Mein eigenes Verhältnis zu Glam – von ihm als Kind in Erstaunen versetzt zu werden und ihn später auf eine bewusstere, analytischere Weise wiederzuentdecken – spiegelt wider, was im Glam selbst passierte. Die meisten seiner Protagonisten – Bolan, Bowie, Mott the Hoople, Roxy Music, Gary Glitter, Slade, New York Dolls, Roy Wood – beschworen bewusst ihre eigenen Erstbegegnungen mit Pop und Rock in den 1950ern oder Mitte der 1960er wieder herauf. Was für mich 1972 pure, unreflektierte Emotion war, war für die Künstler selbst bereits distanziert und ironisch, eine Vorstellung von »Unschuld« und »Wildheit«.
Glam ist ein polarisierendes Konzept. In seiner Hochzeit wurde er von einigen als geistige Wiederkehr der imagebewussten Inszenierungen der Rockmusik gefeiert, die durch den Authentizität der späten 1960er in Verruf geraten waren. Andere sahen in ihm jedoch eine Annäherung an das Showgeschäft und damit als einen Rückschritt. Eine Sache, die ich an Glam besonders faszinierend finde – und die, meine ich, nicht unschuldig daran ist, dass er gerade jetzt wieder größeren Nachhall findet –, ist die Art und Weise, wie er radikale und reaktionäre Elemente vereinte. Auf der einen Seite steckte er voller Innovationen in Sachen Style, visueller Aufmachung, Theatralität und sexueller Experimentierfreudigkeit. Auf der anderen Seite war sein Eskapismus – seine Nostalgie, aber auch seine Dekadenz – regressiv. Auch musikalisch scheint Glam gleichzeitig nach vorne und zurückzublicken. Es ist sicher kein Zufall, dass seine Prinzipien popkulturell immer dann im Aufwind sind, wenn ein politischer Rechtsruck stattfindet: Nixon und Heath in den frühen 1970ern, Reagan und Thatcher in den 1980ern und zuletzt im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.
Dafür, wie unwiderstehlich seine Charaktere, wie legendär seine Großtaten, wie übergroß seine Gesten und wie fantastisch seine Platten sind, basiert Glam Rock als Bewegung stärker auf Desillusionierung, als man annehmen würde. Er war ein Zufluchtsort vor den kollektiven, politischen Träumereien der 1960er. An ihrer Stelle bot er eine fantastische, individualisierte Flucht durch Ruhm und Glanz. Die Verwirklichung dieser Fantasie war vom jeweiligen Künstler abhängig. Sie konnte die Form einer neureichen Karikatur voller majestätischer Herrlichkeit (in der Tradition Gracelands) annehmen oder die Eleganz eines Dandy-Ästheten, der sein ganzes Dasein den Vorzüglichkeiten des Lebens widmet: Er sammelt Antiquitäten und Kunstwerke, besucht exotische Orte, zieht alle Augen auf sich und gibt sich allen möglichen Genüssen und Sinneseindrücken hin.
Glam-Fans erschufen eine eigene Elite, indem sie ihren Idolen nacheiferten – wenn auch eine, die ihre aristokratischen Fantasien stellvertretend durch Platten, Konzerte und Musiklektüre auslebte. Glam führte ein neues Phänomen in den Pop ein: Fans, die sich für Konzerte kleideten wie der Star des Abends (zu beobachten bei Bolan, Bowie und Roxy Music, aber auch bei Gary Glitter, Slade und The Sweet). Der Star stand nun nicht mehr als Repräsentant einer bereits existierenden Community auf der Bühne (wie etwa The Who als Vertreter der Mods), sondern kommandierte eine aus seinem Ebenbild geformte Anhängerschaft. Diese Dynamik verweist auf die Essenz des Glam, nämlich seine Verbindung von Exhibitionismus und Autoritarismus: Der Star zieht den Fan in seinen Bann, der Fan wird zugleich Voyeur und Untertan.
In diesem Buch geht es um die Macht des Scheins. Nicht wenige Protagonisten dieser Geschichte waren wahnhafte Narzissten, die um sich herum eine Blase aus alternativen Realitäten schufen und eine große Anzahl Menschen überzeugten, sich ihnen in diesen anzuschließen. Weil es Popmusik ist, ist dieser Prozess vergleichsweise harmlos – abgesehen von krankhaft besessenen Fans sowie den Idolen selbst, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, aus dem fantastischen Kokon auszubrechen, den sie gebaut haben. Trotzdem macht es Sinn darauf hinzuweisen, dass Sektenführer und Politiker, die sich mit utopischen Versprechungen als Erlösergestalten inszenieren, die gleichen charismatischen Techniken benutzen.
