe getrieben und von thörichten, unerreichbaren Wünschen erfüllt, sich Hals über Kopf in zweckloses Beschäftigungen oder stürmische Genüsse stürzten. Alle Lebenskraft, alles Jugendfeuer vergeudeten sie in tollen Gelagen, unsinnigen Wetten und Glücksspielen, in Hetzjagden und Maitreffen. Die Lebemänner in der Provinz standen damals denen in Paris an wahnsinniger Verschwendung keineswegs nach; viele Trümmer geben noch heute Zeugniß davon.
Zu jener Zeit, die wir in dieser Hinsicht wahrhaft bevorzugt genannt haben, enthielt die Stadt Châteaudun mit ihren Umgebungen wohl zwanzig solcher unbeschäftigten Söhne vornehmer Familien, und dies trug nicht wenig dazu bei, der dortigen Gesellschaft den alten Ruf der heiteren, wenn auch nicht selten in Tollheit ausartenden Lebenslust zu erhalten.
Der auffallendste, wenn nicht angesehenste unter den dortigen Lions – dieses Wort war eben damals aufgekommen – war damals Marquis von Escoman.
Er war vermählt, aber er hatte die Ehe nur als ein Mittel betrachtet, seinen großen Aufwand fortzusetzen. Als guter Franzose hatte er bei der Wahl seiner Gattin nur die finanziellen Vortheile berücksichtigt, und das Geld seiner Frau glitt ihm eben so leicht und schnell durch die Finger, wie zuvor sein eigenes, oder vielmehr wie das Geld seines Vaters.
Der Marquis von Escoman war dreißig Jahre alt. Die Julirevolution hatte ihn als Unterlieutenant unter den Gardedragonern gefunden. Er war ein höchst liebenswürdiger, wenn auch nicht sehr tüchtiger Offizier, der viel häufiger aus Bällen in den Notizbüchern der Damen für Contretanz, Walzer und Polka, als in den Tabellen des Kriegsministeriums für das Avancement vorgemerkt war. Er würde indeß unter der ältern Linie der Bourbons immerhin Aussicht auf eine ehrenvolle Laufbahn gehabt haben, wenn die Julirevolution nicht ausgebrochen wäre.
Der Marquis hielt es unter seiner Würde, einem Bürgerkönige zu dienen, der baumwollene Handschuhe trug, zu Fuß mit einem Regenschirm unter dem Arme ausging und auf den Ruf des Pariser Pöbels auf dem Balcon erschien, dreimal grüßte und die Marseillaise sang. Er nahm seinen Abschied und ging nach Hause.
Er langweilte sich ungeheuer bis zur Eröffnung der Jagd, die einen Monat nach dem Regierungsantritt das neuen Königs folgte. Am 5. September nahm er seine Doppelflinte und durchstreifte in Begleitung seines Hühnerhundes die Felder; aber als die Rebhühner nicht mehr »halten« wollten, als das Glatteis die Hetzjagden unmöglich machte, sah sich der Marquis wieder auf die Gesellschaft ältlicher Damen, noch älterer Ludwigsritter und einiger eben aus der Schule entlassenen jungen Leute beschränkt und die Langweile wurde ihm bald unerträglich.
Er sah sich um und sann nach, was er wohl Gutes oder Böses unternehmen könne. Wir müssen ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er sich nicht mehr zu dem bösen Princip als zu dem guten hinneigte.
Die ländliche Einsamkeit war die Hauptschwierigkeit, die er zu überwinden hatte. Er mußte, wie die Spanier sagen, den Stier bei den Hörnern fassen. Er versuchte die Einöde zu bevölkern.
Eine der ersten Blüthen, welche die im Entstehen befindliche Gesellschaft trieb, war ein schönes Mädchen, welches sich der Marquis zur Geliebten erkor. Es war keine »Courtisane« mehr und auch noch keine »Lorette«, es war ein Mittelding zwischen beiden. Sie hieß Margarethe Gelis.
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