»Scheren Sie sich zum Teufel!«
Der Herr Kapellmeister kommt, da er in der Oper dirigieren muß, nicht zum Abendbrot. Resi leistet dem Kind, wie in solchen Fällen immer, beim Essen Gesellschaft.
»Du ißt ja heute gar nix«, bemerkt die Resi vorwurfsvoll. »Und ausschauen tust grad zum Fürchten. Was hast denn?«
Lotte schüttelt den Kopf und schweigt.
Die Haushälterin ergreift die Kinderhand und läßt sie erschrocken fallen. »Du hast ja Fieber! Gleich gehst ins Bett!« Dann trägt sie, ächzend und schnaufend, das völlig apathische Geschöpf ins Kinderzimmer, zieht ihm die Kleider vom Leib und legt es ins Bett.
»Nichts dem Vati erzählen!« murmelt die Kleine. Ihre Zähne klappern. Resi türmt Kissen und Bettzeug übereinander. Dann rennt sie zum Telefon und ruft den Herrn Hofrat Strobl an.
Der alte Herr verspricht, sofort zu kommen. Er ist genauso aufgeregt wie die Resi.
Sie ruft in der Staatsoper an. »Gut is’!« antwortet man ihr. »In der Pause werden wir’s dem Herrn Kapellmeister ausrichten.«
Resi rast wieder ins Schlafzimmer. Das Kind schlägt um sich und stammelt wirres, unverständliches Zeug. Die Decken, Kissen und das Bettzeug liegen auf dem Boden.
Wenn bloß der Herr Hof rat käme! Was soll man machen? Umschläge? Aber was für welche? Kalte? Heiße? Nasse? Trockene?
In der Pause sitzt der befrackte Kapellmeister Palffy in der Garderobe der Sopranistin. Sie trinken einen Schluck Wein und fachsimpeln. Die Leute vom Theater reden immer vom Theater. Das ist nun einmal so. Da klopft es.
»Herein!«
Der Inspizient tritt ein. »Endlich find’ ich Sie, Herr Professor!« ruft der alte zapplige Mann. »Man hat aus der Rotenturmstraße angeläutet. Das Fräulein Tochter ist urplötzlich krank geworden. Der Herr Hofrat Strobl wurde sofort benachrichtigt und dürfte bereits am Krankenlager eingetroffen sein.«
Der Herr Kapellmeister sieht blaß aus. »Dank’ dir schön, Herlitschka«, sagt er leise. Der Inspizient geht.
»Hoffentlich ist es nichts Schlimmes«, meint die Sängerin. »Hat die Kleine schon die Masern gehabt?«
»Nein«, sagt er und steht auf. »Entschuldige, Mitzi!« Als die Tür hinter ihm zugefallen ist, kommt er ins Rennen.
Er telefoniert. »Hallo, Irene!«
»Ja, Liebling? Ist denn schon Schluß? Ich bin noch lange nicht ausgehfertig!«
Er berichtet hastig, was er soeben gehört hat. Dann sagt er: »Ich fürchte, wir können uns heute nicht sehen!«
»Natürlich nicht. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Hat die Kleine schon die Masern gehabt?«
»Nein«, antwortet er ungeduldig. »Ich rufe dich morgen früh wieder an.« Dann hängt er ein.
Ein Signal ertönt. Die Pause ist zu Ende. Die Oper und das Leben gehen weiter.
Endlich ist die Oper aus! Der Kapellmeister rast in der Rotenturmstraße die Stufen hinauf. Resi öffnet ihm. Sie hat noch den Hut auf, weil sie in der Nachtapotheke war.
Der Hofrat sitzt am Bett.
»Wie geht’s ihr denn?« fragt der Vater flüsternd.
»Nicht gut«, antwortet der Hofrat. »Aber Sie können ruhig laut sprechen. Ich hab’ ihr eine Spritze gegeben.«
Lottchen liegt hochrot und schwer atmend in den Kissen. Sie hat das Gesicht schmerzlich verzogen, als tue ihr der künstliche Schlaf, zu dem sie der alte Arzt gezwungen hat, sehr weh.
»Masern?«
»Keine Spur«, brummt der Hofrat.
Die Resi kommt ins Zimmer und schnüffelt die Tränen hinunter.
»Nun nehmen Sie schon endlich den Hut ab!« sagt der Kapellmeister nervös.
»Ach ja, gewiß! Entschuldigen S’!« Sie nimmt den Hut ab und behält ihn in der Hand.
Der Hofrat schaut die beiden fragend an. »Das Kind macht offenbar eine schwere seelische Krise durch«, meint er. »Wissen Sie davon? Nein? Haben Sie wenigstens eine Vermutung?«
Resi sagt: »Ich weiß freilich nicht, ob’s damit etwas zu schaffen hat, aber. Heut nachmittag ist sie ausgegangen. Weil sie wen sprechen müßt’! Und eh sie ging, hat sie g’fragt, wie sie am besten zur Cobenzlgasse käme.«
»Zur Cobenzlgasse?« fragt der Hofrat und schaut zu dem
Kapellmeister hin.
