Alexandre Dumas der Ältere - Der Pastor von Ashbourn
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Alexandre Dumas (père)
Der Pastor von Ashbourn
Erster Band
I.
Der große Pope
Lassen Sie mich Ihnen den freundschaftlichen Titel College geben; denn nach meiner Meinung gebührt Ihnen dieser Titel, obgleich Sie ein gelehrter Doctor der Philosophie sind, und ich ein einfacher Dorfpastor bin; Sie haben für den Körper zu sorgen, wie ich für die Seelen zu sorgen habe; ich bereite zum Sterben vor, aber Sie bereiten zum Leben vor, und Gott allein vermöchte zu sagen, wer von uns Beiden das heiligste Amt bekleidet.
Freilich begegnet es mir zuweilen, mein lieber College, genöthigt zu sein, das zu verbessern, was Sie gemacht haben; Ihre unglückliche Schulphilosophie neigt sich immer ein wenig nach der heidnischen Seite, und ich bin oft berufen zu erkennen, daß, obschon die Iliade und die Bibel, der Phädon und das Evangelium, sehr schöne und besonders sehr beredtsame Dinge sind, die Iliade und die Bibel sich zuweilen widersprechen, der Phädon und das Evangelium nicht immer einverstanden sind. Und Sie werden wohl begreifen, mein lieber Petrus, daß, wenn solche Widersprüche sich in meiner Gegenwart zeigen, ich nicht anzunehmen vermag, daß der Phädon oder die Iliade Recht haben.
Aber haben wir, wie Sie mir in Ihrem letzten Briefe sagten, trotz dieser Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schriftstellern, die wir auslegen, und zwischen den Dingen, die wir lehren, die Hoffnung, daß es einen Punkt der Straße giebt, auf welchem unsere beiden Wege, so auseinander laufend sie auf den ersten Blick auch scheinen mögen, eines Tages zusammentreffen werden! Dieser Punkt ist der Glaube an die ewige Gerechtigkeit, und besser noch, auf die göttliche Barmherzigkeit, welche, ich bürge dafür, mein lieber Petrus, uns allen Beiden die guten Absichten anrechnen wird, ohne uns zu sehr über unsere Fehler oder unsere Irrthümer zu beunruhigen, welche ihren Ursprung in der menschlichen Schwäche gehabt haben.
Einstweilen, bis daß es dem Herrn gefällt, über uns in jener Welt zu verfügen, welche auf die unserige folgen soll, geben wir uns auf dieser, Jeder auf seiner Seite, einem Studium hin, welches auf den ersten Blick und mit oberflächlichem Auge betrachtet, dasselbe scheinen würde, während es dem Philosophen und dem Denker beträchtliche Verschiedenheiten zeigt.
Sie, mein lieber Petrus, Sie studiren den Menschen, und ich studire die Menschen.
Möchte es Ihnen auf Ihrer Seite besser gelingen, als es mir auf der meinigen, besonders bei meinem ersten Auftreten im Leben, gelungen ist!
Jetzt wünschen Sie dieses Studium des Menschen, das heißt des menschlichen Geschlechtes, durch einzelne Personen an mir zu machen, wie Sie es an Anderen gemacht haben. Sie behaupten in Ihrer Nachsicht für den armen Pastor, daß ich einige gute Eigenschaften habe; worauf ich dadurch antworte, daß ich mich beschuldige, große Fehler zu haben. Um sich eine bestimmte Meinung zwischen unseren beiden verschiedenen Meinungen zu schaffen, verlangen Sie, daß ich mich Ihren Augen so darstelle, wie ich aus den Händen meines Schöpfers hervorgegangen bin, – solus, pauper et nudus;– es sei, ich will von meinen Schultern jenen Mantel des Demüthigen gleiten lassen, durch dessen Löcher man oft das Herz des Hochmüthigen sieht. Erforschen Sie meine arme Person so langsam und so sorgfältig, als Sie wollen; ich werde nicht versuchen, Ihnen einen einzigen meiner Fehler oder eine einzige meiner Lächerlichkeiten zu verbergen; denn, wie ich hoffe, wird mich Gott um so mehr erheben, als ich mich erniedrigt haben werde.
