Warum haben wir nun Männer und Frauen, »echte Männer« und Muttersöhnchen so konsequent voneinander getrennt? Weil es uns als der beste Weg erschien, die Muster und Verknüpfungen zu verdeutlichen, die sich durch die verschiedenen Rock-Zeitalter ziehen. Wenn es um Geschlechtsunterschiede geht, teilen wir die argwöhnische, aber pragmatische Sichtweise von Gilles Deleuze und Felix Guattari auf die Dualismen, die »der Feind sind, aber ein unbedingt notwendiger Feind, das Mobiliar, das wir immer wieder verschieben.«
Von Dualismus zu Duo-lismus: die Probleme, die unweigerlich auftreten, wenn zwei Menschen als einzelne Stimme auftreten. Unsere gemischtgeschlechtliche Partnerschaft war Vor- und Nachteil. Wir konnten unsere jeweiligen Vorurteile und blinden Flecken aufdecken, fanden es aber auch schwierig, geradewegs über unsere individuellen Erfahrungen aus Gender-Perspektive zu schreiben. Manches Mal waren wir versucht, dieses neutrale, univoke »Wir« aufzulösen und den Text hin zu einer internen Meinungsverschiedenheit zu öffnen. (Wir spielten sogar mit dem Gedanken, zwei unterschiedliche Schriftarten zu verwenden, hielten das dann aber doch nur für eine derridaeske Masche.)
Dies ist kein allumfassendes Buch. Dazu springen wir zu sehr in Zeit und Raum herum, um Gedankengänge, Themen, Traditionen, Eigenschaften, Metaphern und Obsessionen nachzuzeichnen. Wir ignorieren viele bedeutende Figuren und lenken das Scheinwerferlicht dafür auf ein paar unbekannte Künstlerinnen und Künstler, weil sie bestimmte Tendenzen auf die Spitze treiben und damit mehr offenlegen. Ältere Bücher über »Gender und Rock« beschäftigten sich größtenteils mit dem Kampf gegen Chauvinismus oder routiniertere Formen von Sexismus in der Musikindustrie (wie im Heavy Metal oder Gangsta Rap). Derart unverfrorene Fälle von Misogynie sind unserer Meinung nach selbsterklärend, also haben wir uns stattdessen auf das konzentriert, was nicht so offensichtlich ist: den misogynen Subtext, die unsichtbare Komplizenschaft bei der Aufrechterhaltung patriarchaler Werte – beide oft unter dem scheinbar Subversiven und Progressiven verborgen. Wir sind davon fasziniert, wie das, was nach »Freiheit« klingt und sich auch so anfühlt – zum Beispiel die Musik der Rolling Stones, der Stooges oder der Sex Pistols –, die Saat der Herrschaft in sich tragen kann.
Iggy Pop sagte einmal über die Frauen in seinem Leben: »Wie nah sie auch kommen, ich ziehe ihnen immer den Boden unter den Füßen weg. Dort wird meine Musik gemacht.« Das ist Rock ’n’ Roll in excelsis : Diese männliche Ungezähmtheit, Feindseligkeit, Stärke ist seine ESSENZ. Eines unserer Ziele war es, herauszufinden, ob es möglich ist, sich einen Rock ’n’ Roll vorzustellen, der nicht von dieser gewaltsamen Leidenschaftlichkeit angetrieben wird.
Sex Revolts ist kein Versuch, diese Rockrebellen vor ein sexualpolitisches Tribunal zu bringen – es ist mehr eine Vernehmung als eine Gerichtsverhandlung. Wir mögen fast alle Künstler in diesem Buch – was auch immer das aussagen mag. Manche der »schlimmsten Fälle« – Stones, Stooges, Nick Cave etc. – gehören zu unseren absoluten Favoriten. Unsere These ist schlicht, dass das Hochgefühl, das diese Künstler in uns auslösen, nicht von ihrer Verwurzelung in »problematischer« Gender-Politik zu trennen ist. Was diese Rebellen so eindrucksvoll macht, ist die psychosexuelle Dynamik des Ausbrechens.
Natürlich ist es möglich, der Energie der Rockmusik zu verfallen, ohne mit ihrem antiweiblichen Impetus übereinzustimmen oder sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Jahrzehntelang haben Frauen Befreiung in Musik gefunden, die – im kalten, leidenschaftslosen Licht der Kulturanalyse – ganz klar repressiv erscheint (z. B. Led Zeppelin, Guns N’ Roses). Es ist ein bisschen so, wie vom Flug einer Rakete gefesselt zu sein und dabei ihren Treibstoff (Misogynie) und ihr Ziel (du!) zu ignorieren. Oder voller Ehrfurcht vor den Pyramiden zu stehen und dabei das endlose Leid der Sklaven, die sie erbauen mussten, zu vergessen.
