Simon Reynolds
Glitter Rock und Art Pop von den Siebzigern bis ins 21. Jahrhundert
Aus dem Englischen von Jan-Niklas Jäger
Aus dem Englischen von Jan-Niklas Jäger,
Übersetzung der Kapitel »Zeitmaschinen« und
»Barock ’n’ Roll« von Tanita Sauf
Abbildungen: Archiv Simon Reynolds,
Copyright bei den Labels/Verlagen
© 2016 by Simon Reynolds. All rights reserved.
Originaltitel: »Shock and Awe. Glam Rock and its Legacy«,
erschienen bei Faber and Faber Ltd. Großbritannien
© der deutschen Übersetzung:
Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz,
November 2017
Abdruck, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher
Erlaubnis des Verlages. Alle Rechte vorbehalten.
1. Auflage 2017
print-ISBN 978-3-95575-080-0
e-ISBN 978-3-95575591-1
Gesamtgestaltung und Satz: Oliver Schmitt
Druck und Bindung: Buchdruck Zentrum
Ventil Verlag, Boppstr. 25, 55118 Mainz
www.ventil-verlag.de
Einleitung
Boogie Poet: Marc Bolan und T. Rex
John’s Children – Tyrannosaurus Rex – T. Rex
The London Boy: Bowies Anfänge
David Bowie – Anthony Newley – Lindsay Kemp – Oscar Wilde
Elected: Alice Cooper und Schock Rock
Alice Cooper
Teenage Rampage: Glitter Stomp und Disco Rock
Slade – The Sweet – Mud – Suzi Quatro – Gary Glitter – Junkshop-Glam – Hello
Hard to Be Real: David Bowie und Freunde erobern die Welt
David Bowie – Lou Reed – Mott the Hoople – Iggy and the Stooges – Jobriath
Welches Datum haben wir noch mal? Die retrofuturistischen Visionen von Roxy Music
Roxy Music – David Bowies Pinups – Bryan Ferry
Trash City: New York Dolls und Wayne County
Wayne County – Theatre of the Ridiculous – The Cockettes – John Waters und Divine – Andy Warhol und Paul Morrissey – New York Dolls
Zeitmaschinen: Flashbacks aus den 1950ern und Rock-’n’-Roll-Reminiszenzen
Rock Dreams – Wizzard – The Moodies – David Essex – Rock Follies – The Rocky Horror Picture Show
Barock ’n’ Roll: Der späte Glam Rock
Steve Harley und Cockney Rebel – Sparks – Jet – Queen – Be-Bop Deluxe
Run for the Shadows: Bowie vs. Los Angeles
David Bowie – The English Disco – Silverhead – Zolar X – Les Petites Bonbons – Der Mann, der vom Himmel fiel
Ultraviolence: Punk before Punk
Heavy Metal Kids – The Sensational Alex Harvey Band – The Tubes – The Runaways – Doctors of Madness – Ultravox
Just Another Hero: Bowies Berlin
David Bowie – Iggy Pop – Kraftwerk – Brian Eno
Nachbeben: Eine unvollständige Bestandsaufnahme der Echos und Spiegelungen von Glam :
Johnny Rotten – Poly Styrene – Siouxsie Sioux – Kate Bush – Japan – Grace Jones – Klaus Nomi – Steve Strange – Adam Ant – Bauhaus – Prince – Bryan Ferry – Morrissey – Leigh Bowery – Hair Metal – Madonna – Suede – Marilyn Manson – Electroclash – Lady Gaga – Kanye West – Ke$ha – Beyoncé – Drake – Nicki Minaj – Sia – David Bowie
Danksagung
Bibliographie
Namensregister
Mehr zum Thema Glam unter shockandawesimonreynolds.blogspot.com
Für meinen verstorbenen Vater Sydney, der mir einen Hauch von Wahnsinn vererbte
Für meine Mutter Jenny, die mich vernünftig erzogen hat
In Erinnerung an Jessica Maynard 17. April 1964 – 27. April 2016
»Alles Äußere sagt dem Individuum, es sei nichts.