Ich bin im Jahre 1728 in dem kleinen Dorfe Beeston geboren, dessen Pastor mein Vater war. Was meine Mutter anbelangt, so war sie die Tochter eines Bootsmannes auf einem Kauffahrteischiffe, der drei Jahre vor meiner Geburt in einem Sturme umkam, bei welchem das Schiff unterging , auf dem er diente, und auf welchem er sein kleines Hab und Gut hatte. Alles war daher mit ihm verloren, mit Ausnahme eines vortrefflichen Seefernrohres, das er einem seiner Freunde geliehen hatte, und das dieser Freund, der den Tag nicht wußte, an welchem mein Großvater unter Segel gehen sollte, ihm erst zwei Tage nach seiner Abreise zurückbrachte.
Ich führe die Thatsache an, weil dieses Fernrohr eine wichtige Rolle in meinem Leben spielt.
Aber das, was mein Vater in der Frau suchte, die er seinem Leben zugesellen wollte, das waren die Eigenschaften, welche das wahre Witthum der Gattin und die fromme Mitgift der Mutter ausmachen. Er bekümmerte sich daher um den Mangel des Vermögens nicht: er nahm meine Mutter arm, als Waise, kurz so wie sie das Unglück gemacht hatte, und das einzige Möbel, das sie in die Gütergemeinschaft mitbrachte, als sie die Schwelle der Thür des Pfarrhauses mit dem Titel als Gattin überschritt, war dieses vortreffliche Fernrohr, das man ehrerbietiger Weise über dem Kamine, als dem ehrenvollsten und dem am meisten in die Augen fallenden Orte des Hauses, aufhängte.
So jung ich auch sein mochte, mein Vater gab mir ein schönes Beispiel: er war fest, muthig, aufrichtig, sanft gegen die Armen, aber wenig schonend gegen die Vornehmen und die Reichen, indem er selbst den Gutsherrn des Dorfes weit strenger behandelte, als den Bettler, der ihn an der Thür der Kirche erwartete, um ihm die Hand hinzustrecken, und den er niemals ohne ein Almosen und einen Rath fortschickte, und weit eher mit dem ersten allein als mit dem zweiten ohne das erste; denn er meinte in diesem Falle, daß ein Almosen nicht durchaus nöthig hat, von einem Rathe begleitet zu sein, während der Rath sehr mager und sehr seicht ohne das Almosen ist. Aus dieser unparteiischen Geradheit und dieser unbeugsamen Würde ging hervor, daß er von dem einen Theile seiner Pfarrkinder geliebt und von dem andern geachtet war.
Es versteht sich von selbst, daß, wohlbegabt nach dem Herzen Gottes, es die Armen waren, die ihn liebten.
Was mich anbetrifft, so war es nicht einfach und allein Liebe, die ich für meinen Vater empfand, es war Ehrfurcht; mehr als Ehrfurcht, Bewunderung! Ich betrachtete ihn als ein erhabenes Geschöpf, als ein über der Menschheit stehendes Wesen, und ich hätte niemals gewagt, meine Lippen auf die Wangen und selbst auf die Hände tiefes würdigen Mannes zu drücken, wenn er mich nicht durch eine Aufforderung dazu berechtigt hätte, welche, damit ich ihr Folge leistete, zuweilen fast nöthig hatte, die Form eines Befehles anzunehmen.
Eines Tages, als ich mich, zu ihren Füßen auf einem Teppich liegend, bei meiner Mutter befand und in einem vor mir aufgeschlagenen Buche las, trat mein Vater mit einem Briefe in der Hand ein. Sein Gesicht strahlte, und es war leicht zu sehen, daß dieser Brief ihm irgend eine wichtige Nachricht überbracht hätte.
In der That, ein Verwandter, den wir in Southwell hatten, meldete meinem Vater, daß der berühmte Pope, welcher auf der Universität Oxford der Freund dieses selben Verwandten gewesen war, am folgenden Donnerstage auf seiner Reise nach York bei ihm einkehren sollte.
Er lud dem zu Folge meinen Vater, der ihn seit länger als zehn Jahren nicht gesehen hatte, ein, diese Gelegenheit zu benutzen, um ihn zu besuchen und zu gleicher Zeit Bekanntschaft mit dem Verfasser des Versuches über den Menschen und der Dunciade zu machen.
Diese Einladung war es, welche meinen Vater so vergnügt machte.
Ich fragte, wer Pope wäre.
– Der Verfasser des Buches, das Du in Händen hältst, antwortete mir mein Vater.
Und in der That, mein Vater hatte mir kurze Zeit vorher ein Geschenk mit der Uebersetzung der Iliade des berühmten Schriftstellers gemacht, die mit herrlichen Kupferstichen geschmückt war, welche eben so viel Antheil als der Text an meiner Bewunderung hatten.
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