Wer jedoch den Pfad des kritischen Bewusstseins wählt und das psychosexuelle Fundament von Rock seziert, erreicht dabei schnell eine interessante Zwischenebene voller ambivalenter Zugehörigkeitsgefühle – hin- und hergerissen zwischen Fan-Dasein und Feminismus, zwischen Ästhetik und Ethik. Ellen Willis hat diese Ambivalenz in ihrem Essay »Beginning to See the Light« eingefangen, in dem sie mit dem augenscheinlichen Widerspruch ringt, dass die Anti-Abtreibungs-Tirade »Bodies« von den Sex Pistols sie, eine Feministin, viel mehr begeistert als die heilsame Positivität der meisten »Frauen-Musik«: »Musik, die ganz dreist und aggressiv ausformulierte, was der Sänger wollte, liebte und hasste – so wie guter Rock ’n’ Roll es tat –, forderte mich dazu heraus, dasselbe zu tun, und so ermutigte mich die Form – selbst wenn der Inhalt antiweiblich, antisexuell, in einem bestimmten Sinne antimenschlich war –, meinen eigenen Befreiungskampf aufzunehmen. Auf ähnliche Weise fühlte ich mich bei zahmer Musik gezähmt, was auch immer ihre vordergründige Aussage war.«
Von diesem Paradox war unser Denken von Anfang an geprägt, noch bevor wir Willis’ Buch öffneten, um es in aller Deutlichkeit nachlesen zu können. Wir haben das Dilemma von Ästhetik vs. Ethik, von Leidenschaft vs. Verantwortungsbewusstsein auch sicher nicht gelöst. Wir haben uns nur auf eine lose Waffenruhe geeinigt. Manchmal fragten wir uns, ob wir jemals wieder unvoreingenommen Stones oder Stooges würden hören können. Auch wenn unser Vergnügen unberührt geblieben ist, merken wir, dass unsere Hingabe auf dem Prüfstand steht, unser Hörerlebnis unter dem Schatten dessen liegt, was wir zu Tage gefördert haben. Sagt also nicht, wir hätten euch nicht gewarnt.
Teil 1
ANGRY YOUNG MEN: VORLÄUFER UND PROTOTYPEN DER ROCKREBELLION
»Man ist immer noch an die Mutter gebunden. Jegliche Rebellion war Illusion, der krampfhafte Versuch, diese Bindung zu verschleiern […]. Für immer draußen! Auf der Türschwelle des Mutterleibes.«
Henry Miller (über Arthur Rimbaud)
Rebellen gibt es in den verschiedensten Formen und Größen. Manche werden von den Fesseln ihres sozialen Umfeldes zur Revolte getrieben. Es gibt ausdauernde Rebellen ohne eigentlichen Grund (wie Marlon Brandos Biker in Der Wilde , der, als er gefragt wird, wogegen er denn rebelliere, entgegnet: »Was hast du denn zu bieten?«). Und es gibt Rebellen, die nach Gründen suchen, um ihr aufständisches Verhalten zu rechtfertigen. Was ist es, das diese Jungs verbindet? Genau: ihre Maskulinität.
Sie ist schließlich das, was man mit »dem Rebellen« als Erstes verbindet. Unsere These lautet, dass – was auch immer der vordergründige Prä- oder Kontext ist – ein großer Teil des psychologischen Antriebs jeder Rebellion in dem Drang liegt, sich von seiner Mutter zu distanzieren. In der männlichen Rebellion wird jener Ur-Bruch nachgestellt, der das männliche Ego begründet: die Trennung des Kindes vom mütterlichen Reich, die Vertreibung aus dem Paradies. Der Rebell wiederholt den Prozess der Selbstwerdung in endlosen Trennungsriten, flieht kontinuierlich vor der Häuslichkeit. Dass diese Flucht mit Reue verbunden ist, ist unausweichlich und führt oft – wie in der Musik der Rolling Stones und von Jimi Hendrix – zu einer Suche nach einer neuen Heimat; die Rastlosigkeit lässt nach und kommt schließlich in einer mystischen oder idealisierten Idylle zur Ruhe. Wie Nietzsche es ausdrückte: »Damit ein Heiligtum aufgerichtet werden kann, muss ein Heiligtum zerbrochen werden.«
So kann der Rebell eine abstrakte Feminität bewundern (eine Heimat fern der Heimat) und gleichzeitig echte Frauen fürchten und verabscheuen. Er kann sich nach dem Mutterleib und einer idealisierten Partnerin als Mutterersatz sehnen und gleichzeitig Frauen aus Fleisch und Blut in seiner Nähe meiden oder schlecht behandeln. In der Vorstellung des Rebellen sind Frauen gleichzeitig Opfer und Täterinnen im Namen der Konformität, die eine Bedrohung für seine Männlichkeit darstellt. Frauen repräsentieren alles, was der Rebell nicht hat (Passivität, Zurückhaltung), und alles, was ihn zu binden droht (Häuslichkeit, soziale Normen). Für alle klassischen Beispiele der Rockrebellion ist diese Ambivalenz zentral, von den Stones über The Doors, Led Zeppelin, Iggy Pop und The Stooges zu den Sex Pistols, Guns N’ Roses und Nirvana.
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