Palffy geht rasch nebenan und telefoniert. »War Luise heute nachmittag bei dir?«
»Ja«, sagt eine weibliche Stimme. »Aber wieso erzählt sie dir das?«
Er gibt darauf keine Antwort, sondern fragt weiter: »Und was wollte sie?«
Fräulein Gerlach lacht ärgerlich. »Das laß dir nur auch von ihr erzählen!«
»Antworte bitte!« Ein Glück, daß sie sein Gesicht nicht sehen kann!
»Wenn man’s genau nimmt, kam sie, um mir zu verbieten, deine Frau zu werden!« erwidert sie gereizt.
Er murmelt etwas und legt den Hörer auf.
»Was fehlt ihr denn?« fragt Fräulein Gerlach. Dann merkt sie, daß das Gespräch getrennt ist. »So ein kleines Biest!« sagt sie halblaut. »Kämpft mit allen Mitteln! Legt sich hin und spielt krank!«
Der Hofrat verabschiedet sich und gibt noch einige Anweisungen. Der Kapellmeister hält ihn an der Tür zurück. »Was fehlt dem Kind?«
»Nervenfieber. - Ich komm’ morgen in der Früh wieder vorbei. Gute Nacht wünsch’ ich.«
Der Kapellmeister geht ins Kinderzimmer, setzt sich neben das Bett und sagt zu Resi: »Ich brauch’ Sie nicht mehr. Schlafen Sie gut!«
»Aber es ist doch besser.«
Er schaut sie an.
Sie geht. Sie hat den Hut noch immer in der Hand.
Er streichelt das kleine heiße Gesicht. Das Kind erschrickt im Fieberschlaf und wirft sich wild zur Seite.
Der Vater sieht sich im Zimmer um. Der Schulranzen liegt fertig gepackt auf dem Pultsitz. Daneben hockt Christi, die Puppe.
Er steht leise auf, holt die Puppe, löscht das Licht aus und setzt sich wieder ans Bett.
Nun sitzt er im Dunkeln und streichelt die Puppe, als wäre sie das Kind. Ein Kind, das vor seiner Hand nicht erschrickt.
Herrn Eipeldauers Fotos stiften Verwirrung - Ja, ist es denn überhaupt Lotte? Fräulein Linnekogel wird ins Vertrauen gezogen - Verbrannte Schweinsripperln und zerbrochenes Geschirr - Luise beichtet fast alles - Warum antwortet Lotte nicht mehr?
Der Chefredakteur der »Münchner Illustrierten«, Doktor Bernau, stöhnt auf. »Sauregurkenzeit, meine Liebe! Wo sollen wir ein aktuelles Titelbild hernehmen und nicht stehlen?«
Frau Körner, die an seinem Schreibtisch steht, sagt: »Neo-preß hat Fotos von der neuen Meisterin im Brustschwimmen geschickt.«
»Ist sie hübsch?«
Die junge Frau lächelt. »Fürs Schwimmen reicht es.«
Doktor Bernau winkt entmutigt ab. Dann kramt er auf dem Tisch. »Ich hab’ doch da neulich von irgend so ‘nem ulkigen Dorflichtbildkünstler Fotos geschickt gekriegt! Zwillinge waren darauf!« Er wühlt zwischen Aktendeckeln und Zeitungen. »Paar reizende kleine Mädels! Zum Schießen ähnlich! He, wo seid ihr denn, ihr kleinen Frauenzimmer? So etwas gefällt dem Publikum immer. Eine gefällige Unterschrift dazu. Wenn schon nichts Aktuelles, dann eben hübsche Zwillinge! Na endlich!« Er hat das Kuvert mit den Fotos entdeckt, schaut die Bilder an und nickt beifällig. »Wird gemacht, Frau Körner!« Er reicht ihr die Fotos.
Nach einiger Zeit blickt er schließlich auf, weil seine Mitarbeiterin nichts sagt. »Nanu!« ruft er. »Sie stehen ja da wie Lots Weib als Salzsäule! Ist Ihnen schlecht geworden?«
»Ein bißchen, Herr Doktor.« Ihre Stimme schwankt. »Es geht schon wieder.« Sie starrt auf die Fotos. Sie liest den Absender. »Josef Eipeldauer, Fotograf. Seebühl am Bühlsee.«
In ihrem Kopf dreht sich alles.
»Suchen Sie das geeignetste Bild aus und dichten Sie eine Unterschrift, daß unseren Lesern das Herz im Leibe lacht! Sie können das ja erstklassig!«
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