Denn Pop ist Persönlichkeitskult. Er basiert auf dem Glauben, dass manche Menschen außergewöhnlich sind und dass die Gewöhnlichen durch direkten Kontakt oder Nachahmung ein Stück von ihrem Kuchen abhaben können. Und manche von denen, die dieses Spiel am besten beherrschen, sind geborene Lügner. Glamour ist die Lüge, die man so gut erzählt, dass man sie irgendwann selbst glaubt, gemeinsam mit den Anderen, die es ohnehin schon taten.
Dieses Buch handelt auch von Wahrnehmung und Wahn als sozialen Begebenheiten, von Massenhypnose und Massenhysterie als real existierende Phänomene, die Tausende von Menschen erfassen. Aber es durchleuchtet auch die Realitäten hinter diesen Phänomenen – wie Aufregung kreiert und Kontroversen geplant werden – und blickt auf all die Manipulationen und Ablenkungen, auf die Tricks hinter der Magie.
Um zu dem Künstler zurückzukehren, mit dem bei mir alles anfing, der mich als Kind am meisten faszinierte: Marc Bolan schien aus dem Nichts zu kommen. Er war ein Zauberer, ein bereits völlig realisierter Star. Aber natürlich hatte auch Bolan Unmengen an Arbeit in seine Karriere gesteckt. Langsam und stoßweise hatte er ein künstlerisches Ich aus einer Auswahl an Vorgängern und Einflüssen konstruiert. Erscheinungsbild und Realität haben für mich das gleiche Gewicht. Beiden gilt das gleiche Interesse und beide sind für mich von gleichem Wert.
Der Eindruck von Marc Bolan als Komet am Popfirmament ist das, was man eine wirkliche Illusion nennen könnte.
BOOGIE POET: MARC BOLAN UND T. REX
John’s Children Tyrannosaurus Rex T. Rex
Auf dem Höhepunkt von Marc Bolans Karriere brachte der Melody Maker ein Feature über das T.-Rex-Konzert im Birminghamer Odeon am 9. Juni 1972. Die Zeitschrift präsentierte Pro und Contra des Auftritts wie auch des Phänomens Bolan an sich. Für die Anti-Bolan-Fraktion schrieb Barry Fantoni, ein Comiczeichner und Jazzkritiker, der – ohne Zweifel satirisch – als »Klassik-Kritiker« des Melody Maker vorgestellt wurde. Polemisch beschrieb Fantoni seinen »Gesamteindruck, dass der Musik das vorher fast beispiellose Kunststück gelingt, immer genau gleich zu klingen, nicht nur was das Tempo, die Melodien und Harmonien angeht, sondern auch in Bezug auf Struktur, Instrumentierung und Dynamik«. Während er seine unsichtbare Fliege zurechtrückte, beichtete Fantoni, dass er zum ersten Mal in seinem Leben Beethoven um dessen Taubheit beneidete.
Die Antwort pro Bolan kam von der fünfzehnjährigen Noelle Parr aus Kilsby, Northamptonshire. Obwohl ihr Text keine wirkliche Konzertbesprechung ist, sondern einfach aus einem Interview montiert war, das ein Mitarbeiter des Magazins mit ihr spontan vor Ort geführt hatte, sind ihre Gedanken vielsagender als Fantonis trockene Ironie. Denn Noelle war in der Lage, die visuellen Aspekte von T. Rex als vollkommene Pop-Erfahrung zu erfassen:
»Zunächst einmal wäre da sein struppiges Haar. Wie er es bewegt, das haut mich um. Seine Locken kleben an seiner Stirn wegen des Schweißes. Das ist so sexy.
Und dann noch die Art, wie er sich bewegt. Sein Körper kräuselt sich richtig. Es ist einfach zu gut. Es pumpt Gefühl in dich. Du kannst einfach loslassen.
Und seine Kleidung ist fantastisch. Er kleidet sich passend zu seinem Körper und seinem hübschen Gesicht. Er wird angefeindet, weil er Frauenschuhe trägt, aber er trägt einfach, was zu ihm passt. Die anderen sind ihm egal.«
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