Wilkie Collins - Das Geheimnis der Abtei

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Das Geheimnis der Abtei: краткое содержание, описание и аннотация

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Ich war ungefähr ein Jahr in der Abtei gewesen, als sie an einem Abende – dem letzten, den wir zusammen verlebten – gesprächiger als gewöhnlich war. Es wurde von der zwischen den Zwillingstöchtern bestehenden Ähnlichkeit gesprochen, und wir waren beide der Meinung, dass dieselbe nicht größer sei als die, welche häufig zwischen Geschwistern verschiedenen Alters bestehe.

»Ich sah einmal in früherer Zeit,« sagte sie, »eine wunderbare Ähnlichkeit, und unter sehr eigentümlichen Verhältnissen, die ich nie vergessen werde. Als ich im Jahre 1792 mit meinem Vater in Paris lebte, lag unsere Wohnung in einer Straße, welche von einem der Gefängnisse nach dem Platze der Guillotine führte. Unsere Zimmer befanden sich im unteren Stockwerke, und oft sahen wir den mit Verurteilten angefüllten Karren dicht an unseren Fenstern vorüber fahren. Es gewährte mir Unterhaltung, den verschiedenen Ausdruck ihrer Gesichter zu beobachten und mir zu vergegenwärtigen, wie jeder von ihnen seine letzte Szene spielen werde. Meistens las ich darin Stolz oder dumpfe Verzweiflung, aber zuweilen auch eitlen Mut, für den ich Bewunderung hegen, und nicht selten eitle Todesfurcht, die ich verachten musste. Eines Morgens, als Santerre und der hässliche Danton bei uns frühstückten, vernahm ich den wohlbekannten Ton des nahenden Karrens. Keiner verließ jedoch seinen Sitz, bis ein plötzliches Krachen und ein lautes Geschrei uns sämtlich an die Fenster lockte. Ein Rad war gebrochen, und da es vor unserem Hause geschah, so konnten wir die Personen im Karren deutlich sehen. Es waren ihrer acht und von gewöhnlicher Erscheinung, ausgenommen ein junges Mädchen, deren Gesicht unseren Fenstern gerade zugekehrt war. Sobald mein Vater und dessen Freunde ihrer gewahr wurden, entfuhr ihnen unwillkürlich ein Ausruf der Verwunderung, und ich selbst staunte nicht minder, denn das Gesicht schien mir so bekannt zu sein. Ich glaubte das Mädchen kennen zu müssen, obgleich ich wusste, dass es mir fremd war, und erst nach mehreren Minuten wurde mir klar, dass ich mein eigenes Bild betrachtete. Ich galt damals für hübsch,« fuhr sie mit einem gespenstigen Lächeln fort, »und das junge Mädchen war ohne Zweifel sehr schön. Ihre Hautfarbe, das Haar, die Züge und die Gestalt waren der meinigen so ähnlich, dass ich in einen Spiegel zu blicken glaubte. Wir sahen einander unverwandt an, und als das Rad wieder befestigt war und der Karren sich fortbewegte, lächelte sie und warf mir mit ihrer schönen weißen Hand ein Lebewohl zu. Da stand ich in Fülle der Gesundheit, mich des Lebens freuend, während sie nach wenigen Minuten ihren jugendlichen Kopf auf den Block legen und für immer vom Dasein scheiden musste! Ich erinnere mich, eine geheime Freude empfunden zu haben, dass unser Geschick ebenso verschieden war, wie unsere Züge ähnlich. Später habe ich oft an das arme Mädchen gedacht, – oft gewünscht, dass ich an ihrem Platze dem Schafott zugefahren sein möchte.«

Sie hielt inne, und jener Ausdruck von peinlicher Hilflosigkeit schlich über ihr Gesicht, so dass ich mich versucht fühlte, zu sagen:

»Ja, wenn wir in die Zukunft blicken könnten, so würde das Leben unerträglich sein. Es ist eine barmherzige Einrichtung der Vorsehung, dass sie uns verborgen bleibt.«

Augenblicklich verschwand jener weichere Ausdruck in ihren Zügen und stolzer Trotz funkelte in ihren glänzenden Augen, indem sie antwortete:

»Barmherzigkeit? Wer ist barmherzig? Was ist Barmherzigkeit? Ist es nicht abgeschmackt, Worte zu gebrauchen, die keine Bedeutung haben? Wo ist Barmherzigkeit zu finden? Nicht auf Erden, wo jedes Geschöpf dem anderen nachstellt, und nicht im Himmel, der kalt und erbarmungslos auf das Elend herab blickt! Leben heißt leiden!«

