In jenem Winter hörte die Gräfin von Vandenesse die laute Stimme der Welt an ihr Ohr dröhnen, und der Sturmwind umpfiff sie. Ihre angeblichen Freundinnen, die ihren Ruf durch den Klang ihrer Namen und die Höhe ihrer Stellung in Händen hielten, malten ihr häufig die verführerische Gestalt des Liebhabers aus und warfen in ihre Seele Feuerworte über die Liebe, – des Rätsels Lösung, das den Frauen das Leben aufgibt, die große Leidenschaft, die nach dem Wort der Frau von Staël ein Beispiel gibt. Fragte die Gräfin in kleinem Kreise naiv, welcher Unterschied zwischen einem Liebhaber und einem Gatten bestände, so antwortete ihr jede der Damen, die Vandenesse ein Unglück wünschten, unfehlbar in einer Weise, die ihre Neugier stachelte, ihre Phantasie erregte, ihr Herz packte und ihre Seele fesselte.
»Mit seinem Gatten vegetiert man nur, meine Liebe, mit einem Liebhaber lebt man,« sagte ihre Schwägerin, die Marquise von Vandenesse.
»Die Ehe, mein Kind, ist unser Fegefeuer, die Liebe ist das Paradies,« sagte Lady Dudley.
»Glauben Sie es nicht!« rief Fräulein Destouches aus, »sie ist die Hölle!«
»Aber eine Hölle, in der man liebt,« bemerkte die Marquise von Rochefide. »Man hat oft mehr Freude am Leiden als am Glück, siehe die Märtyrer!«
»An der Seite eines Gatten, kleine Unschuld,« sagte die Marquise von Espard, »leben wir sozusagen unser eignes Leben. Aber lieben, das heißt das Leben eines andern leben.«
»Ein Liebhaber ist die verbotene Frucht, ein Wort, das für mich alles sagt,« lachte die hübsche Moïna von Saint-Hérem.
Ging die Gräfin nicht zu einem diplomatischen Rout oder zum Ball bei reichen Ausländerinnen, wie Lady Dudley oder die Gräfin Galathionne, so fuhr sie fast allabendlich in die Oper oder ins italienische Theater und nachher in eine Gesellschaft, sei es zur Marquise von Espard, zur Marquise von Listomère, Fräulein Destouches, der Gräfin Montcornet oder der Vicomtesse von Grandlieu, den einzigen offenen aristokratischen Häusern, und nie kehrte sie heim, ohne dass eine schlimme Saat in ihr Herz gesät ward. Man riet ihr, »sich auszuleben«, wie der damalige Modeausdruck lautete, und »verstanden zu werden«, auch ein Wort, dem die Frauen merkwürdige Bedeutung geben. Sie kehrte unruhig, erregt, neugierig und versonnen heim. Sie fand eine gewisse Leere in ihrem Leben, aber sie ging nicht so weit, es für völlig leer zu halten.
Die amüsanteste, aber auch die gemischteste Gesellschaft von all den Salons, in denen Frau Felix von Vandenesse verkehrte, fand sie bei der Gräfin von Montcornet, einer reizenden kleinen Dame, die berühmte Künstler, die Spitzen der Finanz und hervorragende Schriftsteller empfing, aber erst, nachdem sie sie einer strengen Prüfung unterworfen hatte, so dass auch die anspruchsvollsten Gesellschaftsmenschen nicht zu fürchten brauchten, irgendwen dort zu treffen, der zur zweiten Gesellschaft gehörte. Die größten Ansprüche fanden hier ihr Genüge. Während des Winters, wo die Gesellschaft sich wieder zusammenfand, hatten einige Salons, darunter die der Frau von Espard und von Listomère, des Fräuleins Destouches und der Herzogin von Grandlieu, neue Gäste unter den neuen Größen der Kunst, Wissenschaft, Literatur und Politik gewonnen. Die Gesellschaft verliert ihre Rechte nie, sie will stets unterhalten sein. Bei einem Konzert, das die Gräfin gegen Ende des Winters gab, erschien bei ihr eine der zeitgenössischen Berühmtheiten der Literatur und Politik, Raoul Nathan. Eingeführt hatte ihn einer der geistreichsten, aber trägsten Schriftsteller der Zeit, Emil Blondet, auch eine Berühmtheit, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit, von den Journalisten gerühmt, aber außerhalb des Faches unbekannt. Das wusste Blondet auch; überdies machte er sich keine Illusionen und sagte unter andern verächtlichen Worten, der Ruhm sei ein Gift, das man nur in kleinen Dosen nehmen dürfe.
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