Alles Innere sagt ihm, es sei alles.«
Anonym
(aus: D. T. Suzuki, Lectures on Zen Buddhism , 1957)
Irgendwo zwischen »All You Need Is Love« und »Hot Love«,zwischen den Beatles und T. Rex, betrat ich die Welt der Popmusik. Sie offenbarte sich mir vor allem über den Fernsehbildschirm, über Kindersendungen und Top of the Pops .
Vier Jahrzehnte lang lief Top of the Pops . Den Großteil dieser Jahre bildeten die aktuellen und zukünftigen Chart-Hits eine bunt zusammengewürfelte Mischung aus mittelmäßigem, neuartigem und professionellem Pop. In den frühen 1970ern kippte die Sendung allerdings ins Überdrehte und Verrückte – der britische Pop wurde überrannt vom Absurden, Exzessiven und Grotesken. Top of the Pops schien plötzlich knallbunt, selbst auf den Schwarz-Weiß-Fernsehern, die in diesen Jahren noch in den meisten britischen Haushalten standen.
Auch wir hatten so einen Fernseher. Bis 1971, als ich acht war, besaßen wir gar keinen, darum ist Glam die erste Popmusik, an die ich mich deutlich erinnern kann. Ich kannte Glam aber nicht als Glam , als einen bestimmten, eigenständigen Abschnitt der Popgeschichte. Was ich da auf dem Bildschirm sah, war schlicht und einfach das, was Pop zu dieser Zeit darstellte : extrem und fantastisch, gleichzeitig albern und unheimlich.
Eine meiner frühesten Pop-Erinnerungen ist, wie mich der Anblick und der Sound von Marc Bolan bei Top of the Pops aufwühlten, er sang vermutlich »Children of the Revolution« oder »Solid Gold Easy Action«. Mehr noch als die bedrohliche Sinnlichkeit des T.-Rex-Sounds zog mich Bolans Look in seinen Bann. Seine Haare, die sich wie elektrifiziert kräuselten, seine von Glitter bedeckten Wangen, dann noch dieser Mantel, der aus Metall zu sein schien – Marc wirkte wie ein Kriegsherr aus dem Weltraum.
Marc Bolan war der Funke, der die Glam-Explosion zündete, und er bekam schnell Gesellschaft: Der Plastik-Aufstand von The Sweet. Gary Glitters wilder Bubblegum. Das triumphierende Stampfen und Brüllen von Slade. Wizzards knallige Fanfaren und gefärbten Haare. Das gesittete Auftreten zu tobendem Lärm von Roxy Music. Alice Cooper, der dämonische Rattenfänger. Die verwegene Schauspielkunst der Sparks. Und mittendrin David Bowie, der in seiner eleganten Sonderbarkeit das ganze Jahrzehnt überstrahlte, wie es die Beatles in den 1960ern getan hatten. »Space Oddity« – 1975 wiederveröffentlicht und sein erster Nummer-eins-Hit – beeindruckte mein junges Ich nachhaltig.
Die aus Glam abgeleitete Vorstellung davon, was Pop ist und sein sollte – außerirdisch, sensationalistisch, hitzig und witzig, ein Ort, an dem das Erhabene und das Lächerliche nicht auseinanderzuhalten sind –, hat mich seitdem nie wieder verlassen.
Mitte der 1980er entdeckte ich Glam wieder. Mittlerweile war ich zum leidenschaftlichen Musikfan und jungen, unerfahrenen Kritiker gereift. Zu den Eindrücken, die sich aus meiner Kindheit eingebrannt hatten, gesellten sich nun reflektierte Gedankengänge: Ich bekam zunehmend das Gefühl, dass die radikale Offenlegung und Entmystifizierung der Prozesse und Mechanismen hinter dem Spektakel durch Punk und Post-Punk auch einen Verlust bedeuteten. Während ich die knisternden Singles hörte, die meine Freunde und ich in Secondhandläden und auf Flohmärkten ausgegraben hatten – Songs von The Sweet, Glitter, Hello, Alice Cooper –, zog mich eine Epoche in den Bann, in der Pop gigantisch und wahnsinnig gewesen war, voll von großen Gesten und Leidenschaft. Diese längst vergangene Zeit schien das Gegenteil vom Pop der Post-Post-Punk-Ära der 1980er zu sein, denn der war erwachsen, verantwortungsbewusst, einfühlsam und sozial engagiert.
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