Ich war sehr froh, dass in diesem Augenblicke das Eintreten eines Dienstboten sie nötigte abzubrechen, und dass die Uhr der Abtei die Stunde verkündete, welche mir gestattete, das Zimmer zu verlassen. Die Dame hatte mich an diesem Abende in eine so unbehagliche Stimmung versetzt, dass ich längere Zeit sinnend in meinem Zimmer verweilte, ehe ich mich zu den Kindern begab. Sie war es, die den einzigen Schatten über mein damaliges Leben warf. Bequemlichkeiten jeder Art umgaben mich, meine Zöglinge machten Fortschritte und hegten große Anhänglichkeit für mich, und selbst die Dienstboten, dem Beispiele des höflichen Herrn folgend, beobachteten eine Artigkeit gegen mich, die ich früher von ihresgleichen nie erfahren hatte. Nur Lady Deighton trübte mein Leben zuweilen, da ich mich an ihre Eigentümlichkeiten nicht gewöhnen konnte. Oft erschreckte sie mich in solchem Grade, dass ich es nicht wieder vergessen kaonte und von einer quälenden Neugier in Betreff ihrer ergriffen wurde, wegen deren ich mir häufig Vorwürfe machte. Allein dies war im Vergleich mit den vielen Annehmlichkeiten meiner Stellung ein kleines Übel, und das Ende meiner Reflexionen über diesen Gegenstand war deshalb stets der Entschluss, in der Abtei zu bleiben und alles zu tun, was in meinen Kräften stand, um die Zuneigung der unglücklichen Frau zu gewinnen und ihre Leiden, welchen Ursprung sie auch haben mochten, zu erleichtern. Keine Ahnung hatte ich an jenem Abende davon, dass schon am folgenden Tage ein zufälliges Ereignis eintreten werde, welches in kurzer Zeit die ganze Familie zerstreuen und mich nötigen sollte, eine andere Heimat zu suchen.

Wie bereits erwähnt, stand die Abtei in einer wilden und entlegenen Gegend von Cornwall, und die Wege in der Umgebung waren deshalb meistens sehr schlecht und teilweise sogar gefährlich. Von dieser Beschaffenheit war namentlich ein Weg, welcher von dem nördlich hinter der Abtei gelegenen steilen Hügel herab und in die durch das Dorf laufende Landstraße führte. Auf demselben erlitten am Morgen nach der soeben geschilderten Unterhaltung mit Lady Deighton zwei Reisende, während sie in ihrem eigenen Wagen den Hügel herab fuhren, einen Unfall. Es kam die Nachricht nach der Abtei, dass in geringer Entfernung ein Wagen zerschellt und einer der darin befindlich gewesenen Herren auf der Stelle getötet, der andere aber schwer verletzt worden sei. Als Capitain Sinclair jedoch in Begleitung mehrerer Dienstboten den Ort des Unfalls erreichte, ergab sich, dass die Sache nicht so schlimm war, wie sie geschildert worden. Man fand einen Chig, dessen Rad und Deichsel zerbrochen, und dessen Pferd mit den abgerissenen Strängen entflohen war, und einen Herrn, welcher augenscheinlich in großer Pein an der Seite des Weges auf der Erde lag, und dem sein unverletzter Begleiter beizustehen versuchte. Sinclair schickte sogleich einen reitenden Boten nach dem zunächst wohnenden Arzte ab, und ließ dann den Verletzten auf Kissen nach der Abtei tragen und in einem Zimmer des unteren Stockes niederlegen. Der Leidende erholte sich bald so weit, dass er aufstehen konnte, und erklärte dann, keine anderen Verletzungen erlitten zu haben, als einen Stoß an den Kopf, von dem er betäubt worden, und, wie er fürchte, einen Knochenbruch am linken Arme. Der Wundarzt versicherte nach genauer Untersuchung dass es nur ein einfacher Bruch über dem Handgelenke sei, der in kurzer Zeit heilen werde. Über die Verletzung am Kopfe konnte er sich nicht so bestimmt aussprechen. Er verordnete Blutegel und kalte Umschläge und befahl, dass der Kranke sich mindestens zwei Tage lang in einem verdunkelten Zimmer völlig ruhig verhalte.

Das Gemach, wohin er gebracht worden war, lag im neueren Teile der Abtei und wurde schnell mit einem Bett und anderen Erfordernissen versehen; und nachdem die Blutegel ihr Werk verrichtet hatten, wurde der Kranke der Hut und Pflege unserer alten Haushälterin überlassen.

Als Capitain Sinclair hierauf mit dem anderen Fremden in unser Wohnzimmer trat, erkannte ich in letzterem einen mir seit mehreren Jahren bekannten Herrn. Er war der Oheim einer Schülerin, deren Erziehung ich vollendet hatte, und mit der ich seitdem in sehr inniger Beziehung geblieben war. Wir freuten uns beide, einander zu sehen, und er bat mich sodann, ihn als Mr. Davis, den Pfarrer von Stepworth in Sommersetshire, dem Hausherren vorzustellen, indem er bemerkte, dass sein verletzter Reisegefährte ein junger Rechtsgelehrter aus Schottland namens Mac Ivor, sei, mit dem er einen kleinen Ausflug unternommen habe. Capitain Sinclair, dessen menschenfreundlichen Herz sich besser mit seiner in Indien gewohnten Gastfreundschaft, als mit der in der Abtei üblichen Lebensweise vertrug, erklärte Mr. Davis, dass er und sein Gefährte sich so lange als seine Gäste ansehen müssten, bis letzterer ohne Nachteil die Reise fortsetzen könne.

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